Der Kaiser ist nackt. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) hat die Ampelregierung vor dem Bundesverfassungsgericht entkleidet. Anfang 2022 hatte die von Merz geführte Union gegen den Nachtragshaushalt der Ampel für das Jahr 2021 geklagt – und recht bekommen. Montagnacht hatte die Ampel als erste Reaktion eine Haushaltssperre verhangen, am heutigen Mittwoch sogar die Bereinigungssitzung verschoben. Ohne Fristverzicht im Bundestag kann der Haushalt für 2024 nach aktuellem Stand nicht mehr beschlossen werden.

Ohne Zweifel: Das Urteil ist folgenschwer und stürzt die Ampel in ihre bisher größte Regierungskrise. Und nicht nur das: Auch Wirtschaft und Verbraucher müssen um Subventionen und Preisbremsen bangen. Hier fünf Fragen und Antworten, um den Überblick zu behalten.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Nachtragshaushalt der Ampel für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das betrifft 60 Milliarden Euro, die ei­gent­lich zur Be­kämp­fung der Co­ro­na-Fol­gen ge­dacht wa­ren. Die Ampel hatte sie in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) umgebucht und so an der Schuldenbremse vorbeigeschleust. Die Idee dazu hatte Olaf Scholz in seinen letzten Monaten als Finanzminister. Er hat das vorbereitet, er trägt die Hauptschuld, die Haushaltskrise ist eine Kanzlerkrise.

Die Idee dazu hatte Olaf Scholz in seinen letzten Monaten als Finanzminister. Er hat das vorbereitet, er trägt die Hauptschuld, die Haushaltskrise ist eine Kanzlerkrise.

20.11.2023

20.11.2023

gestern

Ausgegeben wurden die 60 Milliarden noch nicht, vielmehr lagen sie als Polster für die nächsten Jahre bereit. Etwa, um Subventionen für das Heizungsgesetz, Zuschüsse für den Schienenausbau oder die Abschaffung der EEG-Umlage zu finanzieren. Diese 60 Milliarden muss die Ampel jetzt aber im KTF streichen oder neue Wege an der Schuldenbremse vorbei finden. Aus dem normalen Haushalt sind die Mittel kaum zu stemmen.

Das Verfassungsgericht hatte drei Gründe für die Entscheidung: Die Ampel hätte den Nachtragshaushalt für 2021 nicht erst 2022 beschließen dürfen, hätte besser begründen müssen, warum die Mittel im KTF mit der Corona-Krise zusammenhängen und – zu aller Überraschung, selbst der Union, dass wegen einer Notlage aufgenommene Mittel im gleichen Jahr verausgabt werden müssen und nicht als Polster zurückgelegt werden dürfen.

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Als Vorsichtsmaßnahme hat das Finanzministerium von Christian Lindner (FDP) am Dienstag die Haushaltssperre vom KTF auf den gesamten Haushalt 2023 ausgeweitet, auch auf den zweiten großen Sondertop: den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Preisbremsen für Strom und Gas finanziert werden. Haushaltssperre heißt aber nicht, dass kein Geld mehr fließt oder gar Renten nicht mehr ausgezahlt werden. Lediglich neue Verpflichtungsermächtigungen sind gesperrt, alle bisher bestehenden werden eingehalten. Aus dem Verwaltungsdeutsch übersetzt: Die Regierung darf gerade keine neuen Projekte beginnen, die zu Ausgaben in künftigen Haushaltsjahren führen. Zum Beispiel keine Gelder für neue Brücken oder Subventionen für die Ansiedlung einer Fabrik freigeben, wie etwa der Chipfabriken in Magdeburg und Dresden.

Viel schlimmer als die Sperre selbst ist aber, dass die Ampel offensichtlich davon ausgeht, dass das Urteil auch den WSF betrifft. Nicht, weil dorthin auch Corona-Mittel gebucht wurden, sondern weil das Urteil eben verlangt, dass mit einer Notlage beschlossene Gelder vollständig in einem Haushaltsjahr abfließen.

Die Ampel hatte aber den WSF im Jahr 2022, als die Schuldenbremse wegen des Ukraine-Krieges ausgesetzt war, mit 200 Milliarden gefüllt, um das Geld 2023 und 2024 für die Strom- und Gaspreisbremsen auszugeben. Daraus wird nichts. Denn laut Urteil muss die Ampel dafür auch in diesen Jahren die Schuldenbremse aussetzen. Zwar könnte das die Ampel mit einfacher Mehrheit im Bundestag beschließen, braucht also keine Stimmen der CDU, allerdings wäre das für Finanzminister Lindner ein deftiger Imageschaden. Ein FDP-Minister, der die Schuldenbremse huldigt, aber drei Jahre hintereinander betrügt? Unvorstellbar!

Die Ampel konnte sich in den Koalitionsverhandlungen 2021 nicht darauf einigen, die Steuern zu erhöhen oder die Schuldenbremse länger auszusetzen, um Klimainvestitionen zu finanzieren. Auch eine Reform war mit der FDP von Finanzminister Lindner nicht zu machen. Um trotzdem einen Kompromiss zu finden, bedienten sich die Regierungsparteien eines Tricks und buchten 60 Milliarden an ungenutzten Krediten in den KTF.

Bitter: Anders als bei den Koalitionsverhandlungen 2021 geplant, hat die Ampel die Schuldenbremse 2022 ja doch ausgesetzt. Wegen des Ukraine-Krieges. Klar, das konnte die Ampel 2021 natürlich nicht absehen. Interessant ist aber: Hätte die Ampel den KTF 2022 mit den 60 Milliarden befüllt und sich dabei auf den Krieg statt auf die Corona-Krise gestützt, wären zwei der drei Einwände des Verfassungsgerichtes weggebrochen. Allein das Prinzip der Jährlichkeit und Jährigkeit, Gelder also komplett im Notlagenjahr auszugeben und nicht später, hätte noch gegriffen. Wie beim WSF jetzt. Dagegen hätte die CDU aber wohl nie geklagt. Denn solche Sondervermögen hat die CDU in ihrer Regierungszeit auch beschlossen, etwa für den Wiederaufbau des Ahrtals. Dann hätte Friedrich Merz nachträglich das Merkel-Erbe befleckt.

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Eigentlich sucht die Ampel kein Geld, sondern nur nach neuen Wegen, um beschlossene Gelder rechtmäßig auszugeben. Die Staatsanleihen, mit denen Lindner sich das Geld besorgen wollte, waren ohnehin noch nicht verkauft.

Immerhin: Die 60 Milliarden sollten nicht in einem Jahr ausgegeben werden, sondern über mehrere Jahre gestreckt. Für 2024 ist der KTF ungefähr mit 20 Milliarden überbucht. Allerdings ist es immer so, dass die Gelder langsamer fließen als geplant. Außerdem kann die Ampel einige Ausgaben über andere Wege an der Schuldenbremse vorbeilenken. Etwa 12,5 Milliarden, die in den nächsten Jahren als Zuschüsse für die Infrastruktur vorgesehen sind. Das Geld kann der Bahn auch als Eigenkapitalerhöhung zugeführt werden. Denn Beteiligungen sind von der Regel der Schuldenbremse ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Autobahn GmbH des Bundes. Auch diese Zuschüsse können in Eigenkapital umgewandelt werden, um Platz zu schaffen.

Eine weitere Alternative: Die Ampel könnte versuchen, die Sondervermögen KTF und WSF genauso in das Grundgesetz zu schreiben wie das für die Bundeswehr. Dann würden die Schuldenbremse und das Urteil keine Anwendung mehr finden. Kanzler Scholz könnte vorschlagen, daraus ein neues Sondervermögen „Deutschlandpakt“ zu machen. Dafür bräuchte es aber eine Zweidrittelmehrheit, sprich: Stimmen von der Union. Bei Maischberger sagte Merz am gestrigen Dienstag allerdings, dass das mit der Union nicht zu machen sei. Deshalb muss die Ampel kreativ werden. Und Finanzminister Lindner über seinen Schatten springen.

Für 2023 scheint nämlich unumgänglich, die Schuldenbremse rückwirkend auszusetzen. Selbst Lindners Chefberater, Professor Lars Feld, schlägt das vor. Wenn die Ampel den WSF für 2024 aber dichtmacht und keine neue Notlage beschließt, müssen andere Mittel für die Preisbremsen her. Da die Gas- und Strompreise im Vergleich zum letzten Jahr etwas gesunken sind, könnte die Ampel darauf spekulieren, dass die Preisbremsen 2024 nicht so teuer werden. So oder so muss dafür aber Platz im Kernhaushalt her. Das ist wohl der größte Knackpunkt bei den Verhandlungen in der Ampel.

Meine Prognose darf die Verbraucher aber freuen: Ehe die Ampel sich die Blöße gibt und die beliebten Preisbremsen opfert, verschiebt oder streicht sie andere Vorhaben. Wo ein Wille, da bekanntlich immer ein Weg. Selbst mit Schuldenbremse!

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Haushaltssperre: „Olaf Scholz trägt die Hauptschuld, das ist eine Kanzlerkrise“

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22.11.2023

Der Kaiser ist nackt. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) hat die Ampelregierung vor dem Bundesverfassungsgericht entkleidet. Anfang 2022 hatte die von Merz geführte Union gegen den Nachtragshaushalt der Ampel für das Jahr 2021 geklagt – und recht bekommen. Montagnacht hatte die Ampel als erste Reaktion eine Haushaltssperre verhangen, am heutigen Mittwoch sogar die Bereinigungssitzung verschoben. Ohne Fristverzicht im Bundestag kann der Haushalt für 2024 nach aktuellem Stand nicht mehr beschlossen werden.

Ohne Zweifel: Das Urteil ist folgenschwer und stürzt die Ampel in ihre bisher größte Regierungskrise. Und nicht nur das: Auch Wirtschaft und Verbraucher müssen um Subventionen und Preisbremsen bangen. Hier fünf Fragen und Antworten, um den Überblick zu behalten.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Nachtragshaushalt der Ampel für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das betrifft 60 Milliarden Euro, die ei­gent­lich zur Be­kämp­fung der Co­ro­na-Fol­gen ge­dacht wa­ren. Die Ampel hatte sie in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) umgebucht und so an der Schuldenbremse vorbeigeschleust. Die Idee dazu hatte Olaf Scholz in seinen letzten Monaten als Finanzminister. Er hat das vorbereitet, er trägt die Hauptschuld, die Haushaltskrise ist eine Kanzlerkrise.

Die Idee dazu hatte Olaf Scholz in seinen letzten Monaten als Finanzminister. Er hat das vorbereitet, er trägt die Hauptschuld, die Haushaltskrise ist eine Kanzlerkrise.

20.11.2023

20.11.2023

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Ausgegeben wurden die 60 Milliarden noch nicht, vielmehr lagen sie als Polster für die nächsten Jahre bereit. Etwa, um Subventionen für das Heizungsgesetz, Zuschüsse für den Schienenausbau oder die Abschaffung der EEG-Umlage zu finanzieren. Diese 60 Milliarden muss die Ampel jetzt aber im KTF streichen oder neue Wege an der Schuldenbremse vorbei finden. Aus dem normalen Haushalt sind die Mittel kaum zu stemmen.

Das Verfassungsgericht hatte drei Gründe für die Entscheidung: Die Ampel hätte den........

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