Muss Deutschland aufrüsten, um Putin abzuschrecken und unabhängiger von einer USA zu werden, deren nächster Präsident wieder Donald Trump heißen könnte?

Ja, meint die Ampel-Regierung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat schon wenige Tage nach Putins Überfall auf die Ukraine angekündigt, Deutschland werde künftig die Vorgabe der Nato einhalten, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Verteidigungsminister Pistorius legt sogar noch einen drauf. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sagte er: „Es könnte sein, dass wir drei oder sogar 3,5 Prozent erreichen.“

Im Klartext: Die 3,5 Prozent entsprächen 140 Milliarden Euro. Damit würde allein Deutschland mehr Geld für Verteidigung ausgeben als Russland voraussichtlich in diesem Jahr, oder 109 Milliarden Euro. Schon zwei Prozent entsprechen rund 80 Milliarden Euro. Davon kommen dieses Jahr 52 Milliarden aus dem normalen Haushalt und der Rest aus dem Sondervermögen Bundeswehr.

Wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist, spätestens im Jahr 2028, will Scholz die Nato-Quote komplett aus dem Bundeshaushalt erfüllen. Unter der Schuldenbremse fehlen dann 35 bis 40 Milliarden Euro für andere Dinge. Bei den 3,5 Prozent von Pistorius fehlten sogar 95 bis 100 Milliarden Euro. Also: Mehr Geld für Kampfjets und Panzer – weniger für Straßen, Stromnetze und Soziales.

Für die ohnehin lahme Wirtschaft sind das keine guten Nachrichten. Denn während Investitionen in Straßen, Subventionen für den Heizungstausch oder Sozialleistungen für Arbeitslose gleich wieder in die Geschäfte getragen werden und dort für Nachfrage sorgen, landen Rüstungsmilliarden zum großen Teil im Ausland. Allein zehn Milliarden aus dem Sondervermögen fließen beispielsweise für atomfähige F-35-Kampfjets an den US-Rüstungshersteller Lockheed Martin. Davon hat die deutsche Konjunktur aber nichts. Die US-Industrie hingegen erlebt einen Auftragsboom bei Waffen und Munition, auch dank deutscher Aufträge!

22.02.2024

•heute

gestern

21.02.2024

•gestern

Und selbst wenn die Gelder an Firmen in Deutschland fließen, zum Beispiel an Rheinmetall oder Airbus, entstehen damit ja keine Produkte, die uns wirklich reicher machen. Kampfhubschrauber und Panzer steigern zwar das Bruttoinlandsprodukt (BIP), aber nicht den zivilen Wohlstand. Außerdem verdrängen Rüstungsausgaben effizientere Investitionen. Zum einen, weil die Schuldenbremse die Gelder im Haushalt verknappt und jeder Euro für Verteidigung woanders fehlt. Zum anderen, weil die Ingenieure und Monteure für Brückensanierungen, E-Autos und Wärmepumpen deutlich besser eingesetzt wären.

Erschwerend hinzu kommt der Fachkräftemangel. Kanzler Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprechen häufig davon, aber verschweigen, dass Aufrüstung das Fachkräfteproblem vergrößert, erst recht in einer alternden Gesellschaft. Dabei sind Bundeswehr und Rüstungshersteller große Arbeitgeber. Rund 260.000 Personen arbeiten derzeit bei der Bundeswehr und laut Verband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie 135.700 Personen in der Rüstungsindustrie.

Ukraine-Krieg: US-Industrie erlebt einen Auftragsboom für Waffen und Munition

21.02.2024

Nach Kritik: IWF erklärt, warum Russlands Wirtschaft jetzt so stark wächst

14.02.2024

Das Problem der Verdrängung bekräftigt auch eine Studie von Greenpeace zum „Wirtschaftlichen Nutzen von Aufrüstung“ vom Dezember 2023. Laut Studie führte jede Rüstungsmilliarde in Deutschland zu einem Anstieg der inländischen Produktion um 1,23 Milliarden Euro und rund 6000 zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Eine Milliarde für Umwelt hingegen brächte einem Zuwachs in der inländischen Produktion von 1,752 Milliarden Euro, eine Milliarde für das Bildungswesen rund 1,38 Milliarden Euro. In Arbeitsplätzen gerechnet hieße das, 11.000 Jobs durch eine Umweltmilliarde und 18.000 durch eine Bildungsmilliarde. Wohlgemerkt: Die Studie hat außen vor gelassen, dass durch Kürzungen an anderer Stelle auch wieder Wachstum und Jobs woanders wegfallen.

Auch der Chef des arbeitgebernahen Ifo-Instituts, Clemes Fuest, ist skeptisch in Sachen Aufrüstung. Am Donnerstag sagte er bei Maybrit Illner, in der Vergangenheit sei es immer so gewesen: „Wenn man mehr für das Militär ausgeben musste, dann blieb eben weniger für andere Dinge.“ Und weiter: „Kanonen und Butter – es wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht.“ Die Folge der Aufrüstung wird sein: „Kanonen ohne Butter“.

Schon 2017 äußerte sich Fuest beim Handelsblatt kritisch zu Aufrüstungsplänen: „Ein globaler Rüstungswettlauf absorbiert Ressourcen, die eigentlich dringend für andere Ausgaben, etwa in Bildung, Forschung, Gesundheit, Infrastruktur oder Umweltschutz gebraucht werden.“ Er hat recht. Wenn alle auf der Welt aufrüsten, um einander abzuschrecken, werden auf der ganzen Welt Arbeitskräfte, Rohstoffe und Emissionen in Produktion gesteckt, die keinen zivilen Wohlstand bringen. Eine gigantische Wohlstandsverschwendung!

China und die USA nähern sich an: Wo bleibt Deutschland?

•vor 3 Std.

Abstieg der Wirtschaft: Top-Ökonom Clemens Fuest hat eine Erklärung

03.02.2024

Keine Frage: Eine Welt ohne Armeen und Panzerfabriken ist naive Träumerei, natürlich. Für Staaten kann es sehr wohl rational sein, aufzurüsten. Die Ukraine etwa wäre ohne eigene Armee und Hilfen aus dem Westen von Russland überrannt worden. Aber: Muss deshalb auch Deutschland aufrüsten?

Laut einer Erhebung der Münchner Sicherheitskonferenz fühlen sich die Deutschen mittlerweile deutlich weniger durch Russland bedroht als noch vor einem Jahr. Der sogenannte Sicherheitsindex sank in Deutschland innerhalb eines Jahres in Bezug auf Russland um elf Punkte von 78 auf 67. Laut Nato-Generalsekretär Stoltenberg gaben die Nato-Partner zuletzt fünfmal mehr für Verteidigung aus als Russland, rund 560 Milliarden Euro und elf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Ausgaben der europäischen Partner belaufen sich dabei auf insgesamt 355 Milliarden Euro, immerhin noch dreimal so viel wie Russland.

Die Ampel sollte deshalb genau abwägen, ob Aufrüstung auf Kosten von Sozialstaat und zivilen Investitionen wirklich eine gute Idee ist. Aus ökonomischer Perspektive jedenfalls nicht. Allein die Rüstungshersteller freuen sich über klingelnde Kassen. Rheinmetall meldet dank der Staatsaufträge Rekordumsätze und Rekordgewinne. Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich seit dem Überfall Russlands vervierfacht, von 100 auf 410 Euro. Die Wirtschaft als Ganzes aber verliert!

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

QOSHE - Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Warum die Aufrüstung der deutschen Wirtschaft schadet - Maurice Höfgen
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Warum die Aufrüstung der deutschen Wirtschaft schadet

17 3
24.02.2024

Muss Deutschland aufrüsten, um Putin abzuschrecken und unabhängiger von einer USA zu werden, deren nächster Präsident wieder Donald Trump heißen könnte?

Ja, meint die Ampel-Regierung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat schon wenige Tage nach Putins Überfall auf die Ukraine angekündigt, Deutschland werde künftig die Vorgabe der Nato einhalten, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Verteidigungsminister Pistorius legt sogar noch einen drauf. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sagte er: „Es könnte sein, dass wir drei oder sogar 3,5 Prozent erreichen.“

Im Klartext: Die 3,5 Prozent entsprächen 140 Milliarden Euro. Damit würde allein Deutschland mehr Geld für Verteidigung ausgeben als Russland voraussichtlich in diesem Jahr, oder 109 Milliarden Euro. Schon zwei Prozent entsprechen rund 80 Milliarden Euro. Davon kommen dieses Jahr 52 Milliarden aus dem normalen Haushalt und der Rest aus dem Sondervermögen Bundeswehr.

Wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist, spätestens im Jahr 2028, will Scholz die Nato-Quote komplett aus dem Bundeshaushalt erfüllen. Unter der Schuldenbremse fehlen dann 35 bis 40 Milliarden Euro für andere Dinge. Bei den 3,5 Prozent von Pistorius fehlten sogar 95 bis 100 Milliarden Euro. Also: Mehr Geld für Kampfjets und Panzer – weniger für Straßen, Stromnetze und Soziales.

Für die ohnehin lahme Wirtschaft sind das keine guten Nachrichten. Denn während Investitionen in Straßen, Subventionen für den Heizungstausch oder Sozialleistungen für Arbeitslose gleich wieder in die Geschäfte getragen werden und dort für Nachfrage sorgen, landen Rüstungsmilliarden........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play