Ihre Erwartungen an den Ausstieg aus der Bundeswehr fassen die jungen Männer in große Worte: „Entfaltung, eigene Werte, selbst entscheiden“, steht auf dem weißen Blatt am Flipchart, auch noch: „Authentizität, unabhängig“ und „Spaß“. Ganz unten das Wort „Freiheit“. Die Begriffe klingen nach Aufbruch. Genau diesen planen die acht Männer, die in Haus K im Bürozentrum Top Tegel im Norden Berlins an dem Seminar zur Existenzgründung teilnehmen. Raus aus der Uniform, rein in die Jeans oder in den dunkelblauen Zweireiher.

„Wer bei der Bundeswehr war, bringt ein Wertekonstrukt mit, das in der Wirtschaft gefragt ist“, sagt Falko Nowak zu den Erfolgsaussichten der Soldaten. Der 37-Jährige ist einer der beiden Seminarleiter und war selbst 16 Jahre lang Zeitsoldat, bevor er sich als Unternehmer und Verhandlungsberater in Potsdam selbstständig machte. „Seit dem 1.7.2021 bin ich Zivilist“, sagt der Mann mit den kurzen braunen Haaren und dem athletischen Körper. „Durchhaltevermögen, Wort halten, Pünktlichkeit und Analysefähigkeit“, nennt er als positive Eigenschaften. Soldaten könnten schwierige Lagen wie Gefechte analysieren, hätten Disziplin, seien lernbereit. Viele von den Anwesenden im Raum führten im Dienst 120 bis 200 Personen. „Jeder würde für den anderen einstehen – wir sind alle im Einklang“, fügt er hinzu.

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Dass die Realität jenseits der Kasernenmauern aber noch mehr Wissen und Qualitäten erfordert als soldatisches Denken und Fühlen, ist allen Teilnehmern klar. Nowaks Seminar spricht von Businessplan und Unternehmensformen, von Verhandlungstaktiken und Steuerrecht. Es gliedert sich in ein umfassendes Programm ein, das der Berufsförderungsdienst (BFD) der Bundeswehr ihren Bediensteten anbietet.

„Der BFD soll die Soldatinnen auf Zeit und Soldaten auf Zeit optimal auf den Einstieg in das zivile Erwerbsleben vorbereiten“, sagt eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln. Im Jahr 2022 wurden dafür rund 92 Millionen Euro ausgegeben, so die Jahresbilanz 2022 des BFD: angefangen beim Sprach- oder IT-Kurs bis hin zum Studium. Bis zu sieben Jahre nach Dienstzeitende haben die Soldatinnen und Soldaten die Möglichkeit, die Angebote des BFD zu nutzen.

Wo Angestellte in der Privatwirtschaft meistens nur hören: „Reisende soll man nicht aufhalten“, wenn sie ihrem Arbeitgeber mitteilen, kündigen zu wollen, bemühen sich beim BFD rund 800 Mitarbeiter darum, den Soldaten das Gehen leicht zu machen. Sie erhalten Zugang zu Fortbildungen, bekommen Praktika und Arbeitsplätze vermittelt und vieles mehr. Übergangsgeld, sogenannte Übergangsgebührnisse, die in der Regel 75 Prozent der Dienstbezüge des letzten Monats betragen, werden an Zeitsoldaten, die zwölf Jahre und länger dabei waren, bis zu 60 Monate gezahlt.

„Und wenn’s mit der Selbstständigkeit nicht klappt, besteht sogar die Möglichkeit zurückzukehren“, sagt Nowak – auch hier ist die Bundeswehr großzügig und bietet den sogenannten Wiedereinstellern an, mit dem bis dato erlangten Dienstgrad oder höher zurückzukommen.

Das hat aber niemand von den Anwesenden vor. Ihr Blick geht nach vorn: An diesem Nachmittag hat Nowak Experten aus seinem Potsdamer Netzwerk eingeladen, die zu den Themen Steuern, Recht, IT und Digitalisierung sowie zu Krankenkasse und Marketing beraten sollen. In einem Schnelldurchlauf präsentieren sich die Teilnehmer ihnen mit ihren Business-Ideen. „Ich bin seit 13 Jahren Zeitsoldat und in einem Monat raus. Als Ingenieur für Raum- und Luftfahrt bin ich in der Luftraumüberwachung tätig und habe 200 Soldaten unter mir“, beginnt der Erste. Seine Gründungsidee: Handwerksbetriebe miteinander vernetzen und ihre Digitalisierung vorantreiben.

Der Nächste: Soldat im Jägerbataillon, vier Jahre Zeitsoldat und nach einem Diensteinsatzunfall körperlich eingeschränkt. „Ich bin ein Arbeitstier und will in die Eventplanung“, sagt er. Namentlich möchte er nicht genannt werden, weil er wegen des Unfalls einen Rechtsstreit mit der Bundeswehr führt. Sein Unternehmen hat er schon gegründet.

Noch eine Besonderheit: Wenn der Vorgesetzte es genehmigt, darf man neben dem Dienst selbstständig sein. Der Eventmanager in spe ist noch bis Ende März nächsten Jahres verpflichtet, war aber letztes Jahr schon beim Christopher Street Day in seiner Heimatstadt erfolgreich dabei – mit mehr als 100 Teilzeitkräften. Er will in seiner Stadt langfristig den Markt dominieren, bei öffentlichen Veranstaltungen und Firmenevents.

Ein anderer Teilnehmer, Christian Sch., ist bei der Bundeswehr als Schweißer tätig und lässt in seiner Freizeit Algorithmen für Robo-Advisor, softwaregesteuerte Geldanlagen, programmieren. „Vielleicht muss ich nach dem Ende der Dienstzeit im September 2024 gar nicht mehr arbeiten“, sagt er.

Die Experten sind beeindruckt und mahnen, auch ans Finanzamt zu denken. „Wenden Sie sich frühzeitig an einen Steuerberater“, sagt Annika Borgwardt, Steuerberaterin bei der RHB Steuerberatungsgesellschaft Brandenburg. „Nehmen Sie das ganz ernst und immer schön rechtens bleiben“, sagt sie lächelnd, aber bestimmt.

In der offenen Fragerunde meldet sich als Erstes der Eventmanager, der mit seiner Unternehmensform als e.K. – eingetragener Kaufmann – hadert. „Als GmbH bekäme ich mehr Aufträge.“ Da er aber in der Corona-Zeit einen Kredit aufnahm, um seine Eltern zu unterstützen, erhalte er jetzt nur noch extrem teure Kreditangebote mit Zinsen bis zu 30 Prozent, sodass er die GmbH nicht eintragen lassen kann. „Wie viel brauchst du denn?“, fragt Christian Sch. und lächelt mild, als er „25.000“ hört.

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Der Teilnehmer Michél Gallien, 35, fragt, aus welchem Topf er seinen Noch-Mitgesellschafter auszahlen muss – aus dem Geld seiner GmbH oder aus privaten Mitteln. Rechtsanwalt Dirk Schultze-Petzold und Steuerberaterin Borgwardt überlegen gemeinsam. Gallien, ein smarter Mann mit feinem Gesicht und kurzem braunem Haar, ist schon drei Schritte weiter als die anderen. Der Hamburger schied vor zwei Jahren aus dem Dienst aus und besitzt eine Holding mit zwei GmbHs. Mit der erfolgreichsten verkauft er Konsolen und Spielesoftware.

Darüber hinaus betreibt er mehrere YouTube-Kanäle, einen davon mit Erklärvideos in sechs Sprachen über erfolgreiche Menschen, und er arbeitet als „Voiceover-Artist“, quasi Synchronsprecher, in Anime-Filmen, in Japan produzierten Zeichentrickfilmen. Seine Stimm-Demonstration von verschiedenen Charakteren, krachend-laut und über mehrere Oktaven, begeistert die Kameraden.

Nach dem Grund für seinen Ausstieg befragt, berichtet Gallien von einem Erkenntnismoment in einer BFD-Weiterbildung vor mehreren Jahren. „Dabei habe ich mich mit meinen Werten beschäftigt und kam zu Freiheit, Unabhängigkeit, Authentizität, Leidenschaft und Erfolg.“ Er habe sich gefragt: „Kannst du das bei der Bundeswehr erreichen?“ Und habe die Konsequenzen gezogen.

Thomas Salwasser, 33, IT-Experte bei der Bundeswehr in Euskirchen, sagt etwas gespreizt zu seinen Motiven: „Ich bin an meinen Dienstherrn gebunden und kann mein Gehalt nicht an meine Arbeitsleistung knüpfen.“ Andere formulieren es so: „Die, die gut arbeiten, und die, die schlecht arbeiten, verdienen dasselbe.“ Diese Frustration sitzt bei mehreren Teilnehmern tief.

Salwasser zählt die Tage bis zu seiner Selbstständigkeit – zum Seminarzeitpunkt noch 239. Er hat schon mit zwei weiteren Gesellschaftern die Softwareagentur Codepipe zur Anwendungsentwicklung in Bonn gegründet. „Unser Kernthema ist die Digitalisierung des Mittelstands“, sagt er. Von der neuen Lebenssituation erhofft er sich eine gerechtere Vergütung und auch mehr Wertschätzung für seine Leistung.

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Rick Schneider, 31 Jahre alt, hat als Einziger in der Runde noch keinen konkreten Plan. Der studierte Betriebswirt, der beim Logistikkommando in Erfurt arbeitet, möchte einerseits ein internationaleres Arbeitsumfeld – nicht nur mit „mehrheitlich deutschen Männern“, sondern mit Männern und Frauen mit allen Hautfarben und Nationalitäten. Er träumt außerdem davon, die 41-Stunden-Woche bei der Bundeswehr hinter sich zu lassen und zur „Workation“ zu gelangen – einer neuen Arbeits- und Lebensweise, bei der Fachleute an Urlaubsorten vom Laptop aus ihrem Beruf nachgehen. Der gebürtige Thüringer hat noch bis Ende Juni nächsten Jahres Zeit, sich zu entscheiden, aber dass er aufhört, steht für ihn fest.

Für die Bundeswehr ist der Weggang solcher Fachkräfte schwer. „Pro Jahr scheiden durchschnittlich rund 20.000 Soldatinnen und Soldaten aus der Truppe aus – die meisten regulär im Rahmen des erreichten Dienstzeitendes“, sagt die Bundeswehrsprecherin. Die Maßnahmen zur Personalbindung, wie es offiziell heißt, reichen für viele offensichtlich nicht – Laufbahnanstieg, Statuswechsel zum Berufssoldaten/zur Berufssoldatin oder Übergang in die Verwaltung.

Die Männer berichten, dass die Vorgesetzten mit Bedauern reagieren, wenn sie von der Entscheidung eines Soldaten hören, Überredungsversuche bleiben jedoch aus – der Weggang gut ausgebildeter Kräfte ist Alltag in der Bundeswehr.

Haben die Soldaten kein schlechtes Gewissen, dass sie die Bundeswehr verlassen, nachdem die Armee mehr als zehn Jahre lang ihre Ausbildung finanziert und sie zu Experten auf ihrem Fachgebiet gemacht hat? „Nein – auf keinen Fall“, sagt Gallien, „die Bundeswehr hat uns die Möglichkeit gegeben, uns zu entwickeln, und dafür bin ich dankbar, aber jetzt ist die Selbstständigkeit für mich der richtige Weg.“ Salwasser fügt hinzu: „Softwareentwickler sind teuer, die Bundeswehr hat auch von mir profitiert.“ Außerdem werde er als Unternehmer Menschen Arbeit geben und Steuern zahlen. „Auf diese Weise gebe ich der Gesellschaft etwas zurück.“

Das sagt Salwasser in der Lobby des Bürozentrums, wo die Gruppe gerade ein Erinnerungsfoto aufgenommen hat. Ganz im Stil der Bundeswehr hat es für alle Teilnehmer am Ende des Seminars eine Urkunde, einen Handschlag und ein paar herzliche Worte von Nowak und seinem Co-Seminarleiter Stefan Bechler gegeben. Auf Nowaks Bitte sind alle Teilnehmer auch zu Videostatements bereit, wie ihnen das Seminar gefallen hat – unisono „sehr gut“. Diese will Nowak bei Social Media nutzen. Sich gegenseitig zu helfen und Netzwerke zu bilden, ist auch eine Empfehlung an die Teilnehmer.

Nowak ist optimistisch, dass alle ihren Weg gehen. Die Bundeswehr sei ein guter Arbeitgeber, sagt er im Resümee, eine Infrastruktur wie ihre gebe es nur in größeren Unternehmen oder guten Start-ups, und das Fortbildungsangebot könne einen nahtlosen Übergang schaffen. Den Wunsch nach Veränderung hält Nowak für „total legitim“. Die meisten Soldaten kämen sehr jung zur Bundeswehr und die Persönlichkeit verändere sich zwischen 18 und Anfang 30. „Ja, es ist schade für den Arbeitgeber“, sagt er und fügt mit einem kurzen Lächeln hinzu: „Aber andere Arbeitgeber freuen sich.“

QOSHE - Bundeswehr-Aussteiger: Warum sie in der Wirtschaft so gefragt sind - Mechthild Henneke
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Bundeswehr-Aussteiger: Warum sie in der Wirtschaft so gefragt sind

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04.12.2023

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© Berliner Zeitung


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