Die Jagd war erfolgreich, zumindest aus Sicht derer, die sie angezettelt haben. Zigtausende Werke von mehr als tausend Kunstschaffenden der Moderne haben die Mitarbeiter des Präsidenten der Reichskammer der Bildenden Künste, Adolf Ziegler, zusammengetragen.

Ihre Beute lagert im Viktoria-Speicher der Berliner Hafen- und Lager A.-G.: Werke von Ernst Barlach, Lovis Corinth und Käthe Kollwitz, Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde, auch Marc Chagall, Paul Gauguin und Pablo Picasso sowie weniger bekannten Kunstschaffenden.

Adolf Hitler besucht den Speicher an der Köpenicker Straße 24a in Kreuzberg am 13. Januar 1938. An seiner Seite sind Joseph Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda, und Adolf Ziegler. Die Zusammenkunft bezweckt, sich der Kunstwerke zu entledigen, welche die Nationalsozialisten als „entartet“ schmähen. Unerbittlich zeigt sich Hitler, der sich als junger Mann an der Kunstakademie Wien zweimal vergeblich beworben hat. Goebbels hält einen Tag später in seinem Tagebuch das Urteil des „Führers“ fest: „Kein Bild findet Gnade!“

Die Idee der „Verwertung“ der eingezogenen Kunstobjekte nimmt jetzt Formen an. Und mit ihr die der Vernichtung: Um die 5000 Ölgemälde und Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken sowie Plastiken brennen am 20. März 1939 im Hof der Hauptfeuerwache Berlins, der Alten Feuerwache in der Lindenstraße 40/41 (heute Axel-Springer-Straße) in Kreuzberg.

So ist es überliefert. Aber ist es auch wahr?

Es gibt Zweifel, ob an jenem Märztag vor 85 Jahren, einem Montag, Angehörige der Berliner Feuerwehr auf ministerielle Weisung Tausende Kunstwerke einäscherten. Zeitzeugen und Bilder von der Verbrennung sind nicht bekannt. Weder die „Wochenschau“ noch eine Zeitung berichteten darüber. Auch Goebbels’ Tagebuch schweigt diesbezüglich.

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18.03.2024

•vor 40 Min.

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gestern

Meike Hoffmann ist davon überzeugt, dass ein nicht zu bestimmender Teil der im Viktoria-Speicher gelagerten Kunstwerke im Hof der Hauptfeuerwache Berlins in Flammen aufging. „Es wird etwas verbrannt worden sein, die Vernichtungsabsicht ist ja belegt.“ Die Vermutung, die zur Verbrennung vorgesehenen Objekte – Tausende an der Zahl – könnten auch beiseitegeschafft worden sein, werfe die Frage auf: „Wohin denn?“

Die promovierte Kunsthistorikerin Hoffmann leitet die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der FU Berlin, die im vorigen Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum beging. Hauptaufgabe der Einrichtung ist, ein Gesamtverzeichnis der ab 1937 als „entartete Kunst“ beschlagnahmten Objekte zu erstellen. Die Datenbank umfasst inzwischen mehr als 21.000 Werke. Ziel ist, soweit möglich, jedes Kunstwerk zu identifizieren und seinen Verbleib zu vermerken. Es ist eine Arbeit, die kriminalistisches Feingespür erfordert.

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Der komplexe Fall nimmt im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme seinen Anfang. Ab 1933 entlässt das Regime Museumsdirektoren, die moderne Kunst gesammelt haben. Die meisten Nachfolger verbannen die Moderne in die Depots, nicht wenige verunglimpfen sie in „Schandausstellungen“. So eine Schau gibt es ab September 1933 in Dresden. Sie trägt den Titel „Entartete Kunst“, zeigt 207 Werke aus der Städtischen Kunstsammlung und ist anschließend in zwölf weiteren Städten in Deutschland zu sehen.

Die Idee für eine erweiterte Ausstellung dieser Art kommt Propagandaminister Goebbels bei der Lektüre des Anfang 1937 erschienenen Pamphlets „Säuberung des Kunsttempels. Eine kunstpolitische Kampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art“. Geschrieben hat es der Maler und Schriftsteller Wolfgang Willrich. Er fordert: „Mögen alle Befähigten mithelfen, die deutsche Kunst von dem Unrat zu befreien, womit Bosheit und Narrheit sie jahrzehntelang beschmutzt haben.“

Im Juni desselben Jahres beauftragt Goebbels den Präsidenten der Reichskammer der Bildenden Künste, Adolf Ziegler, alle Museen auf „deutsche Verfallskunst“ zu durchsuchen – auf Kunstwerke, die nach 1910 entstanden sind. Die von Ziegler zusammengestellte Kommission sucht bis Mitte Juli in 32 Museen nach Kunstwerken der deutschen Moderne, insbesondere des Expressionismus. Schließlich lässt sie rund 1100 Werke nach München bringen. Dort, in den Räumen der Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts, in Nachbarschaft zum Haus der Deutschen Kunst, eröffnet am 19. Juli die Ausstellung „Entartete Kunst“. Sie zeigt etwa 650 Werke.

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„Wir befinden uns in einer Schau, die aus ganz Deutschland nur einen Bruchteil dessen umfasst, was von einer großen Zahl an Museen für Spargroschen des deutschen Volkes gekauft und als Kunst ausgestellt worden war“, sagt Ziegler in seiner Eröffnungsrede. „Wir sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtskönnertums und der Entartung. Uns allen verursacht das, was diese Schau bietet, Erschütterung und Ekel.“

In den kommenden viereinhalb Monaten verzeichnet die Propagandaschau zwei Millionen Besucher. Sie macht vom Februar 1938 bis zum April 1941 Station in Berlin, Leipzig, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt am Main, Wien, Salzburg, Stettin und Halle.

Es gab keinen festen Rahmen für ‚entartete Kunst‘, der Rand war aufgeweicht. Das war Kalkül, es war ein Radikalisierungsprozess.

Die Ausstellung in München ist erst ein paar Tage alt, da erfolgt der nächste, von Goebbels initiierte Schlag gegen die Kunstfreiheit. Auf Grundlage eines „Führererlasses“ vom 27. Juli 1937 erhält Adolf Ziegler Anweisung, „aus allen im Reichs-, Landes- und Kommunalbesitz befindlichen Museen, Galerien und Sammlungen die noch vorhandenen Produkte der Verfallszeit zu beschlagnahmen“. Zieglers Kommission sucht ab Anfang August 101 Einrichtungen in 74 Städten auf und nimmt annähernd 20.000 Werke von 1400 Künstlern an sich. Fuhre für Fuhre rollt nach Berlin, in den Viktoria-Speicher an der Köpenicker Straße.

„Es gab keinen festen Rahmen für ‚entartete Kunst‘, der Rand war aufgeweicht“, sagt die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann. „Das war Kalkül, es war ein Radikalisierungsprozess.“

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Der Viktoria-Speicher steht noch, an der Köpenicker Straße 22–25. In den Jahren 1910/11 wurde der Ziegelsteinbau errichtet, hauptsächlich zur Lagerung von losem Getreide, Hülsenfrüchten und Sackware. Das Gebäude ist inzwischen denkmalgeschützt. Sechsgeschossig türmt es sich auf, direkt am Spreeufer. Es wird heute unter anderem von einem Lebensmittelgroßhandel genutzt.

Eine Gedenktafel erinnert an das dunkle Kapitel in der Geschichte des Speichers. An dem links neben der Einfahrt stehenden, mit Graffiti besprühten Mauerpfosten hängt sie. Der Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin hat die Tafel angebracht. Darauf heißt es, hier habe sich von 1937 bis 1939 das Sammeldepot der Aktion „Entartete Kunst“ befunden. Über 1000 Ölgemälde und Skulpturen sowie rund 4000 Aquarelle, Zeichnungen und grafische Blätter seien nach der am 20. März 1939 erfolgten Auflösung des Depots zerstört worden.

Rolf Hetsch spielt bei der Aktion „Entartete Kunst“ eine Schlüsselrolle. Im August 1937 wird der Jurist und Kunsthistoriker, der an den Staatlichen Kunstsammlungen Kassel tätig ist, nach Berlin berufen, um die beschlagnahmten Kunstwerke zu inventarisieren. Er kommt vermutlich auf Empfehlung von Adolf Ziegler, dem Leiter der Beschlagnahmekommission – sie sind Cousins.

„Hetsch legte ein Gesamtinventar an“, sagt Meike Hoffmann. „Es ist allerdings nur noch in Fragmenten erhalten und zum Teil fehlerhaft.“ Bis Ende März 1938 erarbeitete Hetsch zwei grundlegende Verzeichnisse: eines geordnet nach den Museen, aus denen die Kunstwerke stammten, ein anderes nach Künstlernamen.

Beim eingangs erwähnten Besuch Hitlers im Viktoria-Speicher Anfang 1938 ist auch Hetsch zugegen. Er hält sich im Hintergrund auf. Am selben Tag gibt der „Führer“ sein Einverständnis zu dem von Goebbels entworfenen „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“; am 31. Mai 1938 tritt es rückwirkend in Kraft. Dem Propagandaminister obliegt die Leitung der Aktion „Entartete Kunst“.

Das Gesetz regelt den entschädigungslosen Entzug von Kunstwerken und schafft die juristischen Voraussetzungen für ihre „Verwertung“ durch den Staat. „Wir hoffen“, notiert Goebbels am 29. Juli 1938 in sein Tagebuch, „dabei noch Geld mit dem Mist zu verdienen.“

Die Verwaltung der Aktion verlegt Goebbels von der Reichskammer der Bildenden Künste in sein Ministerium. Zum Leiter der Abteilung IX, Bildende Kunst, ernennt er Franz Hofmann, zuvor Direktor des Stadtmuseums München. Und er setzt eine „Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst“ ein, deren Vorsitz er selbst übernimmt.

„Goebbels hat die Aktion ,Entartete Kunst‘ an sich gerissen, weil er sie steuern wollte“, sagt Meike Hoffmann. „Ich bin der Meinung, dass er mit Hetsch und den Händlern ganz eigene Vorstellungen hatte, was mit der beschlagnahmten Kunst geschehen sollte.“ Der Propagandaminister habe die moderne Kunst, die vor 1910 entstand, geschätzt, die Werke Barlachs und Noldes, Munchs und van Goghs.

Der Goebbels nahestehende Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, dem auch Hetsch angehörte, setzte sich im Rahmen des Expressionismus-Streits in Berlin 1933 für die Anerkennung der Meister ein. „Dahinter stand die Idee eines ,Nordischen Expressionismus‘“, erklärt Meike Hoffmann, „der als Wegbereiter der nationalen Bewegung die kulturelle Identität des Dritten Reichs prägen sollte.“

Ab Mitte August hat Rolf Hetsch wieder in Berlin zu tun, jetzt als Sachreferent in Diensten des Propagandaministeriums. Noch während seiner ersten Tätigkeit im Viktoria-Speicher hatte er seine beiden Verzeichnisse um Listen ergänzt, auch um eine Vorauswahl der gemäß Goebbels „international verwertbaren“ Werke. Hetschs Inventar besteht schließlich aus sechs Bänden.

„Das Originalinventar haben wir nicht mehr“, bedauert Meike Hoffmann. „Wir haben eine Abschrift, die Harry-Fischer-Liste.“ Dem Kunsthistoriker Andreas Hüneke, Mitbegründer der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der FU Berlin, fiel sie 1997 durch einen Zufall in die Hände. Das Verzeichnis stammt aus dem Nachlass des Wiener Buch- und Kunsthändlers Harry Fischer. Wie es in seinen Besitz kam, ist ungeklärt. Seine Witwe vermachte die Liste 1996 dem Victoria and Albert Museum in London. Dort wurde Hüneke auf sie aufmerksam.

Die Harry-Fischer-Liste – sie ist seit 2014 öffentlich zugänglich – besteht aus zwei Bänden mit 482 Seiten und 16.558 Inventarnummern. Da aber unter einigen Nummern auch Konvolute gelistet sind, ist die Zahl der tatsächlich beschlagnahmten Kunstwerke viel höher. Das Dokument nennt die Museen beziehungsweise Sammlungen, den Namen der Künstler und den ihrer Werke sowie die jeweils angewandte Technik. Außerdem gibt es Auskunft über die Verwendung der Objekte: Verkauf und Erlös in ausländischer Währung, Tausch, Rückgabe oder – durch ein x gekennzeichnet – Vernichtung.

Das Verzeichnis führt für Berlin 1282 Nummern an: aus dem Kupferstichkabinett 647 Kunstwerke, aus der Nationalgalerie 504 und aus dem Stadtbesitz 131. Unter „Stadtbesitz“ fallen Objekte aus Amtsstuben, von denen fast alle verschollen sind.

„Es gab sicherlich auch eine Liste mit Werken, die zu vernichten waren; das ist in Dokumenten festgehalten“, sagt Meike Hoffmann. „Aber diese Liste haben wir nicht. Vielleicht liegt sie in einem Archiv in Moskau.“ Dorthin verfrachteten die Sowjets die Dokumente aus Goebbels’ Propagandaministerium.

Was Rolf Hetsch ab Sommer 1938 unter den beschlagnahmten, im Viktoria-Speicher gelagerten Kunstwerken für „international verwertbar“ hält, kommt in das Schloss Schönhausen im Norden Berlins. Es steht zu diesem Zeitpunkt seit fünf Jahren dem „Evangelischen Kunstdienst“ für Ausstellungen und Konzerte zur Verfügung.

Gertrud Werneburg war im Schloss Schönhausen als Mitarbeiterin des Kunstdienstes für alle zum Verkauf vorgesehenen Werke zuständig. „Unentwegt“ sei das Speditionshaus Gustav Knauer mit Bildern vorgefahren, allen voran „die ganzen Brückeleute, also von Marc bis Rohlfs, von Kirchner bis Dix“, sagte sie in einem Interview, das der Religionspädagoge Hans Prolingheuer und der Schriftsteller Jürgen Rennert mit ihr 1991 führten. Es seien „wohl 15.000 ungefähr“ gewesen.

„Wir waren natürlich bestrebt, so viel wie möglich zu verkaufen, weil wir uns sagten, am Schluss werden die doch verbrannt“, erzählte Werneburg. Am Ende der Aktion seien Werke „nahezu verschenkt“ worden. „Ein Herr, der hat einen Feininger gehabt, den hat er später für 200.000 Mark verkaufen können. Er hat mir selbst erzählt, dass er sich ein Haus dafür in Westdeutschland gekauft hat.“ Auch das soll sich ereignet haben: Die Witwe und der Sohn des Bildhauers und Grafikers Wilhelm Lehmbruck hätten Kunstwerke zurückerhalten – Goebbels persönlich habe sich dafür eingesetzt.

„Ob ich es beschwören kann, dass die Sachen verbrannt worden sind?“, fragte Werneburg und fügte sogleich hinzu: „Ich bin nicht dabei gewesen.“ Sie sei zwar zur Köpenicker Straße beordert worden und habe dort alle Nummern aufgeschrieben, „von den Sachen“, die verbrannt werden sollten. „Stellen Sie sich vor, wenn Sie 8000, 7000 Sachen aufschreiben müssen.“ Sie könne aber nicht sagen, dass tatsächlich alles eingeäschert wurde.

Die Aktion „Entartete Kunst“ sei von Anfang an ein „Spielball unterschiedlicher Interessen“ und im Angesicht des Umfangs nur schwer steuerbar gewesen, schreibt Meike Hoffmann in ihrem 2022 veröffentlichten Essay „Die ‚Verwertung‘ der ‚entarteten Kunst‘“. Eine erste Liste mit 27 zum Verkauf stehenden Gemälden wuchs bis Februar 1939 auf 779 Gemälde und Plastiken an, zu denen auch mehrere Tausend Blatt Grafik und die Exponate der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ zu zählen sind.

Es erweist sich als schwierig, Goebbels’ Absicht, mit den beschlagnahmten Kunstobjekten Geld zu verdienen, in die Tat umzusetzen. Ab Ende 1938 laufen die Kauf- und Tauschgeschäfte über vier Kunsthändler: Karl Buchholz und Ferdinand Möller in Berlin, Hildebrand Gurlitt in Hamburg und Bernhard A. Böhmer in Güstrow. Sie sind verpflichtet, die Kunstwerke im Ausland zu veräußern, geben aber welche an Händler und Sammler innerhalb Deutschlands ab. Und sie behalten andere.

Die vielversprechendste Auktion findet am 30. Juni 1938 in Luzern statt. Die Galerie Theodor Fischer bietet unter dem Titel „Gemälde und Plastiken moderner Meister aus deutschen Museen“ 125 in Deutschland verfemte Kunstwerke an. Aber nicht jedes Werk findet einen Bieter, 38 Objekte erzielen nicht das Mindestgebot.

Das Kunstmuseum Basel ersteigert in Luzern acht Werke und später über Berlin weitere dreizehn. Zu den Meisterstücken gehören Paul Klees „Villa R“, Oskar Kokoschkas „Windsbraut“ und Franz Marcs „Tierschicksale“. Ende 1938 erwirbt der Osloer Galerist Harald Holst Halvorsen 14 Gemälde von Edvard Munch, im Jahr darauf erhält der in Rom lebende Maler Emanuel Fohn für 25 Werke deutsch-römischer Maler etwa 450 Werke „entartete Kunst“.

Ansprechpartner für die vier auserwählten Kunsthändler war Rolf Hetsch. „Zeitzeugen sahen in Hetsch – statt seines Vorgesetzten Hofmann – den eigentlichen Leiter der Verkaufsaktion“, schreibt Meike Hoffmann in ihrem Essay. Er habe die Händler animiert, aus dem Viktoria-Speicher in Berlin so viele Werke wie möglich zu übernehmen, habe Gebote entgegengenommen, sie für die Kommission bewertet und die dahinterstehende Logistik verantwortet.

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Der Viktoria-Speicher leert sich nicht wie erhofft. Franz Hofmann, Leiter der Abteilung Bildende Kunst beim Propagandaministerium, unterbreitet daher Goebbels den Vorschlag, „diesen Rest in einer symbolischen propagandistischen Handlung auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen“. Er biete sich an, „eine entsprechend gepfefferte Leichenrede dazu zu halten“.

Daraufhin berät sich Goebbels mit Adolf Ziegler, dem Präsidenten der Reichskammer der Bildenden Künste. Nach einer letzten Durchsicht im Februar 1939 bewilligt der Propagandaminister die Aktion. Sie wird für den Folgemonat im Hof der Berliner Hauptfeuerwache in Kreuzberg anberaumt, entgegen Hofmanns Vorschlag unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

„Ist hier Kunst vernichtet worden?“, fragt die Gedenktafel in der Toreinfahrt des Hauses Axel-Springer-Straße 40/41, früher Lindenstraße. Am 20. März 1939 habe im Hof der Feuerwache eine „Löschübung“ stattgefunden, heißt es auf der Tafel. „Verschiedenes“ deute darauf hin, dass dabei Kunstwerke verbrannt wurden, Restbestände aus dem Sammeldepot Viktoria-Speicher.

Nur ein paar Schritte sind es von der Gedenktafel bis in den Innenhof. Bäume, Sträucher und Efeu wachsen hier. In der Mitte steht ein Mahnmal aus Stahl, das zerbrochene Bilderrahmen darstellt. Auf einem Teilstück sind Buchstaben ausgestanzt. Mittig ist ART zu lesen sowie – spiegelverkehrt – links ENT und rechts ET.

Die Forschung geht heute von circa 8700 verkauften oder getauschten Objekten bei über 21.000 beschlagnahmten Werken aus.

Die Aktion „Entartete Kunst“ endet am 30. Juni 1941. In seinem Abschlussbericht erwähnt Rolf Hetsch die Vernichtung der als „unverwertbar“ bezeichneten Kunstwerke im Frühjahr 1939. Er nennt aber keine Anzahl.

Was die Verkäufe und Tauschgeschäfte angeht, schreibt Hetsch von 300 Gemälden und Plastiken sowie 3000 Grafiken, dazu kommen 88 Rückgaben und circa 800 Objekte als Restbestand. Meike Hoffmann zufolge widersprechen Hetschs Zahlen den Angaben aus der Harry-Fischer-Liste und den aus den Händlerkorrespondenzen und -verträgen. „Die Forschung geht heute von circa 8700 verkauften oder getauschten Objekten bei über 21.000 beschlagnahmten Werken aus.“

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Weder verkaufte oder getauschte noch zurückgegebene oder vernichtete Kunstwerke werden ab 1941 in mehreren Depots aufbewahrt, beispielsweise im Keller des Propagandaministeriums an der Mauerstraße 45–52. Nachdem Goebbels im Februar 1943 im Berliner Sportpalast den „totalen Krieg“ ausgerufen hat, organisieren Rolf Hetsch und der Kunstdienst die Auslagerung der Restbestände nach Güstrow, zum Kunsthändler Bernhard A. Böhmer. Das Ehepaar Böhmer nimmt sich beim Einrücken sowjetischer Soldaten Anfang Mai 1945 das Leben. Im Kulturhistorischen Museum Rostock befinden sich 613 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgrafiken und Plastiken aus Böhmers Nachlass. Es ist das umfangreichste Konvolut aus der Aktion „Entartetet Kunst“ in Museumsbesitz.

Von den Kunstwerken, die in der Harry-Fischer-Liste mit einem x für „vernichtet“ versehen sind, wurden bislang 150 wiederentdeckt. Die Werke aus dem Berliner Skulpturenfund zählen dazu. Im Jahr 2010 entdeckten Archäologen im Trümmerschutt zweier Keller des 1944 zerbombten Hauses an der Königstraße 50 (heute Rathausstraße) 16 Skulpturen der klassischen Moderne, darunter Will Lammerts „Sitzendes Mädchen“, Emy Roders „Schwangere“ und Fritz Wrampes „Reiter“. Die meisten Objekte wurden bei der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, einige zur Ausstattung des Propagandafilms „Venus vor Gericht“ 1941 genutzt. Vermutet wird, dass in den Kellerräumen auch Gemälde gelagert wurden, die bei dem Bombenangriff verbrannten.

Aufsehen erregte 2012 ein Fund in München: Steuerfahnder beschlagnahmten in der Wohnung von Cornelius Gurlitt, dem Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, rund 1280 Kunstwerke, von denen etwa 380 der Aktion „Entartete Kunst“ zuzuordnen sind. Darunter befanden sich beispielsweise Georg Grosz’ „Friedrichstraße“, Erich Heckels „Samariter“, Ernst Ludwig Kirchners „Zwei Akte auf Lager“, Käthe Kollwitz’ „Totenklage“, Emil Noldes „Junge Dänin“ – alle beschlagnahmt im August 1937 und später von Gurlitt erworben.

Dass eine die „entartete Kunst“ betreffende Sammlung dieser Größenordnung nochmals entdeckt wird, damit rechnet Meike Hoffmann nicht. „Aber wir haben die Hoffnung, weitere Werke, die mit einem x gekennzeichnet sind, wieder aufzufinden.“

Derzeit erforscht die Kunsthistorikerin mit ihren Studierenden das genaue Geschehen im Schloss Schönhausen während des Nationalsozialismus. „Wir wissen nicht, was dort eigentlich alles ablief.“ Im kommenden Jahr sollen die Ergebnisse in einer Dokumentation vor Ort vorliegen.

Es ist Meike Hoffmann wichtig, auch über wenige bekannte Kunstschaffende, die Opfer der Aktion „Entartete Kunst“ wurden, zu lehren. So bietet sie Lehrveranstaltungen zu kaum noch bekannten Kunstschaffenden an, zu all jenen, die in den 1930ern noch nicht erfolgreich waren und die infolge der Beschlagnahme ihrer Werke keine Chance mehr hatten, ihre Arbeit nach 1945 Erfolg versprechend fortzusetzen. Klara Maria Fehrle-Menrad ist eine von ihnen, sie gilt als erste naive Malerin Deutschlands. Aus dem Stadtmuseum Ulm wurde ihr Tafelbild „Schwäbisch-Gmünd“ beschlagnahmt. Sein Verbleib ist ungeklärt.

In das Dunkel angeblich und tatsächlich vernichteter Kunstwerke durch das NS-Regime hätte Rolf Hetsch viel Licht bringen können. Unmittelbar nach Kriegsende kommt er in das sowjetische Speziallager Nr. 3 in Hohenschönhausen. Im November 1945 kommt von dort sein letztes Lebenszeichen.

QOSHE - Als Hitler in Berlin Tausende Kunstwerke verbrennen ließ – oder etwa nicht? - Michael Brettin
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Als Hitler in Berlin Tausende Kunstwerke verbrennen ließ – oder etwa nicht?

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20.03.2024

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So ist es überliefert. Aber ist es auch wahr?

Es gibt Zweifel, ob an jenem Märztag vor 85 Jahren, einem Montag, Angehörige der Berliner Feuerwehr auf ministerielle Weisung Tausende Kunstwerke einäscherten. Zeitzeugen und Bilder von der Verbrennung sind nicht bekannt. Weder die „Wochenschau“ noch eine Zeitung berichteten darüber. Auch Goebbels’ Tagebuch schweigt diesbezüglich.

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18.03.2024

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Meike Hoffmann ist davon überzeugt, dass ein nicht zu bestimmender Teil der im Viktoria-Speicher gelagerten Kunstwerke im Hof der Hauptfeuerwache Berlins in Flammen aufging. „Es wird etwas verbrannt worden sein, die Vernichtungsabsicht ist ja belegt.“ Die Vermutung, die zur Verbrennung vorgesehenen Objekte – Tausende an der Zahl – könnten auch beiseitegeschafft worden sein, werfe die Frage auf: „Wohin denn?“

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17.03.2024

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Die Idee für eine erweiterte Ausstellung dieser Art kommt Propagandaminister Goebbels bei der Lektüre des Anfang 1937 erschienenen Pamphlets „Säuberung des Kunsttempels. Eine kunstpolitische Kampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art“. Geschrieben hat es der Maler und Schriftsteller Wolfgang Willrich. Er fordert: „Mögen alle Befähigten mithelfen, die deutsche Kunst von dem Unrat zu befreien, womit Bosheit und Narrheit sie jahrzehntelang beschmutzt haben.“

Im Juni desselben Jahres beauftragt Goebbels den Präsidenten der Reichskammer der Bildenden Künste, Adolf Ziegler, alle Museen auf „deutsche Verfallskunst“ zu durchsuchen – auf Kunstwerke, die nach 1910 entstanden sind. Die von Ziegler zusammengestellte Kommission sucht bis Mitte Juli in 32 Museen nach Kunstwerken der deutschen Moderne, insbesondere des Expressionismus. Schließlich lässt sie rund 1100 Werke nach München bringen. Dort, in den Räumen der Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts, in Nachbarschaft zum Haus der Deutschen Kunst, eröffnet am 19. Juli die Ausstellung „Entartete Kunst“. Sie zeigt etwa 650 Werke.

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Es gab keinen festen........

© Berliner Zeitung


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