Die Situation war im Herbst '89 euphorisch. Die Menschen wollten etwas Neues und es war möglich. Denn das Experiment war gründlich gescheitert. Der Traum von der Gleichheit war geplatzt. Aber er muss doch Spuren hinterlassen haben, fragten sich einige, als sie das Neue angingen. Zum Beispiel in der Kunst. So könnte man die Situation beschreiben, in der die Geburtsstunde vom Kunstarchiv Beeskow schlug.

Das ist aber nur die Kurzfassung. Besondere Leistungen in der Geschichte tragen immer den Namen einer Person: in unserem Fall ist es der von Herbert Schirmer. Schirmer war über die ostdeutsche CDU bei der letzten und ersten freien Wahl zur Volkskammer in der DDR Kulturminister geworden. Es war jene Regierung, die die deutsche Einheit vorzubereiten hatte, die sich dann am 3. Oktober 1990 vollzog.

Die meisten waren Politiker nur auf Zeit. Sie verschwanden am 4. Oktober wieder in ihre alten Berufe. Schirmer wieder als Museumsdirektor in Beeskow, einer Kleinstadt im Osten Brandenburgs. Er wusste aus seiner kurzen Zeit als Minister, dass Kunstwerke – Ölgemälde, Plastiken, Wandteppiche und anderes, was dazu zählt – die in offiziellem Auftrag entstanden und bezahlt worden waren, in öffentlichen Gebäuden, zum Beispiel Ferienheimen und Klubhäusern, herrenlos herumhingen oder herumstanden.

28.03.2024

gestern

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gestern

28.03.2024

In Wirklichkeit steht nirgendwo etwas herrenlos herum und so war es auch mit der Kunst. Die Treuhand meldete sich. Lang und mühsam war der Weg, dieser Kunst einen neuen Besitzer zu verschaffen. Die ostdeutschen Bundesländer wurden die Besitzer. Aber Eigentum – wissen wir – verpflichtet: zu Aufbewahrung, Präsentation und Erforschung. In diesem Moment bot Herbert Schirmer mit der Burg Beeskow seine Dienste an. Der Kunst-Bestand von Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kam ab 1993 über die nächsten Jahre in seine Obhut und wurde zu dem, was heute Kunstarchiv Beeskow heißt: Es wurden 17.000 Werke der bildenden Kunst und 1.500 der angewandten Kunst, davon 1.500 Gemälde.

Man hätte über die Kunst aus der DDR sagen können: Jetzt, wo das Land weg ist, kann die in ihrem Auftrag entstandene Kunst auch weg. Georg Baselitz, geboren im Osten Deutschlands, hatte die Künstler aus dem Osten, als er dann DDR hieß, gerade als Arschlöcher bezeichnet. Freie Kunst konnte die Auftragskunst jedenfalls nicht sein, sagten Kritiker wie Baselitz. Herbert Schirmer wollte das die Geschichte entscheiden lassen. Zusammen mit Monika Flacke vom Deutschen Historischen Museum und Wolfgang Patig, dem letzten Direktor vom Kunstfonds der DDR, die beide ähnlich wie er dachten, sammelten sie die Objekte ein, um sie zunächst einfach nur zu sichern. Die mitteldeutschen Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gingen ihren eigenen Weg, aber sie sicherten den Bestand auch.

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Das Ende der DDR machte aus ihr ein abgeschlossenes Sammelgebiet. Alles, was zwischen 1949 und 1989 entstanden war, war Teil dieser Sammlung. Also auch die Kunst, die ja materiell vorlag. Aber wie mit ihr, über der ja das Fatum des „Sozialistischen Realismus“ lag, umgehen? Weshalb manche – Baselitz hatte ihnen Mut gemacht – gern sagten: Weil das keine Kunst ist, kann es weg! Bilderstürmer treten in solchen Momenten der Geschichte gern auf.

Wohin also mit der Kunst, von der nicht wenige sagten, dass sie keine sei? Weitsichtige wussten, dass man sie auf der Suche nach dem verlorenen Staat brauchen wird. Ohne umfassende Forschung – schrieb am 6. 4.1994 Monika Flacke in der Süddeutschen Zeitung – „besteht die Gefahr, dass sich die Mauer im Kopf festigt, statt auflöst“. Irgendwie ist die Kunst aus der DDR doch auch ein Vermächtnis, sagten die Hüter damals und hatten recht.

Noch heute bewegt die Kunst aus der DDR Gemüter und Auktionshäuser. Die einen so, die anderen so. 2023 hat der Maler und Aktionskünstler Daniel Richter – auch bei Bildpreisen von einer Million angekommen – die gegenständliche Bildsprache als „beschissenen sozialistischen Realismus, der einfach nach Westen gewandert ist“ bezeichnet.

Bei ihm fällt sogar der Begriff „Auftrag“, jetzt nicht mehr vom DDR-Staat gegeben, sondern von den Künstlern selbst: „Die Leute scheinen sich im Moment selbst den Auftrag zu geben, etwas zu machen, was mit bestimmten politischen oder sozialen Themen zu tun hat. Aber es ist immer noch langweilige Malerei, wie DDR-Bilder mit mehr Farbe.“

Der figürlich-gegenständliche Realismus, die Themen, die Welt-Anschauung gilt mit dem Ende der DDR als entsorgt, will Daniel Richter sagen. Auktionshäuser, die DDR-Kunst von den als Staatskünstler verschrienen Willi Sitte, Bernhard Heisig, Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer anbieten, erzielen fünf- und sechsstellige Preise. 2023 setzte eine Kunstkritikerin in der Berliner Zeitung ihren Blick auf die neueste Auktion eines Leipziger Auktionshauses unter die Überschrift: „Von wegen ‚minderwertig‘! Ost-Werke erzielen heute Höchstpreise“.

Gemeint ist nicht nur die Kunst der „alten Herren“, sondern auch die der jüngeren Generation von Michael Triegel, Tilo Baumgärtel und dem leider schon verstorbenen Eberhard Havekost, von Neo Rauch aus Leipzig gar nicht zu reden. Die Grundidee des Kunstarchivs hieß und heißt also: Bewahren und erforschen. Nicht die Kunst aus der DDR aufhübschen, sondern sie sachlich bewerten. Nicht - wie im deutsch-deutschen Bilderstreit Anfang der 90er Jahre geschehen - in Stellung bringen gegen die DDR, den Realismus und das Prinzip der Aufträge.

Ich habe das Kunstarchiv in Beeskow besucht. Dort, wo einst eine Schule ihre Turnhalle hatte, lagern jetzt die Bilder. Gehängt auf Metallwände, durchbrochen wie Zäune, lassen sie sich aus der Tiefe des Raumes herausziehen. So sieht jedes Kunstdepot eines Museums aus. Die beiden Frauen, die mich auf meinem Rundgang begleiten, sind Andrea Wieloch, die Chefin vom Museum Utopie und Alltag, zu dem außer dem Kunstarchiv Beeskow das Museum für Alltagskultur in Eisenhüttenstadt gehört, und Dr. Angelika Weißbach als wissenschaftliche Mitarbeiterin.

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Der Raum ist groß, aber nicht so groß, wie ich ihn für 1.500 Bilder erwartet habe. Auf jeder Bilderwand werden vor- und rückseitig, je nach Bildgröße, fünf bis zehn Bilder präsentiert, die ganz kleinen haben Extra-Regale. Es muss gleich gesagt werden: Ich bekomme Bilder zu sehen, bei denen einem die Augen weh tun. Die Frage, was hat sich der Künstler dabei gedacht, gilt nicht seiner ästhetischen Bildsprache, sondern seiner Anpassung an den Auftraggeber. Viele der „Hausgemeinschaften“ und „sozialistischen Kollektive“, der Porträts „stolzer“ und „strahlender“ Bauarbeiter vom Alexanderplatz bestätigen die Vorurteile gegen den sozialistischen Realismus als berechtigte Urteile.

Ich sehe das Bild „Solidarität“ des Rostocker Malers Karlheinz Kuhn: eine Gruppe von Badenden, wenig aufregend gemalt, aber lachend. Was Kuhn als Maler vermochte, zeigt ein zweites Bild, ein Topf mit Alpenveilchen. Dem „Lesenden Arbeiter“ von Jutta Damme kann ich wenig abgewinnen, auch dem Porträt der Arbeiterveteranin Roberta Gropper von Fritz Duda nicht.

Ich tippe ganz wahllos auf die Rollwände. Die Bilder, die ich zu sehen bekomme, sind alles „Zufallsfunde“. Ja, ja, sagen mir beide Begleiterinnen: Unser Bestand ist keine Sammlung. Wir können nicht auswählen, sondern müssen bewahren, was die Gewerkschaft oder der Rat des Bezirkes in Auftrag gegeben hat. Bilder-Bestand, lerne ich, ist das entscheidende Wort für mich, der natürlich das Gesehene spontan bewerten möchte, aber damit an der Sache eines Kunstarchivs vorbeigeht.

Dann frage ich die beiden Hüterinnen der Bilder nach Künstlern, die mir vertraut sind. Haben sie etwa auch vor dem Auftraggeber geschwächelt und kapituliert? Bernhard Heisigs Sohn Walter Eisler hat ein „Großes Hochzeitstillleben“ gemalt, von Lutz Friedel, langjähriger Freund, eine „Große Frierende“ und das einst zu einem Highlight der Dresdner Kunstausstellung gewordene „Warten auf Grün“, was man ganz leicht politisch deuten konnte, wenn die Ampel auf Rot zeigt, geht nichts weiter, was in der DDR oft genug ein Lebensgefühl war.

Mir fällt auf, dass viele Künstlerinnen und Künstler bei ihren „Aufträgen“ Stillleben und Landschaften abgeliefert haben, so Gudrun Petersdorff, Albrecht Gehse, Frank Ruddigkeit. Curt Querner hat sich selbstverständlich keine Propaganda abverlangen lassen, sondern den ersten Schnee gemalt und Sighard Gille einen Weidenhain im Havelland. Norbert Wagenbretts „Paar“ schaut ziemlich gequält und keine Spur optimistisch auf den Betrachter. Ein über zwei Meter großes Neo Rauch-Gemälde mit dem Titel „Kreuzung“ gehört auch zum Bestand. Es zeigt den Maler gleich viermal in unterschiedlichen Situationen im Porträt. Der Wert des Bildes würde ganz sicher bei Verkauf das Geld für eine weitere Planstelle erbringen, aber jeglicher Gedanke an Verkauf eines Bildes ist ausgeschlossen.

Nach einer Stunde intensivster Bildbetrachtung ein Fazit? Ich muss vorsichtig sein, bin ich doch keine Kunstwissenschaftler. Aber ein Urteil fällt nicht schwer: Es gab in der Kunst, die in der DDR im eigenen wie im staatlichen Auftrag entstanden ist, gute und schlechte Kunst und manches war darunter auch keine. Das Gelungene zeigte eine Bildsprache, die mir aus der westdeutschen Kunst dieser Zeit auch geläufig ist.

Mit einer Ausnahme: abstrakte Kunst. Die gab es in der auf den Realismus eingeschworenen Kunst des Ostens so gut wie gar nicht. Ich fand jedenfalls bei meinem „Stöbern“ keine. Die Kunst aus der DDR grundsätzlich unter Propagandaverdacht zu stellen und den Sozialistischen Realismus als ihr Synonym zu sehen, ist falsch. Wer die DDR-Kunst für grau hält, sollte bedenken: Das Grau hat viele Zwischentöne und war oft genug ein ziemlich edles Grau.

Mit etwas Abstand von meinem Besuch in Beeskow muss ich feststellen, dass ich in die Falle des Urteilens gegangen bin. Darum geht es nicht. Es geht um Sehen und Verstehen, nicht um Urteilen und Verurteilen. Bemerkenswert, dass Monika Flacke, eine Frau der ersten Stunde, schon 1994 über den Bestand der Auftragskunst geschrieben hat: „Die Kunst der DDR ist nicht auf einer Insel entstanden. Sollte der Blick nicht auf das gesamte 20. Jahrhundert gerichtet werden, würde eine Chance vertan, die Folgen einer 40-jährigen Teilung in kultureller Hinsicht zu überwinden“.

So paradox es klingen mag, in der Erkundung der Vergangenheit liegt die Chance auf die Vollendung der deutschen Einheit. Noch gibt es kaum ein Museum in der alten Bundesrepublik, in dem Kunst aus Ost und Kunst aus West nebeneinander gehängt werden. Ihre westdeutsch sozialisierten und ausgebildeten Direktoren und Direktorinnen wissen von der Ost-Kunst viel zu wenig, um sich herausgefordert zu führen, dies zu wagen.

Größere Museen in Schwerin, das Potsdamer Barberini, Leipzig, Halles Moritzburg, Dresdens Neue Meister, Frankfurt haben die Kunst, die in der DDR entstanden ist und keine DDR-Kunst war, ausgestellt. Vielfache Ikonen für jene Menschen, die in der DDR sozialisiert sind und regelmäßig nach Dresden in die Kunstausstellungen gefahren sind. Wer hat sich bemüht, Ost- und Westkunst in einer Ausstellung in den Dialog zu bringen? Wer? Die Museen in den alten Bundesländern werden sagen: Wir haben doch nichts im Depot oder fast nichts. Da könnte eine Fahrt nach Beeskow ins Kunstarchiv Wunder wirken.

Michael Hametner ist Autor des 2021 erschienenen Buches „Deutsche Wechseljahre“, für das er noch weitere ostdeutsche Autoren nach ihrem „Einheits“-Befinden befragt hat.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

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Eine Reise in die Kunstszene der DDR: Geteilte Kunst kann auch Kunst sein

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30.03.2024

Die Situation war im Herbst '89 euphorisch. Die Menschen wollten etwas Neues und es war möglich. Denn das Experiment war gründlich gescheitert. Der Traum von der Gleichheit war geplatzt. Aber er muss doch Spuren hinterlassen haben, fragten sich einige, als sie das Neue angingen. Zum Beispiel in der Kunst. So könnte man die Situation beschreiben, in der die Geburtsstunde vom Kunstarchiv Beeskow schlug.

Das ist aber nur die Kurzfassung. Besondere Leistungen in der Geschichte tragen immer den Namen einer Person: in unserem Fall ist es der von Herbert Schirmer. Schirmer war über die ostdeutsche CDU bei der letzten und ersten freien Wahl zur Volkskammer in der DDR Kulturminister geworden. Es war jene Regierung, die die deutsche Einheit vorzubereiten hatte, die sich dann am 3. Oktober 1990 vollzog.

Die meisten waren Politiker nur auf Zeit. Sie verschwanden am 4. Oktober wieder in ihre alten Berufe. Schirmer wieder als Museumsdirektor in Beeskow, einer Kleinstadt im Osten Brandenburgs. Er wusste aus seiner kurzen Zeit als Minister, dass Kunstwerke – Ölgemälde, Plastiken, Wandteppiche und anderes, was dazu zählt – die in offiziellem Auftrag entstanden und bezahlt worden waren, in öffentlichen Gebäuden, zum Beispiel Ferienheimen und Klubhäusern, herrenlos herumhingen oder herumstanden.

28.03.2024

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In Wirklichkeit steht nirgendwo etwas herrenlos herum und so war es auch mit der Kunst. Die Treuhand meldete sich. Lang und mühsam war der Weg, dieser Kunst einen neuen Besitzer zu verschaffen. Die ostdeutschen Bundesländer wurden die Besitzer. Aber Eigentum – wissen wir – verpflichtet: zu Aufbewahrung, Präsentation und Erforschung. In diesem Moment bot Herbert Schirmer mit der Burg Beeskow seine Dienste an. Der Kunst-Bestand von Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kam ab 1993 über die nächsten Jahre in seine Obhut und wurde zu dem, was heute Kunstarchiv Beeskow heißt: Es wurden 17.000 Werke der bildenden Kunst und 1.500 der angewandten Kunst, davon 1.500 Gemälde.

Man hätte über die Kunst aus der DDR sagen können: Jetzt, wo das Land weg ist, kann die in ihrem Auftrag entstandene Kunst auch weg. Georg Baselitz, geboren im Osten Deutschlands, hatte die Künstler aus dem Osten, als er dann DDR hieß, gerade als Arschlöcher bezeichnet. Freie Kunst konnte die Auftragskunst jedenfalls nicht sein, sagten Kritiker wie Baselitz. Herbert Schirmer wollte das die Geschichte entscheiden lassen. Zusammen mit Monika Flacke vom Deutschen Historischen Museum und Wolfgang Patig, dem letzten Direktor vom Kunstfonds der DDR, die beide ähnlich wie er dachten, sammelten sie die Objekte ein, um sie zunächst einfach nur zu sichern. Die mitteldeutschen Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gingen ihren eigenen Weg, aber sie sicherten den Bestand auch.

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