Ein Nutzer von Twitter muss sich vor Gericht verantworten, weil er besonders markige Sprüche aus der Corona-Zeit zusammengestellt und verbreitet hat. Er hatte geschrieben: „Wir haben mitgemacht! Wir haben ausgegrenzt, diffamiert, diskreditiert, beleidigt und Menschen gecancelt. Im Dienste der Wissenschaft!“ Unter dieser Aussage hatte er 25 Zitate gepostet, die sich gegen Impf-Skeptiker gerichtet hatten, wie etwa folgende: „Wenn die hirntoten Risikopiloten durch die Aerosole zischen, wird es ganz viele noch erwischen.“ „Wer sich nicht impfen lässt, ist ein Idiot.“ „Ungeimpfte Patienten bitten wir, außerhalb der Praxis zu warten.“ „Bei steigenden lnzidenzen führen wir bei ungeimpften Patienten vorerst keine Vorsorgeuntersuchungen durch." „Impfgegner sind Bekloppte.“ „Deine Party ist Omas Tod.“ Oder: „Lasst uns Impfverweigerer mit dem Blasrohr jagen, Waidmanns Heil!“

Der Twitter-Nutzer MicLiberal hat die Zitate, die von überwiegend öffentlich bekannten Personen wie etwa Joachim Gauck, Udo Lindenberg oder bekannten Journalisten stammen, im Juli 2022 gepostet, mit dem Hinweis, die Aussagen seien alle öffentlich getätigt worden. Der Beitrag ging viral und wurde kontrovers diskutiert. Während etwa die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann den Beitrag als „öffentlichen Pranger“ kritisierte, teile die Bundestagsabgeordnete Katja Adler (FDP) ihn zunächst und empfahl sogar, ihn querzulesen.

Doch zwei Tage nach Veröffentlichung des Posts wurden die Strafverfolgungsbehörden aktiv. Die Polizei Köln verfasste eine Strafanzeige gegen MicLiberal und warf ihm den Verstoß gegen die 2021 neu in Kraft getretene Vorschrift des Paragrafen 126a Strafgesetzbuch (StGB) wegen der angeblichen Erstellung einer „Feindesliste“ vor. Die Staatsanwaltschaft Köln erhob Anklage. Die Anklage liegt der Berliner Zeitung vor. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass MicLiberal die Sicherheit der Verfasser der Schlagzeilen gefährde, weil die Personen im Umfeld der Tweets als „Täter“ bezeichnet und in die Nähe des „Faschismus“ gerückt worden seien. Die Staatsanwaltschaft scheiterte mit ihrem Ansinnen vor dem Amtsgericht Köln. Die Richterin hielt den Tatbestand für nicht erfüllt und lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein.

Anders als das Amtsgericht sah das Landgericht Köln die Zitatsammlung als geeignet an, die genannten Personen der Gefahr einer gegen sie gerichteten Straftat auszusetzen. Die Richter begründeten ihre Ansicht unter anderem mit der aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte über die Corona-Maßnahmen und das Verhalten einzelner zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Tweets. Das Gericht mutmaßt, dass die Followerschaft zu dem Posting homogen sei. Offenbar sieht das Gericht die Gefahr, dass sich eine zu homogene Gruppe, entweder zusammenrottet oder einzelnen Mitglieder zu Gewalttaten ermuntern könnte. Ferne meinte das Gericht, in der zu den Tweets gehörenden Website, der die Zitate entnommen waren, eine rechtsfeindliche Ausrichtung zu erkennen. Das Gericht leitete die von der Staatsanwaltschaft behauptete Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Personen von Formulierungen auf der Webseite ab.

MicLiberal muss sich nun vor Gericht verantworten. Allerdings vor einem neuen Richter; der ursprünglichen Richterin traute die Kammer eine offene Herangehensweise nämlich nicht mehr zu und verwies die Sache an einen anderen Richter.

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20.03.2024

19.03.2024

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Die Verteidigerin von MicLiberal, Jessica Hamed, weist die Argumente der Staatsanwaltschaft zurück und kann die Entscheidung des Landgerichts nicht nachvollziehen. Sie sagte der Berliner Zeitung: „Nach meinem Eindruck handelt es sich hier um ein politisch betriebenes Verfahren, in dem an meinem Mandanten ein Exempel statuiert werden soll. Damit wird gegen das Willkürverbot verstoßen.“ Setzte sich die „schlecht begründete und in der Sache abwegige Rechtsansicht des Landgerichts durch, wäre die Meinungsfreiheit entkernt, denn dann wäre es bei kontroversen Themen nicht mehr möglich, auch Verantwortliche in anklagender Weise zu benennen“. Es sei „in einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung aber nicht nur erlaubt, sich kritisch mit öffentlichen Äußerungen auseinanderzusetzen, sondern geradezu geboten, da die Öffentlichkeit der Ort der Meinungsbildung ist“.

Staatsanwaltschaft und Landgericht hätten es – anders als das Amtsgericht – versäumt, auch nur den Versuch zu unternehmen, dem Tatbestand des „Feindeslisten“-Paragrafen, der in der Fachwelt als „uferlos“ bezeichnet und „vielfach, etwa von Richter am Bundesgerichtshof Ralf Eschelbach, als verfassungswidrig angesehen wird, eine verfassungsmäßige Kontur zu verleihen“, so Jessica Hamed.

Gericht und Staatsanwaltschaft hätten „nicht verstanden, dass die Vorschrift auf sogenannte Feindeslisten abzielt, wobei der Gesetzgeber eine Gefährdungseignung nur dann gegeben sieht, wenn die Äußerungen dem extremistischen Spektrum oder einer verfassungswidrigen Organisation zugeordnet werden kann“. Oder aber, so Hamed, wenn „militante Bezüge vorliegen oder der Bezug zu Straftaten im Kontext des Verbreitens, einschließlich subtiler Andeutungen, die zu einem Einwirken auf die betroffene Person motivieren könnten, hergestellt wird“. Keiner der Tweets enthalte jedoch extremistische Inhalte, so die Anwältin. Der Autor des Tweets schrieb auf X, dass er ratlos und verstört sei. Er sagte der Berliner Zeitung, dass er das Gefühl habe, dass man ihn mit dem Strafverfahren einschüchtern wolle. Es beunruhige ihn, „dass es scheinbar nicht mehr möglich ist, seine Meinung frei zu äußern, ohne Gefahr zu laufen, über Monate hinweg vom Staat verfolgt zu werden, nur weil man kritisiert, was andere sagen“.

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Corona vor Gericht: Wird erster Kritiker wegen einer „Feindesliste“ verurteilt?

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23.03.2024

Ein Nutzer von Twitter muss sich vor Gericht verantworten, weil er besonders markige Sprüche aus der Corona-Zeit zusammengestellt und verbreitet hat. Er hatte geschrieben: „Wir haben mitgemacht! Wir haben ausgegrenzt, diffamiert, diskreditiert, beleidigt und Menschen gecancelt. Im Dienste der Wissenschaft!“ Unter dieser Aussage hatte er 25 Zitate gepostet, die sich gegen Impf-Skeptiker gerichtet hatten, wie etwa folgende: „Wenn die hirntoten Risikopiloten durch die Aerosole zischen, wird es ganz viele noch erwischen.“ „Wer sich nicht impfen lässt, ist ein Idiot.“ „Ungeimpfte Patienten bitten wir, außerhalb der Praxis zu warten.“ „Bei steigenden lnzidenzen führen wir bei ungeimpften Patienten vorerst keine Vorsorgeuntersuchungen durch." „Impfgegner sind Bekloppte.“ „Deine Party ist Omas Tod.“ Oder: „Lasst uns Impfverweigerer mit dem Blasrohr jagen, Waidmanns Heil!“

Der Twitter-Nutzer MicLiberal hat die Zitate, die von überwiegend öffentlich bekannten Personen wie etwa Joachim Gauck, Udo Lindenberg oder bekannten Journalisten stammen, im Juli 2022 gepostet, mit dem Hinweis, die Aussagen seien alle öffentlich getätigt worden. Der Beitrag ging viral und wurde kontrovers diskutiert. Während etwa die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann den Beitrag als „öffentlichen Pranger“ kritisierte, teile die Bundestagsabgeordnete Katja Adler (FDP) ihn zunächst und empfahl sogar, ihn querzulesen.

Doch zwei Tage nach........

© Berliner Zeitung


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