Die deutsche Wirtschaft kämpft noch immer mit dem Wegfall des Russland-Geschäfts. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft nennt den „historisch beispiellosen Einbruch im Russland-Handel um 75 Prozent und die schwache Konjunktur in Deutschland und Mittelosteuropa“ als Ursachen dafür, dass der deutsche Osthandel „einen Dämpfer“ hinnehmen musste. Der Ost-Ausschuss hat die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das Gesamtjahr 2023 ausgewertet. Demnach ging der Wert der mit den 29 Zielländern des Ost-Ausschusses gehandelten Güter gegenüber dem Vorjahr um 6,5 Prozent zurück.

Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, sagte auf Nachfrage der Berliner Zeitung: „Den massiven Einbruch des Russland-Exports um 5,7 Milliarden Euro konnten die anderen Märkte in der Region im Vorjahr noch nicht ganz auffangen. Eine Umorientierung der Unternehmen von Russland auf andere Märkte findet statt, gelingt aber nicht über Nacht.“

Absolut gesehen seien die deutschen Ausfuhren nach Zentralasien und Südosteuropa 2023 mit gut 53 Milliarden Euro aber sechsmal so hoch gewesen wie die Ausfuhren nach Russland. Harms: „Diese Märkte gewinnen als Absatz- und Beschaffungsmärkte, als Energie- und Rohstofflieferanten und als Transitländer rasant an Bedeutung. Die zunehmende EU-Integration der Länder des Westlichen Balkans und die bessere Anbindung Zentralasiens wird unseren Wirtschaftsbeziehungen weiteren Schub geben.“

Russland steht offenbar aktuell nicht im Fokus der deutschen Wirtschaft, weil die Sanktionen Geschäfte faktisch extrem erschweren. Auf die Frage, ob er damit rechne, dass die Sanktionen gegen Russland in absehbarer Zeit gelockert werden, sagte Harms: „Grundlegende Voraussetzung für die Reaktivierung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland und die Lockerung der Sanktionen sind ein fairer, von der Ukraine akzeptierter Friedensschluss und eine andere Politik in Russland, die zur Akzeptanz des Völkerrechts zurückkehrt. Das ist derzeit nicht in Sicht.“

Der Ost-Ausschuss spricht daher von einer „wirtschaftlichen Entflechtung der deutschen Wirtschaft von Russland“. Diese sei in den Handelszahlen deutlich ablesbar: Der deutsche Handel mit Russland schrumpfte 2023 um drei Viertel auf 12,6 Milliarden Euro. Die Ausfuhren gingen nach der Ausweitung von Sanktionen um 38,7 Prozent auf 8,9 Milliarden Euro zurück. Die früher von Energieträgern dominierten Einfuhren sanken nach dem Beginn des Ölembargos Anfang 2023 um 90 Prozent auf nur noch 3,7 Milliarden Euro. Unter den deutschen Handelspartnern fiel Russland 2023 hinter Slowenien auf Platz 38. Im Jahr 2022 hatte Russland noch Platz 14 eingenommen.

Der Einbruch im Russland-Handel wird mit einem anhaltenden Rückzug deutscher Unternehmen vom russischen Markt kompensiert, erklärt der Ost-Ausschuss in einer Mitteilung. Dabei richte sich der Fokus der Unternehmen auch auf Zentralasien und den Südkaukasus. „Es wäre falsch, die steigende Nachfrage nach deutschen Produkten in diesen Ländern einfach auf Sanktionsumgehung in Richtung Russland zu schieben“, sagte Cathrina Claas-Mühlhäuser, Vorsitzende des Ost-Ausschusses, laut Mitteilung. Die Neuorientierung vieler Unternehmen und die kräftige Konjunktur in der Region spielten eine wichtige Rolle. „Unsere Position ist hier glasklar: Sanktionsumgehungen müssen im konstruktiven Dialog mit den Ländern verhindert, Schlupflöcher geschlossen werden“, sagte Claas-Mühlhäuser. „Jedes sanktionierte Gut, das Russland erreicht, ist eines zu viel.“

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07.02.2024

•vor 6 Std.

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07.02.2024

Zugleich aber müssten Deutschland und die EU ihre Wirtschaftsbeziehungen mit den aufstrebenden Märkten in Zentralasien konsequent ausbauen und sich dort nachhaltig als Partner empfehlen. „Länder wie Kasachstan und Usbekistan gewinnen als alternative Wirtschaftsstandorte, Rohstofflieferanten und Handelspartner rasant an Bedeutung“, erklärte Claas-Mühlhäuser. Die EU dürfe das Feld nicht einfach China überlassen.

Michael Harms sagte: „Wir müssen die Zentralasien-Strategie der EU endlich mit Leben füllen und brauchen konkrete Projekte. Europa muss hier viel präsenter sein, mit Know-how und auch mit Kapital. Im Rahmen des Global-Gateway-Programms der EU müssen die Transportverbindungen ausgebaut und Bottlenecks beseitigt werden. Zuletzt gab es hier positive Zeichen, dass sich die EU über die EIB bei der Finanzierung von Projekten zum Ausbau des Mittleren Korridors engagieren will. Kasachstan hat zudem angekündigt, seine Häfen und Flughäfen für ausländische Investoren zu öffnen. Da brauchen wir einen Fuß in der Tür.“

Der Ost-Ausschuss fordert außerdem mehr Dynamik bei der EU-Erweiterung. Mehr als zehn Jahre nach der Aufnahme Kroatiens 2013 müsse die EU endlich wieder beitrittsfähig werden und damit Anreize für notwendige Reformen in den Kandidatenländern setzen: „Die jahrzehntelange Hängepartie für die Länder des Westlichen Balkans beschädigt die Glaubwürdigkeit der EU, spielt dadurch anderen geopolitischen Akteuren in die Hände und bremst die wirtschaftliche Entwicklung in Europa“, sagte Claas-Mühlhäuser. Von einer Erweiterung des europäischen Binnenmarktes würden dringend benötigte Konjunkturimpulse ausgehen. „Für die deutsche Wirtschaft ist die Region mit Blick auf kurze Lieferwege und den Abbau geopolitischer Risiken unverzichtbar. Je mehr Länder EU-Standards übernehmen, desto besser für uns.“

QOSHE - Deutsche Wirtschaft: Verluste aus Russland-Geschäfte nicht kompensiert - Michael Maier
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Deutsche Wirtschaft: Verluste aus Russland-Geschäfte nicht kompensiert

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10.02.2024

Die deutsche Wirtschaft kämpft noch immer mit dem Wegfall des Russland-Geschäfts. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft nennt den „historisch beispiellosen Einbruch im Russland-Handel um 75 Prozent und die schwache Konjunktur in Deutschland und Mittelosteuropa“ als Ursachen dafür, dass der deutsche Osthandel „einen Dämpfer“ hinnehmen musste. Der Ost-Ausschuss hat die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das Gesamtjahr 2023 ausgewertet. Demnach ging der Wert der mit den 29 Zielländern des Ost-Ausschusses gehandelten Güter gegenüber dem Vorjahr um 6,5 Prozent zurück.

Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, sagte auf Nachfrage der Berliner Zeitung: „Den massiven Einbruch des Russland-Exports um 5,7 Milliarden Euro konnten die anderen Märkte in der Region im Vorjahr noch nicht ganz auffangen. Eine Umorientierung der Unternehmen von Russland auf andere Märkte findet statt, gelingt aber nicht über Nacht.“

Absolut gesehen seien die deutschen Ausfuhren nach Zentralasien und Südosteuropa 2023 mit gut 53 Milliarden Euro aber sechsmal so hoch gewesen wie die Ausfuhren nach Russland. Harms: „Diese Märkte gewinnen als Absatz- und Beschaffungsmärkte, als Energie- und Rohstofflieferanten und als Transitländer rasant an Bedeutung. Die zunehmende EU-Integration der Länder des Westlichen Balkans und........

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