Die Chancen für geschädigte Wirecard-Anleger, im Milliardenbetrug wenigstens einen Teil ihres Geldes zurückzubekommen, stehen schlecht. Der Konzern ist längst pleite, vor einigen Wochen meldete der frühere Wirecard-Chef Markus Braun mit seiner privaten Firma Insolvenz an: Das Amtsgericht Limburg hat über das Vermögen der MB Beteiligungsgesellschaft ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen. In der Gesellschaft waren unter anderem Brauns Immobilien gebündelt: Villen, Chalets und Altbauwohnungen.

Bei Wirecard und Braun ist also nicht viel zu holen. Die meisten Spuren im Umfeld des Skandalkonzerns verlaufen sich im Nebel. Im Münchner Wirecard-Prozess sagte in dieser Woche die langjährige Assistentin von Braun, ihr Chef habe im Sommer 2020 kurz vor dem Kollaps des Konzerns versucht, mithilfe von Jan Marsalek Daten von seinem Handy zu löschen. Sie sagte: „Es wurde was mit dem Handy gemacht.“ Was wirklich bei Wirecard ablief, wusste die Assistentin trotz ihrer Nähe zu Braun nicht. Es sei „immer alles hinter verschlossenen Türen“ abgelaufen.

Die Nebelbank hat sich auch nach dem Zusammenbruch von Wirecard nicht gelichtet. Die Aufsichtsbehörden, die damals bei der Kontrolle des Finanzkonzerns eine undurchsichtige Rolle spielten, sind längst zur Tagesordnung übergangen – auch weil sie wissen, dass Geschädigte von ihnen nichts einklagen können. Die Hoffnungen der Anleger, irgendwo noch Schadenersatz zu bekommen, richteten sich daher zuletzt auf den Wirtschaftsprüfer EY, der Wirecard jahrelang geprüft und beraten hatte. Doch bei EY gibt man sich mittlerweile „zuversichtlich“, dass der Konzern von keinem Gericht zu Schadenersatzforderungen verdonnert wird. Niemand habe Vorsatz beweisen können, auch eine Kausalität sei nicht herzustellen.

Daher hat EY nach Informationen der Berliner Zeitung keine Rückstellungen für allfällige Forderungen aus Wirecard-Verfahren gebildet, weil die Wirtschaftsprüfer in dieser Hinsicht keinerlei Risiko für EY sehen. Das ist bemerkenswert, denn daraus lässt sich schließen, dass man sich bei EY sehr sicher ist, alle Verfahren zu gewinnen. Ein Sprecher des Unternehmens wollte sich dazu nicht äußern. Die Geschäftsberichte von EY sind nicht zu Gänze öffentlich.

Wirecard-Skandal: Wer steckt hinter dem Geheimdienstnetzwerk um Jan Marsalek?

28.01.2024

Wirecard: Wird Scholz von Putin erpresst?

07.01.2024

13.03.2024

14.03.2024

13.03.2024

13.03.2024

14.03.2024

Die Anwälte der betrogenen Anleger, die in einem Musterverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landgericht EY zur Kasse bitten wollen, sind ohnehin genervt. Sie wittern überall Versuche, das Verfahren zu verschleppen. So beobachten die Musterkläger skeptisch, dass es bei den Anwälten von Markus Braun einen Wechsel gegeben hat. Schmitz und Partner aus Frankfurt am Main hätten ihr Mandat im Januar niedergelegt, heißt es. Nun vertrete Theres Kraußlach aus Erfurt den früheren Wirecard-Chef. Sie müsse sich erst einarbeiten. Doch Kraußlach stellt klar, dass sie keine Einarbeitungszeit brauche, zumal das Verfahren frühestens im September beginnen werde. „Wir haben keinerlei Absicht, das Verfahren zu verzögern“, sagte Kraußlach der Berliner Zeitung.

Schließlich sorgte eine Schlagzeile im Handelsblatt für Aufregung. „Der geheime Umbau von EY – Neue Struktur und Rechtsform“, hieß es kürzlich. Die Zeitung schrieb, EY habe „sich unbemerkt von der Öffentlichkeit in Deutschland eine neue Rechtsform und Organisation verschafft“. Das Unternehmen habe die jahrzehntelang bestehende EY GmbH erst vor wenigen Wochen in eine Kommanditgesellschaft (KG) umgewandelt. Ein EY-Sprecher sagte der Berliner Zeitung, von obskurem Vorgehen könne keine Rede sein: „Wir haben die Strukturänderung nicht geheim durchgeführt, sondern sie bei allen relevanten Behörden angezeigt. Wir haben lediglich keine Pressemeldung herausgegeben.“

EY habe durch die Umwandlung seiner Rechtsform und Struktur in Deutschland „das Stammkapital deutlich und die Haftungssumme leicht reduziert“, berichtet die FAZ. Vor der Umstrukturierung wies die (alte) Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Stammkapital von 10 Millionen Euro aus, mit der umgewandelten Gesellschaft stehen nur noch etwas mehr als 2,5 Millionen Euro bereit. Das Thema Haftungsbegrenzung sei „im Fall EY sensibel, weil sich das Unternehmen mit milliardenschweren Schadenersatzforderungen von Wirecard-Geschädigten auseinandersetzen muss“, so die FAZ.

Annette Heinisch, die die geschädigten Anleger im Musterverfahren in München vertritt, sieht die Umwandlung kritisch, weil nach ihrer Ansicht von den neuen, haftungsbeschränkten Gesellschaften keine Schadenersatzforderungen bedient werden können: „Selbst wenn man gewinnt, kann man sich mit dem Urteil die Wand tapezieren, sonst nichts. Jedenfalls ist diese Gefahr akut zu sehen. Tatsache ist, dass EY ,die Fliege‘ macht.“ Heinisch: „Das ganze Geflecht ist mehr als undurchsichtig. Wir prüfen rechtlich, ob es sich bei dem Vorgang um eine Zwangsvollstreckungsvereitelung handelt.“

EY sagt, es sei unzutreffend, dass die neue Struktur dazu diene, sich gegen mögliche Wirecard-Forderungen abzuschotten. „Die vorgenommenen gesellschaftsrechtlichen Veränderungen haben keinerlei Auswirkungen auf die Haftungsrisiken für bestehende und abgeschlossene Mandate oder auf laufende Zivilverfahren“, so EY in einem Statement. Mit der neuen Struktur „harmonisiert EY Deutschland seine Struktur mit anderen Gesellschaften des internationalen EY-Netzwerks in Europa und weltweit“. Allerdings ist die neue Struktur zumindest indirekt auch eine Reaktion auf den Wirecard-Skandal. Der Umbau ist nämlich die Folge des Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes (FISG). Dieses hätte es ohne das Wirecard-Debakel nicht gegeben. Den geschädigten Wirecard-Anlegern hilft die Aussicht auf Besserung in der Zukunft indes nicht: Sie müssen sich wohl oder übel auf den Totalverlust einstellen.

QOSHE - Für immer betrogen: Wirecard-Anleger werden wohl leer ausgehen - Michael Maier
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Für immer betrogen: Wirecard-Anleger werden wohl leer ausgehen

6 8
16.03.2024

Die Chancen für geschädigte Wirecard-Anleger, im Milliardenbetrug wenigstens einen Teil ihres Geldes zurückzubekommen, stehen schlecht. Der Konzern ist längst pleite, vor einigen Wochen meldete der frühere Wirecard-Chef Markus Braun mit seiner privaten Firma Insolvenz an: Das Amtsgericht Limburg hat über das Vermögen der MB Beteiligungsgesellschaft ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen. In der Gesellschaft waren unter anderem Brauns Immobilien gebündelt: Villen, Chalets und Altbauwohnungen.

Bei Wirecard und Braun ist also nicht viel zu holen. Die meisten Spuren im Umfeld des Skandalkonzerns verlaufen sich im Nebel. Im Münchner Wirecard-Prozess sagte in dieser Woche die langjährige Assistentin von Braun, ihr Chef habe im Sommer 2020 kurz vor dem Kollaps des Konzerns versucht, mithilfe von Jan Marsalek Daten von seinem Handy zu löschen. Sie sagte: „Es wurde was mit dem Handy gemacht.“ Was wirklich bei Wirecard ablief, wusste die Assistentin trotz ihrer Nähe zu Braun nicht. Es sei „immer alles hinter verschlossenen Türen“ abgelaufen.

Die Nebelbank hat sich auch nach dem Zusammenbruch von Wirecard nicht gelichtet. Die Aufsichtsbehörden, die damals bei der Kontrolle des Finanzkonzerns eine undurchsichtige Rolle spielten, sind längst zur Tagesordnung übergangen – auch weil sie wissen, dass Geschädigte von ihnen nichts einklagen können. Die Hoffnungen der Anleger, irgendwo noch Schadenersatz zu bekommen, richteten sich daher zuletzt auf den Wirtschaftsprüfer........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play