Es gibt eine neue Illusion, wie man die AfD verschwinden lassen kann. Nachdem das Bundesverfassungsgericht der NPD am Montag die Parteienfinanzierung für sechs Jahre gestrichen hat, überlegen Politiker und Journalisten nun laut, ob das nicht auch die Wunderwaffe gegen Weidel und Co. sein könnte. Wenn man die AfD schon nicht verbieten kann, dann nimmt man ihr eben die Mittel.

Ohne Geld keine großen Wahlkämpfe, keine Social-Media-Kampagnen, keine Remigrations-Pläne. Die Menschen kriegen von der AfD nichts mehr mit und wählen die Partei irgendwann auch nicht mehr, so die Idee. Das aber ist nicht nur ein Irrglaube, es ist auch gefährlich. Der AfD und allem, wofür sie steht, ist mit solchen rechtlichen Kniffen nicht beizukommen. Damit lenken wir uns nur von den schmerzhaften Entscheidungen ab, die getroffen werden müssen, wenn wir die Ursachen ihrer Popularität bekämpfen wollen.

Zum einen halten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil zur NPD eindeutig fest: Auch wenn man eine Partei nicht verbieten will, sondern ihr nur die staatlichen Mittel entziehen möchte, muss dennoch voll geprüft werden, ob sie verfassungsfeindlich ist. Nur, weil Karlsruhe die NPD bereits 2017 für verfassungswidrig erklärt hat, können ihr jetzt die Gelder gestrichen werden. Die Hürden sind also genauso hoch wie bei einem Verbot. Wieso dann nicht gleich ein Verbotsverfahren?

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23.01.2024

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Eigentlich ist es aber auch egal. Denn in Wahrheit löst selbst ein Verbot der AfD das AfD-Problem nicht. Man sieht auf den ganzen riesigen Demos im Land dieser Tage andauernd Verweise auf Weimarer Verhältnisse. Auf Schildern steht dann: „Jetzt erfahren wir, was wir anstelle unserer Großeltern getan hätten“ oder „AfD wählen ist so 1933“. Das ist zwar vermessen, aber wieso soll sich Geschichte nicht in Teilen wiederholen? Ist in der Vergangenheit auch schon vorgekommen. Und wieso sollen in Deutschland, wenn „Nie wieder!“ ernst gemeint ist, Menschen nicht auf die Straße gehen, wenn sie Faschismus verhindern wollen?

Problem ist nur: Genau das haben viele der Urgroßeltern der Demonstranten schon getan. In den 1920er- und frühen 30er-Jahren gingen Zigtausende gegen die NSDAP auf die Straße. Oft wurden die Demos, wie heute, von der SPD initiiert.

Doch wer sich die historischen Parallelen genau anschaut, kommt zu einer anderen Zeitrechnung als diese Demonstranten. Wir haben nicht so sehr 1933. Wir haben viel eher 1923. Nach dem Putschversuch der NSDAP am 9. November 1923 wurde die Partei im gesamten Deutschen Reich verboten, zuvor war das schon in Preußen, Hamburg, Baden und anderen Ländern geschehen. Adolf Hitler kam ins Gefängnis, das Parteivermögen wurde gepfändet, die Parteizentrale geschlossen, die Zeitung der Nazis – Stichwort Social Media – verboten. Doch zwei Jahre später gründet sich die Partei neu.

Selbst wenn der AfD das Geld entzogen, die Partei verboten würde, sind ihre Mitglieder, ihre Wähler und vor allem die Gründe, weshalb sie gewählt wurde, noch lange nicht verschwunden. Viele Bürger und Politiker blicken angesichts der hohen Umfragewerte für die Partei besorgt auf die Europawahl im Juni, die Landtagswahlen im Osten im Herbst, vielleicht auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Aber das ist zu kurz gedacht. Was ist mit der Wahl 2029, was ist mit der Wahl 2033? Die Bewegung, deren politische Ausprägung die AfD ist, hat Zeit.

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Wer die Partei nachhaltig zurückdrängen will, muss einige unangenehme Dinge akzeptieren. Erstens: Gerichte werden uns nicht retten. Schwierige politische Entscheidungen sind unerlässlich. Zweitens: Die Demokratie ist nicht links. Sie umfasst Meinungen von links bis rechts und vieles dazwischen. Drittens dürfen wir keine trivialen Schlüsse aus der Vergangenheit ziehen. Aufstehen und Gesicht zeigen, oder was sonst noch im Zivilcourage-Duden steht, sind törichte Rezepte gegen möglichen Faschismus. Und viertens: Der Schlüssel zur Abwehr der AfD ist die Union. Sie zieht nicht nur die Brandmauer. Sie ist die Brandmauer.

In fast allen europäischen Ländern, in denen Rechtspopulisten in diesem Jahrhundert an die Macht gekommen sind, haben sie die Konservativen geschluckt. Wer die Grenzen zwischen rechts und rechtsextrem absichtlich verwischt, wird die Rechten nicht loswerden, sondern sie in Wähler von Rechtsextremen verwandeln. Dann ist die AfD am Ziel.

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Umgang mit der AfD: Wussten Sie, dass die NSDAP im gesamten Deutschen Reich verboten wurde?

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25.01.2024

Es gibt eine neue Illusion, wie man die AfD verschwinden lassen kann. Nachdem das Bundesverfassungsgericht der NPD am Montag die Parteienfinanzierung für sechs Jahre gestrichen hat, überlegen Politiker und Journalisten nun laut, ob das nicht auch die Wunderwaffe gegen Weidel und Co. sein könnte. Wenn man die AfD schon nicht verbieten kann, dann nimmt man ihr eben die Mittel.

Ohne Geld keine großen Wahlkämpfe, keine Social-Media-Kampagnen, keine Remigrations-Pläne. Die Menschen kriegen von der AfD nichts mehr mit und wählen die Partei irgendwann auch nicht mehr, so die Idee. Das aber ist nicht nur ein Irrglaube, es ist auch gefährlich. Der AfD und allem, wofür sie steht, ist mit solchen rechtlichen Kniffen nicht beizukommen. Damit lenken wir uns nur von den schmerzhaften Entscheidungen ab, die getroffen werden müssen, wenn wir die Ursachen ihrer Popularität bekämpfen wollen.

Zum einen halten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil zur NPD eindeutig fest: Auch wenn man eine Partei nicht verbieten will, sondern ihr nur die staatlichen Mittel entziehen möchte, muss dennoch voll geprüft werden, ob sie verfassungsfeindlich ist. Nur,........

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