Wer deutschen Regierungspolitikern zuhört, hat mitunter den Eindruck: Im „Kampf gegen rechts“ ist es fünf vor zwölf. Die AfD, die vom Verfassungsschutz als „extremistischer Verdachtsfall“ beobachtet wird, knackt in manchen Umfragen die Zwanzig-Prozent-Marke. Entsprechend will die Ampelkoalition Vorkehrungen treffen, um Rechtsextremismus effektiver bekämpfen zu können und staatliche Institutionen vor dem Zugriff der Partei zu schützen. Doch dieser Kampf wirft heikle Fragen auf, schreibt die New York Times.

Das Dilemma der Regierenden fasst das amerikanische Leitmedium so zusammen: „Wie weit darf eine Demokratie gehen, den Einfluss einer Partei zu beschränken, von der viele glauben, sie wolle die Demokratie untergraben?“ Mit anderen Worten: Ab wann wird der ausgerufene Kampf für Demokratie zu einer Gefahr für den liberalen Rechtsstaat?

Der Rechtsstaat werde gleich an mehreren Fronten herausgefordert, analysiert die New York Times. Zum einen gebe es die AfD, die Deutschland zu einer illiberalen Demokratie nach dem Vorbild Ungarns oder Polens umbauen könnte. Und die ihren Einfluss bereits auf kommunal- und landespolitischer Ebene ausbaut.

Zum anderen regiere eine Koalition das Land, die der erstarkenden Partei gesetzliche Riegel vorschieben will – aber dadurch mächtige Mittel schafft, mit denen die AfD, einmal in Regierungsverantwortung, ihre Gegner politisch bekämpfen oder gar kriminalisieren könnte.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht offen über ihre Pläne. So soll in Zukunft kein Verhetzungs- oder Gewaltbezug mehr vorliegen müssen, damit Sicherheitsbehörden die Finanzströme rechtsextremer Organisationen austrocknen können: Allein das „Potenzial einer Gefährdung“ würde ausreichen.

Mitgliedern von Organisationen, die vom Verfassungsschutz lediglich als „Verdachtsfälle“ eingestuft werden, könnte der Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis drohen. Und Beamte, denen Kontakte zu Extremisten nachgesagt werden, müssten ihre Treue zur Verfassung eigens unter Beweis stellen – eine Beweislastumkehr, die mit der Idee des demokratischen Verfassungsstaates nur schwer zu vereinbaren ist.

13.03.2024

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Die New York Times deutet Faesers Vorhaben als einen Versuch, der AfD mit juristischen Mitteln Herr zu werden – nachdem die etablierten Parteien bereits mit ihrer Ausgrenzungsstrategie gescheitert sind. Doch „jedes Medikament hat Nebenwirkungen“, warnt das amerikanische Leitmedium. Die Bemühungen, die AfD zu schwächen, könnten „unbeabsichtigt zu einer Schwächung der demokratischen Funktionen in Deutschland führen“.

Dabei gibt der FDP-Politiker Stephan Thomae zu bedenken, man könne „nicht alle Probleme mit Gesetzen lösen“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion sagte der New York Times: „Es ist unsere politische Aufgabe, den Menschen zu erklären, dass das wahre Ziel der AfD darin besteht, die Grundlagen der Demokratie zu verändern.“

Im Bericht werden auch andere Wege genannt, mit denen Regierungsparteien die AfD im Zaum halten wollen. So etwa eine Gesetzesänderung, die die AfD von der G-10-Kommission des Hessischen Landtags fernhalten soll. Dieses kontrolliert die Arbeit der Geheimdienste. Jetzt soll ausschließlich die schwarz-rote Regierungskoalition über deren Besetzung entscheiden. Diese Gesetzesänderung berge die Gefahr, schreibt die New York Times, dass dadurch die Opposition in ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Regierungsmehrheit geschwächt werden könnte.

Auffällig: Nach der Veröffentlichung ihres Artikels hat die New York Times die Überschrift geändert. Aus dem Titel „In Deutschland stellt der Kampf gegen die extreme Rechte die Demokratie vor ein Dilemma“ wurde „Deutschland will die Machtübernahme der extremen Rechten verhindern“. Das ist aus der Rückwärtssuche via Wayback Machine ersichtlich.

QOSHE - New York Times: Nancy Faesers „Kampf gegen rechts“ schwächt die Demokratie - Nathan Giwerzew
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New York Times: Nancy Faesers „Kampf gegen rechts“ schwächt die Demokratie

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15.03.2024

Wer deutschen Regierungspolitikern zuhört, hat mitunter den Eindruck: Im „Kampf gegen rechts“ ist es fünf vor zwölf. Die AfD, die vom Verfassungsschutz als „extremistischer Verdachtsfall“ beobachtet wird, knackt in manchen Umfragen die Zwanzig-Prozent-Marke. Entsprechend will die Ampelkoalition Vorkehrungen treffen, um Rechtsextremismus effektiver bekämpfen zu können und staatliche Institutionen vor dem Zugriff der Partei zu schützen. Doch dieser Kampf wirft heikle Fragen auf, schreibt die New York Times.

Das Dilemma der Regierenden fasst das amerikanische Leitmedium so zusammen: „Wie weit darf eine Demokratie gehen, den Einfluss einer Partei zu beschränken, von der viele glauben, sie wolle die Demokratie untergraben?“ Mit anderen Worten: Ab wann wird der ausgerufene Kampf für Demokratie zu einer Gefahr für den liberalen Rechtsstaat?

Der Rechtsstaat werde gleich an mehreren Fronten herausgefordert, analysiert die New York Times. Zum einen gebe es die AfD, die Deutschland zu einer illiberalen Demokratie........

© Berliner Zeitung


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