Seit drei Jahren führt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als einen „extremistischen Verdachtsfall“. Das berechtigt die Behörde, die rechte Partei unter bestimmten Auflagen zu überwachen und V-Leute einzuschleusen, um Erkenntnisse zu sammeln. Dann erschütterte ein Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv die Republik.

Rechte hätten in Potsdam während eines Geheimtreffens „nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“ aufgrund ethnischer Kriterien geplant, war darin zu lesen – darunter Rechtsextreme wie der österreichische Identitäre-Bewegung-Aktivist Martin Sellner, aber auch solvente Unternehmer und Politiker von AfD und CDU. Sellner habe über „Remigration“ referiert, es sei unter anderem um die Vertreibung von Deutschen mit Migrationshintergrund gegangen. Quellen hätten gegenüber Correctiv die Aussagen der Teilnehmer belegt. Welche Quellen?, fragten sich viele. War womöglich der Verfassungsschutz gemeint?

Fest steht: Die Politik griff den Correctiv-Bericht schnell auf. Sie warnte vor Rechtsextremismus und der AfD, setzte sich an die Spitze der Demonstrationen „gegen Rechts“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach neun Tage nach Erscheinen des Berichts von „abstoßenden Umsiedlungsplänen“, die „Extremisten“ auf der „Geheimkonferenz“ ausgeheckt hätten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (ebenfalls SPD) sprach von „rassistischen Deportationsfantasien“ der Teilnehmer und zog Parallelen zur Ideologie der Nationalsozialisten. Den Rechten sei es in Potsdam darum gegangen, „Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Haltung zu vertreiben und zu deportieren“, so die Ministerin. Die Protestwelle gegen Rechts sah sie als „Auftrag und Ermutigung“ für eine Erweiterung der Kompetenzen des Verfassungsschutzes.

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Doch nach dem Unterlassungsantrag eines Teilnehmers des Treffens musste Correctiv vor Gericht zu Protokoll geben: Man habe im Bericht gar nicht behauptet, dass während des Treffens über „eine rechts-, insbesondere grundgesetzwidrige Verbringung oder Deportation deutscher Staatsbürger gesprochen“ worden sei, wie es in einem anwaltlichen Schriftsatz heißt. Vielmehr sei es den Teilnehmern hauptsächlich um den Entzug der doppelten Staatsbürgerschaft aus rassistischen Motiven gegangen.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte auf Anfrage, Faesers Maßnahmen-Plan gelte auch unabhängig vom Correctiv-Bericht. Aus dem Bundespresseamt hieß es lapidar, die Worte des Kanzlers stünden für sich. Jetzt sprach auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Gespräch mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) von „Deportationsfantasien des schlimmsten Ausmaßes“. Und weiter: „Eine Partei, die bei 20 Prozent ist, plant das.“

Doch wie gelangten der Kanzler und seine Minister zu diesen Einschätzungen – gab es andere Quellen oder Informationen außer des Correctiv-Berichts, die zum Beispiel „Umsiedlungspläne“ nahelegen? Wer als Bundestagsabgeordneter die Bundesregierung danach fragt, gelangt offenbar in einen geheimdienstlich sensiblen Bereich. So auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Leif-Erik Holm. Er fragte die Bundesregierung am 5. März schriftlich an und erhielt eine Woche später eine Antwort. Das Schreiben liegt der Berliner Zeitung exklusiv vor.

Darin schreibt das Bundesinnenministerium, die Bundesregierung könne seine Frage aufgrund „entgegenstehender überwiegender Belange des Staatswohls“ nicht beantworten. Daraus könnten nämlich „Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand“ des Bundesamts für Verfassungsschutz und „ggf. die nachrichtendienstlichen Methodiken und Arbeitsweisen ermöglicht werden“, wodurch die zukünftige Erkenntnisgewinnung des Nachrichtendienstes Schaden nehmen könne.

Das Bundesinnenministerium sieht sogar die „wirksame Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden“ und damit die „Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ in Gefahr, sollte es Informationen über seine Kenntnisse zum Treffen in Potsdam preisgeben. Im Schreiben ist ferner von „geheimhaltungsbedürftigen Informationen“ die Rede. Auf diese könne geschlossen werden, sofern sich die Frage des Abgeordneten „auf eine bestimmte Veranstaltung mit einem bestimmbaren Teilnehmerkreis sowie einem bestimmbaren Kreis an Personen“ beziehe, „die vorab Kenntnis von einer bestimmten Veranstaltung gehabt haben“.

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Das ist nebulös. Es ist anzunehmen, dass das Bundesinnenministerium mit der „bestimmten Veranstaltung“ ebenjenes rechte Treffen in Potsdam meint. Doch wer ist der Personenkreis, der nach Angaben des Verfassungsschutzes vorab Kenntnis von dem Treffen hatte – und dessen Namen offenbar so geheim sind, dass sie sogar das Staatswohl betreffen könnten?

Soweit öffentlich bekannt, waren in Potsdam die von Correctiv erwähnten Personen anwesend sowie ein verdeckter Reporter, der unter falschem Namen ins „Landhaus Adlon“ eingecheckt war. Zudem machten auch Investigativjournalisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace gemeinsam mit Correctiv Videoaufnahmen in Potsdam.

Die Frage, ob es weitere Quellen gibt, lässt das Bundesinnenministerium offen. Es könnten V-Leute gemeint sein oder andere Menschen, die von dem Treffen wussten. Über seine Maßnahmen zur Informationsbeschaffung schweigt der Verfassungsschutz ohnehin. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang berichtet direkt an Bundesinnenministerin Faeser. Die Erkenntnisse seiner Behörde sind – abgesehen von öffentlichen Verfassungsschutzberichten – streng vertraulich.

Im Fall des Treffens von Potsdam wurde dabei aber offenbar eine andere Behörde nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt: Der Verfassungsschutz Brandenburg, der ans Innenministerium des Landes angegliedert ist.

Das Bundesamt hat den Verfassungsschutz Brandenburg nach Auskunft von Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) erst nach Erscheinen der Correctiv-Recherche über seinen Kenntnisstand informiert und eine entsprechende Datensammlung verschickt. Im Landtag äußerte Stübgen am 24. Januar verhaltene Kritik am Bundesamt für Verfassungsschutz: „Ich hätte mir schon gewünscht, gerade wenn die Informationen älter sind, dass wir sie früher zur Kenntnis bekommen hätten“, sagte er.

Dabei legt ein Bericht des Focus nahe, dass die deutschen Verfassungsschützer nicht von selbst auf das Treffen aufmerksam geworden sein könnten. Demnach habe im Spätherbst der österreichische Inlandsgeheimdienst DSN das Bundesamt über das Treffen vorab informiert. Dieser habe intern harsche Kritik geübt, weil die „BfV-Zentrale diese Erkenntnisse nicht an die ortsansässigen Kollegen des Landesverfassungsschutzes“ weitergeleitet habe, so das Magazin. Ein Beamter wird mit den Worten zitiert: „Die haben uns wie Provinzheinis behandelt.“

Der Focus-Bericht erschien eine Woche bevor sich Stübgen im Landtag zum Behörden-Zwist geäußert hatte. Auf Anfrage der Berliner Zeitung sagt eine Sprecherin des Bundesamts für Verfassungsschutz, Medienberichte kommentiere die Behörde grundsätzlich nicht. Entsprechend nehme man auch nicht dazu Stellung, ob der Bericht des Focus zutreffe oder nicht.

Aber auch ein anderes Detail ist auffällig in der Antwort des Bundesinnenministeriums auf die Anfrage des AfD-Abgeordneten: Es verweigert explizit sämtliche parlamentarische Auskunftsmittel. Eine „Auskunft nach Maßgabe der Geheimschutzordnung und damit einhergehende Einsichtnahme über die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages“ scheide aus, heißt es im Schreiben.

Auch eine Stellungnahme zum Erkenntnisstand des Bundesamts gegenüber einem „begrenzten Kreis von Empfängern“ werde dem Schutzbedarf nicht gerecht, heißt es. Besonders brisant: „Die erbetenen Informationen betreffen gerade auch Akteure aus dem parlamentarischen Raum.“

Zwei Teilnehmer des Potsdam-Treffens sind Abgeordnete: Gerrit Huy ist Bundestagsabgeordnete, Ulrich Siegmund Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die rechtlichen Hürden für die Überwachung von Parlamentariern sind hoch, sie sollen immerhin ihr Mandat frei ausüben können. So dürfen etwa Abgeordnete laut Gesetz nicht als V-Leute angeheuert werden.

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Auch andere Teilnehmer waren zu dem Zeitpunkt parlamentarisch aktiv. So arbeitete etwa Roland Hartwig als persönlicher Referent der AfD-Chefin Alice Weidel, die auch der Fraktion vorsitzt. Und Arne Friedrich Mörig soll nach Informationen der Tagesschau den Aufbau einer Influencer-Agentur für die Bundes-AfD geplant haben und dafür direkt aus den Mitteln des Bundesvorstands bezahlt worden sein. Beiden wurde inzwischen von der AfD gekündigt.

Über eine mögliche Beobachtung der „Akteure aus dem parlamentarischen Raum“ soll die Öffentlichkeit nichts erfahren, das geht aus der Antwort hervor. Denn: Eine „Einsichtnahme über die Geheimschutzstelle könne Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand und die Arbeitsweise des BfV“ nach sich ziehen, „die die Aufgabenerfüllung und Funktionsfähigkeit des BfV beeinträchtigen könnten“. Daher müsse „ausnahmsweise“ das Fragerecht der Abgeordneten „aus Staatswohlgründen gegenüber den Geheimhaltungsinteressen der Bundesregierung zurückstehen“.

Eine Bestätigung für konkrete geheimdienstliche Maßnahmen in Bezug auf das Treffen in Potsdam ist diese Antwort nicht. Das Bundesinnenministerium lässt bewusst offen, ob beziehungsweise wie das Bundesamt für Verfassungsschutz in die Überwachung der Veranstaltung involviert gewesen sein könnte und woher es seine Informationen bezog. Anstatt Klarheit zu schaffen, dürfte die Bundesregierung mit ihrem Verweis auf „überwiegende Belange des Staatswohls“ nur für weitere Spekulationen sorgen.

Wenn es nach AfD-Politiker Leif-Erik Holm geht, lasse die „schwurbelige Antwort“ der Bundesregierung „im Grunde genommen keinen anderen Schluss zu“, als dass der Verfassungsschutz „im Vorfeld von dem Potsdamer Treffen informiert war und dieses observiert“ habe.

„Sollte dies der Fall sein“, und hier bleibt der Abgeordnete bewusst vorsichtig, „würde das die Correctiv-Affäre auf eine ganz neue Ebene hieven“. Die Hürden für eine Observation durch den Verfassungsschutz sind jedoch hoch. Im Einzelfall entscheidet die G-10-Kommission des Bundestags, ob observiert werden soll oder nicht. Es muss dafür tatsächliche Anhaltspunkte für Straftaten geben. Doch von möglichen rechtswidrigen Vorhaben der Teilnehmer des Potsdam-Treffens spricht nicht einmal mehr Correctiv.

Holm stellt auch eine andere Möglichkeit in den Raum: Es stelle sich ferner die Frage, „ob der Verfassungsschutz seine Informationen möglicherweise dem Correctiv-Netzwerk zur Verfügung gestellt“ habe, sagt er. Anette Dowideit, stellvertretende Chefredakteurin von Correctiv, hat diesen Vorwurf bereits im Januar öffentlich zurückgewiesen: „Wir haben auch keine Informationen vom Verfassungsschutz erhalten“, schrieb sie auf X.

Nein, unser Rechercheteam ist nicht staatlich finanziert und wird auch nicht von der Regierung oder dem Verfassungsschutz beauftragt und gesteuert. Wir haben auch keine Informationen vom Verfassungsschutz erhalten.

Doch Holm ist das nicht genug. Falls Correctiv „nicht den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit verlieren“ wolle, sollten die Journalisten des Medienhauses per eidesstattlicher Erklärung versichern, „dass sie im Fall ihrer Potsdamer Geschichte keinerlei Informationen und Unterstützung vom Verfassungsschutz hatten“. Ansonsten müsse man „leider annehmen, dass sich Correctiv zum willfährigen Instrument der Bundesregierung und des Verfassungsschutzes hat machen lassen“. Eine kuriose Forderung.

Holm appelliert auch an die Bundesregierung: Sollten ihr „die Inhalte der Gespräche durch den Verfassungsschutz vorliegen, muss sie diese veröffentlichen“. Gerade „in einem so wichtigen Wahljahr“ hätten die Bürger ein Recht zu erfahren, „was in Potsdam besprochen worden ist – und vor allem was nicht“. Es müsse „nun endlich die ganze Wahrheit auf den Tisch“. Er gibt sich überzeugt, eine gewisse Regierungsnähe von Correctiv lasse sich „aufgrund üppiger staatlicher Fördergelder und Exklusivtreffen mit Spitzenbeamten nicht mehr abstreiten“.

Ähnliche Spekulationen streut auch Ulrich Vosgerau. Der Staatsrechtler ist einer der prominenteren Teilnehmer des Treffens, kürzlich ließ er Correctiv vom Landgericht Hamburg eine Falschbehauptung untersagen. Er kündigt an, weitere Medien abmahnen zu wollen, die die Wertungen des Correctiv-Berichts ohne Gegenrecherche als vermeintliche Tatsachen wiedergegeben hätten. Vosgerau hatte die AfD in der Vergangenheit unter anderem im Rechtsstreit um die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung vertreten. Er selbst ist CDU-Mitglied und machte sich einen Namen als Kritiker der migrationspolitischen Entscheidungen von 2015.

Auf X schreibt Vosgerau am Dienstag von einer „Observation, die möglicherweise auch vom Verfassungsschutz in die Wege und angeleitet worden ist“. Seine Vermutung: Correctiv sei in jedem Fall von der Regierung „bezahlt“, möglicherweise aber auch „vom Verfassungsschutz informiert, instruiert und eingewiesen“ worden.

Vor einer Woche klang er indes noch anders. In der Talkshow „Stimmt!“ kommentierte er Andeutungen des Online-Magazins Tichys Einblick, wonach der Verfassungsschutz laut Sicherheitskreisen das „Landhaus Adlon“ abgehört habe, deutlich vorsichtiger. „Ich glaube derzeit eigentlich nicht, dass der Verfassungsschutz allzu viel damit zu tun hat“, sagte Vosgerau.

Er halte es zwar für plausibel, so Vosgerau damals, dass der österreichische Inlandsgeheimdienst das Bundesamt für Verfassungsschutz über das Stattfinden des Treffens informiert haben könnte. Doch inhaltlich relevant für den Verfassungsschutz sei die Potsdamer Runde womöglich erst infolge der Correctiv-Berichterstattung geworden.

Derweil hat das Bundesamt für Verfassungsschutz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt, V-Leute innerhalb der AfD eingesetzt zu haben. Das Gericht verhandelt eine Beschwerde der Partei gegen ihre Einstufung als „extremistischer Verdachtsfall“, mit der sie in der Vorinstanz bereits gescheitert war. Von einigen tausend inkriminierten Aussagen, die diese Einstufung stützen sollen, stammen laut Verfassungsschutz jedoch nur zwei von V-Leuten. Diese hätten auch keinen „steuernden Einfluss“ in der Partei.

Vor dem Hintergrund dieser Gerichtsverhandlung ist auch der Zeitpunkt der Anfrage von Leif-Erik Holm pikant. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, soll der Verfassungsschutz bereits ein Folgegutachten für die AfD vorbereiten – für den Fall, dass sie mit ihrer Beschwerde scheitert. Dann wäre die Partei eine „gesichert extremistische Bestrebung“ und stünde somit unter stärkerem politischem Druck als bislang. Der Prozess in Münster dürfte sich aber noch hinziehen: Nach zwei Verhandlungstagen hatte das Oberverwaltungsgericht am Mittwochabend das Urteil auf unbestimmte Zeit vertagt.

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Regierung verweigert Auskunft über Potsdamer Treffen: „Interessen der Bundesrepublik“ in Gefahr

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14.03.2024

Seit drei Jahren führt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als einen „extremistischen Verdachtsfall“. Das berechtigt die Behörde, die rechte Partei unter bestimmten Auflagen zu überwachen und V-Leute einzuschleusen, um Erkenntnisse zu sammeln. Dann erschütterte ein Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv die Republik.

Rechte hätten in Potsdam während eines Geheimtreffens „nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“ aufgrund ethnischer Kriterien geplant, war darin zu lesen – darunter Rechtsextreme wie der österreichische Identitäre-Bewegung-Aktivist Martin Sellner, aber auch solvente Unternehmer und Politiker von AfD und CDU. Sellner habe über „Remigration“ referiert, es sei unter anderem um die Vertreibung von Deutschen mit Migrationshintergrund gegangen. Quellen hätten gegenüber Correctiv die Aussagen der Teilnehmer belegt. Welche Quellen?, fragten sich viele. War womöglich der Verfassungsschutz gemeint?

Fest steht: Die Politik griff den Correctiv-Bericht schnell auf. Sie warnte vor Rechtsextremismus und der AfD, setzte sich an die Spitze der Demonstrationen „gegen Rechts“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach neun Tage nach Erscheinen des Berichts von „abstoßenden Umsiedlungsplänen“, die „Extremisten“ auf der „Geheimkonferenz“ ausgeheckt hätten.

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Doch nach dem Unterlassungsantrag eines Teilnehmers des Treffens musste Correctiv vor Gericht zu Protokoll geben: Man habe im Bericht gar nicht behauptet, dass während des Treffens über „eine rechts-, insbesondere grundgesetzwidrige Verbringung oder Deportation deutscher Staatsbürger gesprochen“ worden sei, wie es in einem anwaltlichen Schriftsatz heißt. Vielmehr sei es den Teilnehmern hauptsächlich um den Entzug der doppelten Staatsbürgerschaft aus rassistischen Motiven gegangen.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte auf Anfrage, Faesers Maßnahmen-Plan gelte auch unabhängig vom Correctiv-Bericht. Aus dem Bundespresseamt hieß es lapidar, die Worte des Kanzlers stünden für sich. Jetzt sprach auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Gespräch mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) von „Deportationsfantasien des schlimmsten Ausmaßes“. Und weiter: „Eine Partei, die bei 20 Prozent ist, plant das.“

Doch wie gelangten der Kanzler und seine Minister zu diesen Einschätzungen – gab es andere Quellen oder Informationen außer des Correctiv-Berichts, die zum Beispiel „Umsiedlungspläne“ nahelegen? Wer als Bundestagsabgeordneter die Bundesregierung danach fragt, gelangt offenbar in einen geheimdienstlich sensiblen Bereich. So auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Leif-Erik Holm. Er fragte die Bundesregierung am 5. März schriftlich an und erhielt eine Woche später eine Antwort. Das Schreiben liegt der Berliner Zeitung exklusiv vor.

Darin schreibt das Bundesinnenministerium, die Bundesregierung könne seine Frage aufgrund „entgegenstehender überwiegender Belange des Staatswohls“ nicht beantworten. Daraus könnten nämlich „Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand“ des Bundesamts für Verfassungsschutz und „ggf. die nachrichtendienstlichen Methodiken und........

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