„Dumpfer Populismus? Nein danke!“ Mit diesen Worten leiten mehrere große deutsche Zeitungen ihre Kampagne „Zusammenland“ ein. Man sei gegen die sogenannte Remigration von Freunden, Nachbarn und Kollegen, schreiben Zeit, Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung und das Medienhaus Ströer in einer doppelseitigen Anzeige. Unter dem „Motto Vielfalt macht uns stark!“ wird proklamiert, es gebe „keine Alternative zur Freiheit und Vielfalt“. Man stelle sich „mutig den Herausforderungen“, anstatt sich von „rechter Propaganda“ aufhetzen zu lassen.

Mehr als 500 Verlage, Unternehmen, Stiftungen und Verbände haben sich nach Angaben der Verlage der Kampagne angeschlossen – doch auch Behörden und Staatsunternehmen unterstützen die Aktion. Dabei sind etwa das Umweltbundesamt (UBA), das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), die Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund sowie die Deutsche Bahn. Eigentlich dürfen sie sich nicht parteipolitisch äußern: Es gilt das Neutralitätsgebot. Dieses legt fest, dass „sich staatliche Organe im Grundsatz unparteilich und neutral in Bezug auf politische Themen und gegenüber politischen Parteien verhalten sollten“, wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags zusammenfasst.

Der Teufel stecke hier im Detail, erklärt Volker Boehme-Neßler, Professor für öffentliches Recht an der Universität Oldenburg, im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Es wäre juristisch völlig unbedenklich gewesen, wenn die Verlage vor „rechtsextremistischer“ Propaganda gewarnt hätten. Denn diese richte sich gegen den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Rechte Ansichten und rechte Politik gehörten dagegen „zum zulässigen politischen Spektrum dazu“ – genau wie beispielsweise linke Politik oder eine Politik der Mitte.

Kurz gesagt: „In der Demokratie ist alles zulässig, außer Extremismus.“ In der Beteiligung staatlicher und staatsnaher Stellen an der Kampagne „Zusammenland“ sieht der Verfassungsrechtler „einen klaren Verstoß“ gegen das gesetzlich festgeschriebene Neutralitätsgebot.

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Auf Anfrage der Berliner Zeitung bestreiten sämtliche beteiligten Staatsunternehmen beziehungsweise Bundesämter, das Neutralitätsgebot verletzt zu haben.

Die dem Bundesinnenministerium unter Leitung von Nancy Faeser (SPD) zugeordnete Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung teilt mit, sie stelle sich „gegen jede Form von Propaganda und Populismus“. Dabei beruft sie sich darauf, wie die Bundeszentrale für politische Bildung den Begriff „Propaganda“ definiert: „Wer Propaganda betreibt, möchte nicht diskutieren und mit Argumenten überzeugen, sondern mit allen Tricks die Emotionen und das Verhalten der Menschen beeinflussen.“

Daher handle es sich bei der Beteiligung der Hochschule an „Zusammenland“ nicht um eine Verletzung des Neutralitätsgebots, argumentiert ein Sprecher. Vielmehr sei vom öffentlichen Dienst zu erwarten, dass dieser „für die im Grundgesetz normierten Werte“ und somit „gegen jede Form von Propaganda“ einstehe, sagt er.

Zudem verweist er auf die „einschlägige Kommentarliteratur“ zum Bundesbeamtengesetz. Er interpretiert sie so: Beamte seien zwar zur parteipolitisch neutralen Amtsführung verpflichtet. Ebenso sehr gelte für sie jedoch auch die Pflicht, „parteipolitische Anliegen als politische Ziele der Exekutivspitze loyal zu fördern, wenn und soweit sich diese Anliegen innerhalb der Verfassungs- und Rechtsordnung bewegen“. Dies sei auch Teil der Strategie „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“ der Bundesregierung.

Ein Sprecher der DRV Bund lässt die Berliner Zeitung wissen, das Neutralitätsgebot sehe man „durch klare Bekenntnisse zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht berührt“. Die DRV Bund ist eine selbstverwaltete Körperschaft des öffentlichen Rechts. Damit hat sie vom Staat den Auftrag erhalten, für die Rentenversicherung ihrer Kunden zu sorgen.

Auch die Deutsche Bahn betont, sie äußere sich „grundsätzlich nicht parteipolitisch“, da sie als „Unternehmen im Staatseigentum“ dem Neutralitätsgebot verpflichtet sei. Trotzdem setze sie sich mit ihrer Dachstrategie „Starke Schiene“ bewusst für ein „vereintes demokratisches Europa“ ein, so eine Sprecherin gegenüber der Berliner Zeitung.

Wer sich mit der Geschichte und auch mit der Eisenbahn in Deutschland beschäftigt hat, weiß, wohin Antisemitismus, Rassismus und eine antidemokratische Politik führen. Wir stehen auf und beziehen Position. Gemeinsam stark in einem vielfältigen #Zusammenland. #niewiederistjetzt pic.twitter.com/YWPn8HQrrL

Darüber hinaus sei die Deutsche Bahn „ein Unternehmen aus der Mitte der Gesellschaft“, das Vielfalt lebe: „Wir sind ein weltoffenes, international tätiges Unternehmen mit Mitarbeitenden aus vier Generationen und mehr als 100 Kulturkreisen.“ Man pflege eine „Kultur des Erinnerns, des Engagements und der Solidarität“ und setze sich „offen und kritisch“ mit der eigenen Geschichte auseinander. Für diese Haltung stünden das Unternehmen und die Konzernvorstandsmitglieder „persönlich bei vielen Gelegenheiten ein“, so die Sprecherin – etwa durch die Unterstützung der Kampagne „Zusammenland“ oder mit dem alljährlichen Wettbewerb „Bahn-Azubis gegen Hass und Gewalt“.

Das Umweltbundesamt hat nach eigener Aussage seine Neutralitätspflicht ebenfalls „in der Tat geprüft“. Dabei sei es zum Ergebnis gekommen, „dass diese wegen des Gesamtcharakters der Aktion gewahrt wird“. Bei „verständiger Würdigung“ richte sie sich nicht gegen eine oder mehrere Parteien, sondern gegen Rechtsextremismus.

Und weiter: „Die Organisatoren der Initiative und das Umweltbundesamt setzen sich für Offenheit und Vielfalt ein, welche in der wissenschaftlichen Debatte und damit auch für das UBA und seine Arbeit unerlässlich ist.“ Die Mitwirkung an der Aktion sei „rein ideell“, es sei „keine finanzielle Beteiligung“ erfolgt.

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie teilt mit, es sehe „das Neutralitätsgebot gewahrt“. Ein Sprecher erklärt: „Ziel der Anzeigenkampagne ist der Einsatz für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat und damit die Stärkung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“ Gemeinsam mit über 300 Wissenschaftseinrichtungen und 20 Ressortforschungseinrichtungen verwehre man sich „gegen Hass und Spaltung der Gesellschaft“. Darauf verweist auch das Umweltbundesamt in einer Pressemitteilung. Um welche Forschungseinrichtungen es sich genau handelt? Ein Sprecher empfiehlt, sich an die „Veranstalter der Aktion“ zu wenden.

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Die Zeit bewirbt die Kampagne prominent auf ihrer Website. Doch wer genau sich an der Kampagne beteiligt, kann eine Sprecherin auf Anfrage der Berliner Zeitung nicht sagen. „Wir haben interessierten Institutionen angeboten, das Social Media Kit frei herunterzuladen“, erklärt sie. „Deshalb haben wir keinen kompletten Überblick über alle Unterstützer.“

Durch eine Recherche des Medienmagazins kress pro ist indes bekannt geworden, dass von den größeren deutschen Medienhäusern die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und der Spiegel auf eine Teilnahme an der Kampagne verzichteten. Der Spiegel teilte dem Magazin mit, er beteilige sich „grundsätzlich“ nicht an Kampagnen, weil er seine „journalistische Position nicht verlassen“ möchte.

Die FAZ sagte gegenüber kress pro, sie stehe für „Freiheit und Demokratie“ in der täglichen Berichterstattung ein. Ihr Weg sei jedoch „die inhaltlich-analytische Auseinandersetzung mit den wichtigen Themen dieser Zeit“. Daher habe man sich gegen die Beteiligung an dieser Kampagne entschieden, „die – zwangsläufig wie alle Kampagnen – mit Verkürzungen und Schlagworten arbeiten muss“.

QOSHE - Trotz Neutralitätsgebot: Staatliche Stellen beteiligen sich an Kampagne „Zusammenland“ - Nathan Giwerzew
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Trotz Neutralitätsgebot: Staatliche Stellen beteiligen sich an Kampagne „Zusammenland“

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03.04.2024

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Der Teufel stecke hier im Detail, erklärt Volker Boehme-Neßler, Professor für öffentliches Recht an der Universität Oldenburg, im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Es wäre juristisch völlig unbedenklich gewesen, wenn die Verlage vor „rechtsextremistischer“ Propaganda gewarnt hätten. Denn diese richte sich gegen den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Rechte Ansichten und rechte Politik gehörten dagegen „zum zulässigen politischen Spektrum dazu“ – genau wie beispielsweise linke Politik oder eine Politik der Mitte.

Kurz gesagt: „In der Demokratie ist alles zulässig, außer Extremismus.“ In der Beteiligung staatlicher und staatsnaher Stellen an der Kampagne „Zusammenland“ sieht der Verfassungsrechtler „einen........

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