Am Donnerstagmorgen war die Aufregung groß. Die Wochenzeitung Junge Freiheit berichtete, Polizeibeamte im vorpommerschen Ribnitz-Damgarten hätten am 27. Februar eine 16-jährige Schülerin aus dem Unterricht geholt. Der Schulleiter des Gymnasiums habe sie gerufen, weil sie Deutschland auf sozialen Medien ihre Heimat genannt habe – und wegen eines harmlosen TikTok-Videos, in dem sie schrieb: „Die Schlümpfe sind blau und Deutschland auch.“ Das erzählte zumindest ihre Mutter dem Blatt. Etliche Medien griffen den Bericht auf, anschließend sprach die Mutter auch mit dem Online-Portal „Nius“ und der Bild-Zeitung.

Einem Bericht der Welt zufolge könnte aber alles ganz anders gewesen sein. Die Polizeiinspektion Stralsund teilte der Zeitung mit: Anlass für den Polizeibesuch sei nicht das Schlumpf-Video gewesen und auch nicht das Statement des Mädchens, Deutschland sei seine Heimat. Sondern Screenshots, die Parolen der Neonazi-Partei Der III. Weg und der rechtsextremen Identitären Bewegung zeigen. In der Recherche ist auch vom Buchstabenpaar „HH“ die Rede, das angeblich auf ein Oberteil des Mädchens gestickt war. Eine Hinweisgeberin habe all dies auf Social-Media-Profilen der Jugendlichen entdeckt und die Screenshots per Mail an die Schule weitergeleitet, so die Welt. Daraufhin habe der Schulleiter die Polizei informiert.

Dabei sorgte in den sozialen Medien vor allem das Detail der angeblich aufgestickten Buchstaben „HH“ für Aufregung. So schrieb Ex-Bild-Chefredakteur und „Nius“-Journalist Julian Reichelt kurz nach Erscheinen des Welt-Berichts, dabei handle es sich lediglich um das Logo der Bekleidungsmarke Helly Hansen und nicht um einen rechtsradikalen Code: „Tatsächlich trägt das Mädchen schlicht eine Helly-Hansen-Jacke mit dem Marken-Logo.“

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17.03.2024

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Später veröffentlichte Welt-Autor Tim Röhn Auszüge aus der Mail, auf die sich sein Bericht stützt. Es handle sich dabei um Informationen zu den Social-Media-Posts der Schülerin, die „uns die Polizei mitgeteilt hat“, schreibt er. Darin ist zu lesen: „Der dunkle Kapuzenpullover/-jacke hat die Buchstaben ‚HH‘ aufgestickt.“ Röhn stellte klar: „Wir wissen nicht, ob es Helly Hansen ist oder nicht“. Man stütze sich lediglich auf die Beschreibungen der Polizei, die Screenshots lägen der Welt nicht vor.

Herr Warweg, ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Wir wissen nicht, ob es Helly Hansen ist oder nicht. Siehe auch unser Text: Das - s.u. - ist es, was uns die Polizei mitgeteilt hat. Die Screenshots selbst wurden - auf Bitten der Mutter - exklusiv “Nius” zugespielt. pic.twitter.com/F4TG1wZbJ4

Und er konterte mit einem Gegenvorwurf: Die Screenshots seien „Nius“ auf Bitten der Mutter exklusiv zugespielt worden. Für diesen Zugang zu Mutter und Tochter – kürzlich erschien bei „Nius“ ein Interview mit der Tochter – habe das Online-Portal jegliche kritische Distanz gegenüber deren Version der Geschichte vermissen lassen. In dem Welt-Bericht ist zu lesen, die Mutter sei für ein Statement nicht zu erreichen gewesen.

Ein bemerkenswertes Detail ist in dem Trubel um den Welt-Bericht untergegangen: Warum geht die Polizei erst jetzt mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit? Bislang hatte sich die zuständige Polizeidirektion Stralsund bedeckt gehalten. Kurz nach Erscheinen des Berichts in der Jungen Freiheit veröffentlichte sie eine kurze Pressemitteilung. Darin heißt es, das Polizeirevier Ribnitz-Damgarten habe „den Hinweis von der Schulleitung“ erhalten, einen „möglichen strafrechtlich relevanten Sachverhalt zu prüfen“.

Es hätten Informationen vorgelegen, so die Polizei weiter, „wonach eine Schülerin mutmaßlich staatsschutzrelevante Inhalte in sozialen Netzwerken verbreitet haben könnte“. Im Gespräch sei es auch darum gegangen, „sie vor möglichen Anfeindungen zu schützen, die sich aus ihren Aktivitäten in sozialen Netzwerken ergeben könnten“. Zu den mutmaßlich von der Schülerin verbreiteten Inhalten war in der Mitteilung nichts Genaueres zu lesen.

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Auf Anfrage der Berliner Zeitung erklärt die Polizeidirektion Stralsund, man habe zum „Schutz der Persönlichkeitsrechte der Jugendlichen“ zunächst darauf verzichtet, „die Inhalte der infrage stehenden Posts aus der Hinweis-E-Mail preiszugeben“. Durch die anhaltende Berichterstattung der AfD, der Jungen Freiheit und weiterer Medien „mit den Erzählungen vermeintlicher ‚Schlumpf-Videos‘“ sei jedoch eine „Kommunikationslücke“ entstanden. Deshalb hätte man entschieden, „die Screenshots verbal zu beschreiben und zu veröffentlichen“.

Fast wortgleich hatte sich zuvor die Landtagsfraktion der Regierungspartei SPD gegenüber der Welt geäußert. Die Berliner Zeitung wollte wissen: Liegen ihr genauere Informationen zu den Inhalten vor, die die Schülerin auf sozialen Medien verbreitet hatte? Und hält es die Fraktion für sinnvoll, künftig sofort mit Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen, um derartigen „Kommunikationslücken“ vorzubeugen? Ein Sprecher verweist auf die Statements, die man bereits der Welt gegeben habe. Er bittet um Verständnis: Die Fragen der Berliner Zeitung könne er nicht zeitnah beantworten.

Es stellen sich indes auch andere Fragen im Zusammenhang mit dem Vorfall – Fragen, die das Verhalten der Mutter betreffen. In der Pressemitteilung ist zu lesen, die Polizei hätte mit ihr telefoniert. Sie habe ebenso wie ihre Tochter Verständnis für den Einsatz gezeigt. Wie ist dann zu erklären, dass die Frau an die Junge Freiheit herangetreten ist, um die Schlumpf-Geschichte in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen?

Auch das Vorgehen des Schulleiters wirft Fragen auf. Selbst wenn die Schülerin tatsächlich Parolen des III. Wegs und der Identitären Bewegung geteilt haben sollte: Warum suchte er nicht zuerst das Gespräch mit den ihr oder ihren Eltern, sondern informierte sofort die Polizei? War der Polizeieinsatz wirklich notwendig, wenn selbst die Beamten später zu dem Schluss kamen, dass die Social-Media-Posts von der Meinungsfreiheit gedeckt sind?

Fest steht: Der Vorfall am Gymnasium in Ribnitz-Damgarten ist seit Tagen ein Politikum. So machte am Donnerstag ein Video des stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Enrico Schult, die Runde. Schult befragte im Landtag Innenminister Christian Pegel (SPD) zum Vorgehen der Beamten. Pegel sagte, wenn die Polizei gerufen werde, komme sie nun einmal. Er glaube an die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes. AfD-Chefin Alice Weidel schrieb an demselben Tag auf X von „staatlicher Gängelung“ sowie von einer „Methodik, mit der die politische Elite gegen Andersdenkende vorgeht“.

Dann reisten Aktivisten der Identitären Bewegung nach Ribnitz-Damgarten. Am Montag entrollten sie am Gymnasium ein Banner mit der Parole: „Heimatliebe ist kein Verbrechen“. Auch „Papa Schlumpf“ war auf dem Banner zu sehen.

QOSHE - Wurde über das Schlumpf-Video gelogen? Die Polizei spricht von  „Kommunikationslücke“ - Nathan Giwerzew
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Wurde über das Schlumpf-Video gelogen? Die Polizei spricht von  „Kommunikationslücke“

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19.03.2024

Am Donnerstagmorgen war die Aufregung groß. Die Wochenzeitung Junge Freiheit berichtete, Polizeibeamte im vorpommerschen Ribnitz-Damgarten hätten am 27. Februar eine 16-jährige Schülerin aus dem Unterricht geholt. Der Schulleiter des Gymnasiums habe sie gerufen, weil sie Deutschland auf sozialen Medien ihre Heimat genannt habe – und wegen eines harmlosen TikTok-Videos, in dem sie schrieb: „Die Schlümpfe sind blau und Deutschland auch.“ Das erzählte zumindest ihre Mutter dem Blatt. Etliche Medien griffen den Bericht auf, anschließend sprach die Mutter auch mit dem Online-Portal „Nius“ und der Bild-Zeitung.

Einem Bericht der Welt zufolge könnte aber alles ganz anders gewesen sein. Die Polizeiinspektion Stralsund teilte der Zeitung mit: Anlass für den Polizeibesuch sei nicht das Schlumpf-Video gewesen und auch nicht das Statement des Mädchens, Deutschland sei seine Heimat. Sondern Screenshots, die Parolen der Neonazi-Partei Der III. Weg und der rechtsextremen Identitären Bewegung zeigen. In der Recherche ist auch vom Buchstabenpaar „HH“ die Rede, das angeblich auf ein Oberteil des Mädchens gestickt war. Eine Hinweisgeberin habe all dies auf Social-Media-Profilen der Jugendlichen entdeckt und die Screenshots per Mail an die Schule weitergeleitet, so die Welt. Daraufhin habe der Schulleiter die Polizei informiert.

Dabei sorgte in den sozialen Medien vor allem das Detail der angeblich aufgestickten Buchstaben „HH“ für Aufregung. So schrieb Ex-Bild-Chefredakteur und „Nius“-Journalist Julian Reichelt kurz nach Erscheinen des Welt-Berichts, dabei handle es sich lediglich um das Logo der Bekleidungsmarke Helly Hansen und nicht um einen rechtsradikalen Code: „Tatsächlich trägt das Mädchen schlicht eine Helly-Hansen-Jacke mit dem........

© Berliner Zeitung


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