Den Saal der Pressekonferenz, direkt neben dem Artium der Deutschen Bank in Berlin-Mitte, betritt die estnische Ministerpräsidentin mit vier, fünf weiteren Frauen. „Das geht hier aber ruhig und friedlich zu“, sagt Kaja Kallas, während sich etwa 20 Journalisten – vorrangig aus Berlin und Estland – schon mal überlegen, ob die bundesdeutsche Debatte rund ums „Einfrieren“ des Ukraine-Krieges oder die Ambitionen der Estin als Nato-Generalsekretärin als erste Fragen kommen.

„Jeder muss mehr machen, wir investieren nicht genug“, sagt die 46-Jährige, die nur wenige Minuten später den Walther-Rathenau-Preis für ihr außenpolitisches Lebenswerk entgegennimmt. Kallas meint damit eine mögliche Reform der westlichen Militärallianz – bisher gilt unter den 32 Mitgliedsstaaten das Zwei-Prozent-Ziel. Also jedes Nato-Mitglied, von Kanada bis Montenegro soll, seit dem Gipfel in Wales 2014, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung und Militär ausgeben. Kommt nun, in Anbetracht des zwei Jahre andauernden Ukraine-Krieges, das Drei-Prozent-Ziel?

„Pazifismus ist in heutigen Zeiten Selbstmord“, sagt Kallas, angesprochen auf die Gedankenspiele von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der vergangene Woche ein Einfrieren des Ukraine-Krieges in Erwägung zog. Die Estin, und das sagt sie in wenigen Minuten mehrmals, ist felsenfest davon überzeugt, dass Wladimir Putin nur eine „starke, resiliente und verteidigungsfähige Nato“ ernst nehme. Ein Einfrieren wiederum, so Kallas, bringe „kein Ende der russischen Besatzung und kein Ende dem menschlichen Leid in der Ukraine“.

Auch wenn Kallas die westlichen Verbündeten in ihrer Unterstützung für Kiew lobt , gibt es, und da spricht sie für das gesamte Baltikum in der Russlandpolitik, stets Verbesserungspotential. „Wir in Estland investieren mehr als 3,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung“, so die Ministerpräsidentin, „unsere Partner sollten das Gleiche tun, denn ansonsten provozieren wir Russland durch unsere Schwäche.“ Beiläufig sagt sie, dass Putin sehr wohl nach der Ukraine auch Moldau und das Baltikum „auf dem Zettel habe“.

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Der estnischen Ministerpräsidentin sei zwar bewusst, dass ein Anheben des Zwei-Prozent-Ziels in einigen westeuropäischen Gesellschaften keine Jubelstürme hervorheben werde – allerdings müsse man, so Kallas, im Sinne der Verteidigung auch unbeliebte Schritte gehen: „Wir haben keine Wahl, es geht um unsere Freiheit.“

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Kallas wurde während ihres Berlin-Besuchs immer wieder zur möglichen Kandidatur als neue Nato-Generalsekretärin angesprochen. Sie galt lange Zeit, neben dem Niederländer Mark Rutte, als aussichtsreiche Kandidatin für den Posten in Brüssel. Der jetzige Generalsekretär Jens Stoltenberg scheidet planmäßig im Herbst dieses Jahres aus dem Amt. Auch wenn Experten derzeit angesichts der Unterstützung der „großen“ vier Nato-Mitglieder (USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien) für Rutte einen Vorteil attestieren, hofft Kallas auf Veränderung im westlichen Militärbündnis. Außerdem, so heißt es, komme Kallas konfrontative Art im Umgang mit Russland nicht bei allen Verbündeten gut an.

„Ich wünsche mir einen Kandidaten aus Osteuropa, eine Person mit einem diverseren und kreativeren Ansatz in der Verteidigungspolitik“, so Kallas. Außerdem solle der neue Generalsekretär aus einem Land kommen, das die Zwei-Prozent-Ziele einhält. Die estnische Regierung werde sich noch beraten und dann entscheiden, wen man unterstützen werde. In den vergangenen Tagen wurde der Name des rumänischen Präsidenten Klaus Johannis mit der Nato-Stelle in Verbindung gebracht. In Rumänien haben erst kürzlich die Arbeiten an der größten Nato-Militärbasis in Europa begonnen – wohl ganz im Sinne der estnischen Ministerpräsidentin.

QOSHE - „Pazifismus ist Selbstmord“: Kaja Kallas bringt Drei-Prozent-Ziel der Nato ins Gespräch - Nicolas Butylin
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„Pazifismus ist Selbstmord“: Kaja Kallas bringt Drei-Prozent-Ziel der Nato ins Gespräch

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20.03.2024

Den Saal der Pressekonferenz, direkt neben dem Artium der Deutschen Bank in Berlin-Mitte, betritt die estnische Ministerpräsidentin mit vier, fünf weiteren Frauen. „Das geht hier aber ruhig und friedlich zu“, sagt Kaja Kallas, während sich etwa 20 Journalisten – vorrangig aus Berlin und Estland – schon mal überlegen, ob die bundesdeutsche Debatte rund ums „Einfrieren“ des Ukraine-Krieges oder die Ambitionen der Estin als Nato-Generalsekretärin als erste Fragen kommen.

„Jeder muss mehr machen, wir investieren nicht genug“, sagt die 46-Jährige, die nur wenige Minuten später den Walther-Rathenau-Preis für ihr außenpolitisches Lebenswerk entgegennimmt. Kallas meint damit eine mögliche Reform der westlichen Militärallianz – bisher gilt unter den 32 Mitgliedsstaaten das Zwei-Prozent-Ziel. Also jedes Nato-Mitglied, von Kanada bis Montenegro soll, seit dem Gipfel in Wales 2014, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung und Militär ausgeben. Kommt nun, in Anbetracht des zwei Jahre andauernden........

© Berliner Zeitung


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