Beobachter attestieren Usbekistan eine außergewöhnliche geopolitische Lage. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den damit einhergehenden ökonomischen Veränderungen in Eurasien erkennt Usbekistan in vielen Lebensbereichen große Potenziale für sich. Digitalisierung und Modernität stehen im politischen Taschkent ganz oben auf der Agenda. Dafür benötigen die Usbeken aber noch etwas Zeit – und vor allem Aufmerksamkeit. Denn man träumt in Zentralasien davon, das nächste Dubai oder Singapur zu werden.

Um den hohen Ansprüchen der jungen Bevölkerung – etwa 45 Prozent der 35 Millionen Einwohner sind jünger als 25 Jahre – gerecht zu werden, reisen Politiker, Ökonomen und IT-Spezialisten durch die Welt und werben für ihr Projekt des „Neuen Usbekistans“. Ob nach China oder Russland, nach Indien, in die arabische Welt, in die USA oder nach Westeuropa: Die Usbeken gehören weltweit zu den wenigen, die noch mit allen großen Akteuren den Kontakt suchen. Die Berliner Zeitung traf sich deshalb mit dem CEO des größten IT-Parks in Usbekistan, einer Art Silicon Valley in Taschkent. Am Rande einer Wirtschaftskonferenz konnten wir in der Lobby des Marriot-Hotels am Tiergarten mit Farkhod Ibragimov sprechen.

Herr Ibragimov, Sie sind der Chef des IT-Parks in Taschkent, Usbekistan. Wie kam es zu dem Boom der IT-Branche in Ihrem Land?

Alles begann im Jahr 2017, als wir eine neue Entwicklungsphase unserer Republik einleiteten. Präsident Mirziyoyev führte das „Neue Usbekistan“ ein. Denn schauen Sie: Vor über sieben Jahren lebte unser Land von eher traditionellen Ressourcen und landwirtschaftlichen Bodenschätzen. Unsere bedeutendste Ressource sind allerdings unsere Bürger: Mehr als 35 Millionen – meist junge – Menschen leben in Usbekistan, wir sind das geburtenstärkste Land unter allen GUS-Staaten, und deshalb beschloss unsere Führung den Ausbau des IT-Sektors und die Förderung von Digitalisierungsprojekten.

Doch warum investieren Sie so viel in den weltweit umkämpften IT-Sektor?

Wir sind mit Liechtenstein die einzigen zwei Staaten der Erde, die mindestens zwei Landesgrenzen passieren müssen, um Zugang zu den Weltmeeren zu bekommen. An den unterschiedlichen Landesgrenzen haben wir verschiedene Zollvorschriften und Logistikkosten – wir sind so kaum wettbewerbsfähig. Und wie Sie vielleicht wissen, haben wir großartige Wassermelonen und Tomaten. Aber leider lohnt es sich ökonomisch kaum, diese gewinnbringend zu exportieren. Das Investment in die IT-Branche ist dagegen unsere Chance. In dem Bereich gibt es keine Landesgrenzen.

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Was ist denn das Besondere Ihrer Digitalisierungsstrategie?

Die Regierung gewährte noch nie dagewesene Vorteile für IT-Unternehmen, die sich in Usbekistan niederlassen. Zu Beginn haben wir Registrierungsprozesse erleichtert und die juristische Gemengelage so angepasst, dass sich kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups gründen konnten. Außerdem sind die Kosten für ausländische Kunden in Usbekistan wesentlich niedriger als woanders; die Steuern wurden drastisch gesenkt; es gibt IT-Visa. Wir stellten jedoch fest, dass sich in den ersten Jahren des IT-Parks trotz der ökonomischen Vorteile nur um die 200 Unternehmen neu in Usbekistan ansiedelten, die auch noch hauptsächlich auf den heimischen Markt ausgerichtet waren. Unsere Strategie war jedoch, dass wir den Export ankurbeln, ausländische Devisen anlocken – dass wir ein Ökosystem schaffen, das für ausländische Unternehmen reizvoll ist. Deshalb investieren wir nun sehr stark in Business Process Outsourcing, kurz BPO. Ganze Geschäftsprozesse einer Firma werden so internetbasiert nach Usbekistan ausgelagert. Und schauen Sie: Von 200 registrierten Unternehmen sind wir in unserem IT-Park in wenigen Jahren auf mehr als 2000 angewachsen.

Man könnte annehmen, Ihre Regierung investiert fleißig in den IT-Park – oder wie wird das „usbekische Silicon Valley“ finanziert?

Nein, aus dem Regierungshaushalt bekommen wir kein Geld. Wir finanzieren uns aus den Unternehmen, die sich im IT-Park ansiedeln. Monatlich geht ein Prozent des Umsatzes jeder Firma an den IT-Park Usbekistan.

In Westeuropa kennen einige wenige den Technologiepark „Astana Hub“ in der kasachischen Hauptstadt, der auf dem ehemaligen Expo-Gelände gebaut wurde. Eine Art Vorbild für Taschkent?

Wir wollen sogar noch weiter vorausschauen. Unser Ziel ist es nämlich, in ganz Usbekistan mehrere Outsourcing-Hubs aufzubauen. In Taschkent, der Hauptstadt, haben wir im Elite-Bezirk unser Hauptquartier mit mehreren Wolkenkratzern. Aber wir haben auch Büros in den Regionen, in Samarkand, in Buchara, im Fergana-Tal und in der autonomen Republik Karakalpakistan. Im ganzen Land stellen wir Räumlichkeiten zur Verfügung, und dabei muss sich niemand mit bürokratischen Hindernissen herumschlagen.

Ein kleiner Seitenhieb gegen Deutschland?

Ich möchte nur festhalten, dass ich anderthalb Jahre dafür gebraucht habe, um in Deutschland einen Vertreter unseres IT-Parks registrieren zu lassen. Das zeigte auch für mich: Deutschland hat einen katastrophalen Mangel an IT-Spezialisten, die solche Prozesse vereinfachen können. Lange bürokratische Prozesse erweisen sich in jedem Wirtschaftsbereich als wettbewerbshemmend, und dem entkommt man gezielt in Usbekistan.

Könnten Sie konkrete Beispiele nennen, also deutsche Unternehmen, die derzeit in Usbekistan erfolgreich sind?

Mir fällt da vor allem das Stuttgarter Unternehmen „Plug and Play“ ein. Sie investieren weltweit in Start-ups, verbinden verschiedene Netzwerke und bringen hoch qualifizierte Leute aus allerlei Digitalbranchen zusammen. Sie gehören mit zu den größten Playern in unserem IT-Park. Derzeit befinden wir uns allerdings noch in einer Phase, in der wir zunächst kleine und mittelgroße Unternehmen zu uns nach Usbekistan einladen – Gewerbe mit weniger als 1000 Mitarbeitern. Diese Firmen bekommen dann die besten Talente unseres Landes. Jedes Jahr strömen nämlich mehrere hunderttausend junge und motivierte Menschen auf den Arbeitsmarkt – die meisten sind mit Anfang 20 schon Experten in Informations- und Kommunikationstechniken.

Haben Sie denn mit Ihrem IT-Park Vorbilder? Hierzulande hat sich Estland als IT-Hub einen Namen gemacht – übrigens wie auch Usbekistan ein Land, das bis 1991 Teil der Sowjetunion war.

Die Esten haben sich auf die Herstellung eigener Digitalprodukte konzentriert und nicht aufs Outsourcing – denn in Estland leben nur knapp über eine Million Menschen. Unser Ziel ist es, mit dem menschlichen Kapital, das wir haben, ein Outsourcing-Hub zu werden. Das erste Land, zu dem wir hochgeschaut haben, war Indien. Dort hat man schon in den 1980er-Jahren mit ausgefeilten Outsourcing-Strategien angefangen. Ein anderes Beispiel ist Belarus – in Minsk wurde vor wenigen Jahren ein hochmoderner Technologiepark gegründet. Und natürlich das Dubai International Financial Center – die machen ein fantastisches Marketing. Aber wir verfolgen auch sehr genau, wie in anderen Ländern ähnliche Digitalisierungsambitionen an Fahrt gewinnen: in Osteuropa in Polen und Rumänien und in Nordafrika beispielsweise in Ägypten und Marokko.

Was braucht denn der IT-Sektor in Usbekistan, damit man als „postsowjetischer Tiger“ auf einer Ebene mit Ländern wie Singapur wahrgenommen wird?

Zeit. Wir brauchen lediglich Zeit. Ich nenne Ihnen mal eine Zahl: Wir erwarten, dass bis 2030 die Exporte in unserer Branche fünf Milliarden Euro betragen werden. Derzeit sind wir bei einer Milliarde. Und wir brauchen Aufmerksamkeit, dass Menschen sehen, was man alles in unserem Land erreichen kann.

Usbekistan befindet sich ja auch in einer – sagen wir – spannenden geopolitischen Lage. Nach der russischen Invasion in der Ukraine sind einige, zumeist hoch qualifizierte, Menschen aus Russland, der Ukraine und Belarus nach Usbekistan geflüchtet – darunter viele sogenannte „digitale Nomaden“. Haben Sie ein Interesse, dass die Menschen auch längerfristig im Land bleiben?

Ja, unbedingt! Wir haben uns nämlich das Ziel gesetzt, mehr als 100.000 Senior-IT-Spezialisten in Usbekistan anzusiedeln. Da ist es uns in erster Linie egal, ob sie englisch- oder russischsprachig sind oder welcher Religion sie angehören. Wir sind nicht Teil irgendwelcher Militärblöcke, sondern wir gehen unseren eigenen, neutralen Weg. Zu allen unserer geografischen Nachbarn haben wir gute Beziehungen. Und das ist auch wichtig für einen florierenden IT-Sektor. Schauen Sie, bei uns im IT-Park sind alle Russen, Ukrainer oder Belarussen miteinander im Frieden. Und das ist ein Vermächtnis unseres Präsidenten: Einer der wenigen Staatsführer, der mit allen Seiten kooperiert. Mit Washington, Berlin, Brüssel, Peking und Moskau. Das ist unsere Stärke und macht uns außergewöhnlich.

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CEO des usbekischen Silicon Valley: „Deutschland hat katastrophalen Mangel an IT-Spezialisten“

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27.04.2024

Beobachter attestieren Usbekistan eine außergewöhnliche geopolitische Lage. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den damit einhergehenden ökonomischen Veränderungen in Eurasien erkennt Usbekistan in vielen Lebensbereichen große Potenziale für sich. Digitalisierung und Modernität stehen im politischen Taschkent ganz oben auf der Agenda. Dafür benötigen die Usbeken aber noch etwas Zeit – und vor allem Aufmerksamkeit. Denn man träumt in Zentralasien davon, das nächste Dubai oder Singapur zu werden.

Um den hohen Ansprüchen der jungen Bevölkerung – etwa 45 Prozent der 35 Millionen Einwohner sind jünger als 25 Jahre – gerecht zu werden, reisen Politiker, Ökonomen und IT-Spezialisten durch die Welt und werben für ihr Projekt des „Neuen Usbekistans“. Ob nach China oder Russland, nach Indien, in die arabische Welt, in die USA oder nach Westeuropa: Die Usbeken gehören weltweit zu den wenigen, die noch mit allen großen Akteuren den Kontakt suchen. Die Berliner Zeitung traf sich deshalb mit dem CEO des größten IT-Parks in Usbekistan, einer Art Silicon Valley in Taschkent. Am Rande einer Wirtschaftskonferenz konnten wir in der Lobby des Marriot-Hotels am Tiergarten mit Farkhod Ibragimov sprechen.

Herr Ibragimov, Sie sind der Chef des IT-Parks in Taschkent, Usbekistan. Wie kam es zu dem Boom der IT-Branche in Ihrem Land?

Alles begann im Jahr 2017, als wir eine neue Entwicklungsphase unserer Republik einleiteten. Präsident Mirziyoyev führte das „Neue Usbekistan“ ein. Denn schauen Sie: Vor über sieben Jahren lebte unser Land von eher traditionellen Ressourcen und landwirtschaftlichen Bodenschätzen. Unsere bedeutendste Ressource sind allerdings unsere Bürger: Mehr als 35 Millionen – meist junge – Menschen leben in Usbekistan, wir sind das geburtenstärkste Land unter allen GUS-Staaten, und deshalb beschloss unsere Führung den Ausbau des IT-Sektors und die Förderung von Digitalisierungsprojekten.

Doch warum investieren Sie so viel in den weltweit umkämpften IT-Sektor?

Wir sind mit Liechtenstein die einzigen zwei Staaten der Erde, die mindestens zwei Landesgrenzen passieren müssen, um Zugang zu den Weltmeeren zu........

© Berliner Zeitung


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