Hundert Meter lange Menschenschlangen prägten das Berliner Stadtbild am Sonntag. In Deutschland lebende Russen waren nämlich aufgerufen, zu den Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abzugeben – viele aus Protest, weil allen bewusst war, dass Wladimir Putin seine insgesamt fünfte Amtszeit antreten wird. Eine Frau stahl ihm jedoch – zumindest in Berlin – kurzzeitig die Show.

Und für diesen vermeintlichen Fauxpas sorgt zunächst die Botschaft selbst: Am Sonntagvormittag, gegen 10 Uhr, postet die russische Auslandsvertretung ein Video auf X, ehemals Twitter. Der Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, Sergej Netschajew, ist mit einer Frau zu sehen. Beide laufen auf die durchsichtige Wahlurne zu und geben ihre Stimme in einem Briefumschlag ab. So weit nichts Besonderes – auch nicht in der russischen Botschaft.

A woman wearing a blue and yellow scarf came to the polling station in the Russian embassy in Berlin. Russian ambassador in Germany Sergey Nechaev is near her. pic.twitter.com/H64qqfNKUg

Allerdings merken kurze Zeit später einige User den markanten Schal der Frau an. Im Video hat der Schal nämlich eine blau-gelbe Farbkombination. Dieselben Farben zieren unter anderem die ukrainische Nationalflagge. In sozialen Netzwerken spekulierten nun einige, ob die Dame damit ein politisches Statement abgeben wollte. Immer wieder artikulieren Kriegsgegner innerhalb Russlands anhand ihrer Kleidung ihre Anti-Kriegs-Haltung. Passanten, die zum Beispiel in der Moskauer Metro eine grellgelbe Jacke und blaue Jeans tragen, müssen sich darauf einstellen, von Polizisten zumindest befragt zu werden. Oder hat sich die Frau in dem Video schlichtweg keine Gedanken gemacht, inwieweit das Social-Media-Team der Botschaft den Wahltag begleitet. Und warum läuft Botschafter Netschajew lächelnd direkt hinter der Frau mit dem vermeintlichen Ukraine-Schal?

„Mich wundert ja, dass die Frau mit ihrem blau-gelben Ukraine-Schal in die Botschaft gelassen wurde. Da hat der Sicherheitsdienst aber ganz schön geschlafen“, twittert beispielsweise ein User. Ein ukrainischer Account, dem wohl nicht bewusst ist, um wen es sich bei der Frau handelt, schreibt von einem „heroischen Akt“. In einem weiteren Kommentar heißt es, die Frau trage einen „wunderschönen“ Schal; andere attestieren ihr wiederum „Mut“ für eine solche Aktion. Ein offensichtlich pro-ukrainischer Account schreibt, die mutigsten Russen seien „die Älteren“. Doch was genau hat es mit dem Schal auf sich?

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Das Außenministerium in Moskau spricht nun nämlich von einem „Fake des Jahrhunderts“. In einem Telegram-Post schreibt das Außenministerium Folgendes: „Angeblich hat der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, während der Abstimmung in unserer Botschaft in Berlin eine Frau mit einem Schal in den Farben der ukrainischen Flagge zur Wahlurne begleitet. ‚Die gewisse Frau‘ ist die Frau des Botschafters, Nina Wiktjewna.“ Und der Schal sei – laut Botschaft – eigentlich mehrfarbig, mit Schattierungen von Schwarz, Gelb, Weiß und Blau. Den „skrupellosen Medien“ wirft das Ministerium nun „Manipulation“ vor. Auch russische Medien berichten von dem Vorfall.

Alles also mal wieder eine Frage der Perspektive? Denn in der Tat hat der Schal mehrere Farben, wie mit einem genaueren Blick zu sehen ist. In dem Videoschnipsel fällt zwar die blau-gelbe Farbkombination ins Auge – das Hyperventilieren auf X, Telegram und Co. zeigt dann jedoch vielmehr, dass voreilige Rückschlüsse in sozialen Netzwerken mal wieder eine Konjunktur haben. Und im Zweifel sogar „der eigenen Sache“ schaden.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten an der Macht hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin mit 87,28 Prozent der Stimmen zum fünften Mal im Amt bestätigen lassen. Insgesamt haben nach Angaben der Wahlkommission mehr als 76 Millionen Russen für Putin gestimmt. Wahlberechtigt waren etwa 114 Millionen Menschen. Die nächsten Präsidentschaftswahlen in Russland finden 2030 statt.

QOSHE - Zeigt der Schal der Botschafter-Gattin die ukrainische Fahne? - Nicolas Butylin
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Zeigt der Schal der Botschafter-Gattin die ukrainische Fahne?

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18.03.2024

Hundert Meter lange Menschenschlangen prägten das Berliner Stadtbild am Sonntag. In Deutschland lebende Russen waren nämlich aufgerufen, zu den Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abzugeben – viele aus Protest, weil allen bewusst war, dass Wladimir Putin seine insgesamt fünfte Amtszeit antreten wird. Eine Frau stahl ihm jedoch – zumindest in Berlin – kurzzeitig die Show.

Und für diesen vermeintlichen Fauxpas sorgt zunächst die Botschaft selbst: Am Sonntagvormittag, gegen 10 Uhr, postet die russische Auslandsvertretung ein Video auf X, ehemals Twitter. Der Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, Sergej Netschajew, ist mit einer Frau zu sehen. Beide laufen auf die durchsichtige Wahlurne zu und geben ihre Stimme in einem Briefumschlag ab. So weit nichts Besonderes – auch nicht in der russischen Botschaft.

A woman wearing a blue and yellow scarf came to the polling station in the Russian embassy in Berlin. Russian ambassador in Germany Sergey Nechaev is near her.........

© Berliner Zeitung


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