Sie war rekordverdächtig: Als die RB26 noch nach Polen fuhr, galt die Regionalbahnlinie wegen ihrer Fahrgastzahl als eine der wichtigsten internationalen Bahnverbindungen ab Berlin. War – denn der grenzüberschreitende Abschnitt nach Kostrzyn (Küstrin) ist seit 2021 unterbrochen, die Fahrgäste müssen Bus fahren. Jetzt gibt es allerdings eine gute Nachricht: Nach mehreren Verzögerungen zeichnet sich ein neuer Termin für die Wiedereröffnung ab, und diesmal stehen die Chancen gut, dass er gehalten wird.

Es ist viel los in dem Video der Deutschen Bahn (DB), das man sich bei YouTube anschauen kann. Gleise werden verlegt, Beton wird gegossen. Von allen Seiten ist zu sehen, wie die Trasse auf der neuen Oderbrücke zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn wächst. Doch der Star ist eindeutig das Bauwerk selbst – ein weithin sichtbarer Blickfang mit den beiden weiß leuchtenden Stahlbögen und dem eleganten Netzwerk aus Carbonhängern, das den ebenfalls weißen Überbau trägt. Ebenfalls immer im Blick: die grüne Flusslandschaft der Oder im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Polen.

Zu Beginn des 136 Sekunden langen Films liest man, dass er der Tagung der deutsch-polnischen Infrastrukturgruppe vom 15. April gewidmet ist. Am Ende erscheint eine Datumsangabe: 29. Juli 2024 – und dann: „Die Brücke wird in Betrieb genommen“, in Deutsch und Polnisch. Damit gibt es zum ersten Mal ein konkretes Datum, ab wann zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn wieder Züge über die Oder fahren könnten.

„Das ist der mir bekannte Sachstand“, bestätigt Frank Schütz, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Ostbahn. Alexander Kaczmarek, Konzernbevollmächtigter der DB für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, dementiert den Termin nicht. Ende Juli sei grundsätzlich richtig, sagt er der Berliner Zeitung. Es könne aber sein, dass sich die Eröffnung noch etwas verschiebt – je nachdem, wie die Terminkalender der erwarteten hochrangigen Gäste aussähen. Denn klar sei, dass es sich hier um ein wichtiges internationales Bahnprojekt handelt, betont der DB-Manager.

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Zwar war die Ostbahn, zu der dieser Abschnitt gehört, schon mal wichtiger. Die auf vielen Abschnitten schnurgerade Strecke, auf der einst Schnellzüge ins damalige Königsberg oder nach Danzig rollten, fiel nach dem Zweiten Weltkrieg in einen Dornröschenschlaf. Für Güterzüge blieb der Grenzübergang geöffnet, Personenzüge aus Strausberg endeten in Küstrin-Kietz. Ab 1992 war Kostrzyn von Berlin aus wieder regelmäßig direkt per Zug erreichbar, und die Fahrgastzahlen stiegen. Nach einer Ausschreibung übernahm die Niederbarnimer Eisenbahn (DB) mit ihren Dieseltriebwagen die Linie RB26 von der DB.

Doch seit mehr als zweieinhalb Jahren ist wieder in Küstrin-Kietz auf der Westseite der Oder Schluss. Die alte Oderbrücke, die im Ersten Weltkrieg beschädigt wurde und im Zweiten Weltkrieg umkämpft war, war am Ende. 2015 begann der Wettbewerb für einen Neubau, den das Architekturbüro Schüßler-Plan aus Berlin gewann. Mit Knights Architects aus London entwarfen die Planer ein 260 Meter langes Bauwerk, das die Bahn als Hightech-Brücke vorstellt. Es wird im Bahnverkehr die weltweit erste Netzwerkbogenbrücke mit Carbonhängern sein, meldet die DB stolz. „Durch den elastischen Stoff und die innovative Bautechnik besteht das Bauwerk aus einer materialsparenden und umweltfreundlichen Konstruktion.“

Doch das Projekt am Rand des Oderbruchs ging lange langsamer voran als geplant. Anfangs hieß es, dass die neue, für Tempo 120 ausgelegte Bahnbrücke nach Polen Ende 2022 fertig würde. Dann war von Mai 2023 die Rede, von Ende 2023, zuletzt von März 2024. Der Personalmangel in der Bauwirtschaft war von Anfang an auch hier zu spüren. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine trug dazu bei, dass Lieferketten nicht funktionierten und Materialengpässe entstanden. Während des Bauprojekts stellte sich zudem heraus, dass der Korrosionsschutz mangelhaft war. Er musste von der gesamten Brückenoberfläche, 11.000 Quadratmeter, entfernt und neu aufgetragen werden. Dann verzögerten sich die Betonarbeiten am Fahrweg; sie sind nicht bei jedem Wetter möglich.

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Nun zeichnet sich die Eröffnung der Oderquerung ab. Auf dem neuen Streckenabschnitt ist Tempo 120 möglich, und er wird für eine Elektrifizierung vorbereitet. Allerdings ist weiterhin ungewiss, ob die Ostbahn auf ihrem deutschen Abschnitt jemals wieder größere Bedeutung bekommen wird. Zwar setzen sich Berlin und Brandenburg dafür ein, die nach dem Zweiten Weltkrieg teilweise demontierte Strecke wieder zweigleisig auszubauen und mit einer Fahrleitung zu versehen. Ein konkreter Plan liegt inzwischen vor. Doch der Bund hält die Ostbahn nur für regional bedeutsam. Anfang des Jahres blockierte er ihre Aufnahme in das transeuropäische Verkehrsnetz, kurz TEN-V.

Als die alte Brücke 2021 gesperrt wurde, begann eine harte Zeit für die Fahrgäste der Linie RB26 – darunter viele Berufspendler aus Polen. Seitdem müssen sie zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn auf den Schienenersatzverkehr umsteigen. Weil jedoch auch die Brücke im Verlauf der Bundesstraße B1 ein Tragfähigkeitsproblem hat, können nur Kleinbusse verkehren. Das ist nicht nur unbequem für die Fahrgäste, sondern auch kostspielig für den Betreiber NEB. Dabei haben die Fahrgäste genug andere Probleme. So fahren die Triebwagen oft nur einzeln und nicht in Doppeltraktion. Dann wird es eng.

Kein Wunder, dass die ersten Kommentare skeptisch ausfallen. Die Nachricht von der neuen Oderbrücke „glaube ich erst, wenn ich es selbst erlebt habe“, heißt es bei Facebook. „Guter Witz“ lautet eine weitere Entgegnung. Ob es wirklich einer ist, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Von Sommer 2024 war bereits die Rede. Zwischenzeitlich war auch zu hören, dass die Strecke nach Kostrzyn erst im Dezember 2024 wieder aufgeht. Aber wie heißt es bei Facebook: „Hoffen kann man ja ...“

QOSHE - Oderbrücke nach Küstrin: Berlin erhält eine internationale Bahnverbindung zurück - Peter Neumann
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Oderbrücke nach Küstrin: Berlin erhält eine internationale Bahnverbindung zurück

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30.04.2024

Sie war rekordverdächtig: Als die RB26 noch nach Polen fuhr, galt die Regionalbahnlinie wegen ihrer Fahrgastzahl als eine der wichtigsten internationalen Bahnverbindungen ab Berlin. War – denn der grenzüberschreitende Abschnitt nach Kostrzyn (Küstrin) ist seit 2021 unterbrochen, die Fahrgäste müssen Bus fahren. Jetzt gibt es allerdings eine gute Nachricht: Nach mehreren Verzögerungen zeichnet sich ein neuer Termin für die Wiedereröffnung ab, und diesmal stehen die Chancen gut, dass er gehalten wird.

Es ist viel los in dem Video der Deutschen Bahn (DB), das man sich bei YouTube anschauen kann. Gleise werden verlegt, Beton wird gegossen. Von allen Seiten ist zu sehen, wie die Trasse auf der neuen Oderbrücke zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn wächst. Doch der Star ist eindeutig das Bauwerk selbst – ein weithin sichtbarer Blickfang mit den beiden weiß leuchtenden Stahlbögen und dem eleganten Netzwerk aus Carbonhängern, das den ebenfalls weißen Überbau trägt. Ebenfalls immer im Blick: die grüne Flusslandschaft der Oder im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Polen.

Zu Beginn des 136 Sekunden langen Films liest man, dass er der Tagung der deutsch-polnischen Infrastrukturgruppe vom 15. April gewidmet ist. Am Ende erscheint eine Datumsangabe: 29. Juli 2024 – und dann: „Die Brücke wird in Betrieb genommen“, in Deutsch und Polnisch. Damit gibt es zum ersten Mal ein konkretes Datum, ab wann zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn wieder Züge über die Oder fahren könnten.

„Das ist der mir bekannte........

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