Fußverkehr: So etwas gibt es? Na klar – und er ist in Berlin besonders wichtig. Denn fast ein Drittel aller Wege in der Hauptstadt werden zu Fuß zurückgelegt. Als einzige Metropole hat Berlin seit mehr als drei Jahren ein Gesetz, das Gehen sicherer und attraktiver machen will. Darin findet sich auch die Forderung, dass Berlin einen Fußverkehrsplan erlassen muss, der Maßnahmen festlegt. Jetzt hat eine Abgeordnete beim Senat nachgefragt, wo der seit 2021 versprochene Masterplan eigentlich bleibt.

„Die Sicherheit der Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, hat bei Schwarz-Rot keine Priorität“, sagt Oda Hassepaß, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Zwar ist in der Antwort, die sie jetzt vom Senat auf ihre Anfrage hin erhielt, von einem Entwurf des Fußverkehrsplans die Rede. Doch Claudia Elif Stutz, seit einem Jahr Staatssekretärin für Verkehr, kann keinen Zeitplan nennen. Die Dauer des Verfahrens sei „abhängig von Umfang und Inhalt der gegebenenfalls vorgebrachten Anmerkungen“, teilte die CDU-Politikerin mit. Konkreter Sachstand, konkrete Termine: Fehlanzeige.

Dabei ist die Rechtslage klar: Spätestens Ende Februar 2024 hätte der Senat einen Fußverkehrsplan für Berlin beschließen müssen. Der Paragraf 52, der mit anderen Bestimmungen zum Fußverkehr im Februar 2021 ins Mobilitätsgesetz eingefügt wurde, gab ihm drei Jahre Zeit. Der Masterplan soll zum Beispiel festlegen, wo das Fußverkehrsnetz erneuert und ausgebaut werden soll, Ampelanlagen und Beleuchtung modernisiert werden müssen. Das Gesetz sieht vor, ihn alle fünf Jahre zu aktualisieren.

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Doch nun ist nicht einmal klar, wann mit dem ersten Aufschlag zu rechnen ist. „Der Plan rückt in weite Ferne“, so Oda Hassepaß. „Dass bei diesen Antworten eine Beschlussfassung überhaupt noch in diesem Jahr erfolgen kann, ist höchst fraglich.“

Während Tempo 30 an Hauptstraßen rückgängig gemacht werden soll, könne für den Fußverkehrsplan kein Termin genannt werden, bemängelt die Abgeordnete. „Warme Worte der Senatorin schützen die Berliner Kinder und Senior:innen, die besonders viel zu Fuß unterwegs sind, nicht. Es braucht konkrete Maßnahmen.“ In anderen Metropolen wie Lyon, Rom, London, Paris oder Barcelona konnte die Sicherheit für Fußgänger erhöht werden. „Leider scheint es Schwarz-Rot für Berlin am Willen zu fehlen, dem Erfolgstrend zu folgen und verharrt im alten Status quo“, meint Hassepaß.

•vor 8 Std.

gestern

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Ein zentrales Ziel sei die Vision Zero: keine Schwerverletzten und Toten mehr im Straßenverkehr. Doch die Unfallbilanz der Berliner Polizei zeigt, dass der Trend in die andere Richtung geht. Danach gehörten Fußgänger auch im vergangenen Jahr zu den Risikogruppen. So wurden 2320 Unfälle mit Fußgängern registriert, ein Plus von neun Prozent. Die Zahl der Verunglückten wuchs im Vergleich zum Jahr davor auf 2050, das ist eine Zunahme um elf Prozent.

Elf Fußgänger wurden im vergangenen Jahr in Berlin getötet, 2022 waren es zehn. In sechs Fällen wurden die tödlichen Kollisionen von Zu-Fuß-Gehenden verursacht, so die Polizei. Sie seien auf die Fahrbahn gelaufen, ohne auf den übrigen Verkehr zu achten. In den anderen Fällen trugen Kraftfahrer die Schuld – etwa, weil sie beim Wenden und Rückwärtsfahren Fußgänger übersahen, wie aus der Unfallbilanz hervorgeht.

Dabei war Berlin in Sachen Fußverkehr in der Poleposition. So verabschiedete der Senat 2011 die Fußverkehrsstrategie. Damit war Berlin die erste deutsche Großstadt mit einem solchen Masterplan. Er listete auf, was im Einzelnen zu tun sei. Mit seinen zahlreichen Maßnahmen, Projekten und Konzepten gehörte das Werk zu den anspruchsvollsten Verkehrsplänen jener Zeit. Doch längst nicht alle Ziele wurden umgesetzt.

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Ebenfalls als einzige Stadt in Deutschland hat Berlin ein Gesetz, das einen Abschnitt zum Fußverkehr enthält. Er wurde vor drei Jahren nach einer langen Diskussion mit Verbänden ins Mobilitätsgesetz eingefügt. Zu den Themen gehören Fußverkehrsnetze, die Führung des Fußverkehrs an Baustellen und Fahrbahnquerungen. In Paragraf 55 steht: „Grundsätzlich sollen zwei hintereinanderliegende Fußgängerfurten, die durch eine Mittelinsel oder einen Fahrbahnteiler getrennt und mit einer Lichtzeichenanlage gesichert sind, in einem Zug gequert werden können.“ Allerdings gibt es weiterhin viele Ampelanlagen, an denen Fußgänger auf der Mittelinsel erneut warten müssen.

Paragraf 58, Absatz drei, sieht vor, dass Senat und Bezirksämter zwölf Modellprojekte anschieben. Doch nur ein kleiner Teil wurde tatsächlich angegangen. Andere Projekte, etwa die Umwandlung der Hagenauer Straße im Bezirk Pankow in eine „Klimastraße“, wurden begonnen, dümpeln vor sich hin. Pop-up-Zebrastreifen, wie sie Paragraf 55 für die Neueröffnung sozialer Einrichtungen vorsieht, wurden gar nicht umgesetzt.

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Der Linke-Abgeordnete Niklas Schenker bemängelte 2022, dass die damals noch von den Grünen geleitete Senatsverwaltung das Gesetz nicht umsetze. „Wir brauchen dringend sichere Gehwege, mehr Aufenthaltsqualität und Flächengerechtigkeit für Fußgänger:innen“, sagte er. „Nicht nur beim Ausbau von Radwegen, auch bei der Förderung des Fußverkehrs wäre dringend mehr Tempo geboten.“

Die Gesetzgeber haben sich sogar darum gekümmert, dass in Berlin mehr Sitzbänke aufgestellt werden. Paragraf 54 fordert ein „Programm zur Errichtung und Erneuerung freier Sitzgelegenheiten ohne Konsumzwang“. Einige Bezirke stellten zusätzliche Bänke auf. Aber auch dieses Versprechen kann von Bürgern nicht eingeklagt werden. So geriet dieser Teil des Berliner Mobilitätsgesetzes schon bald in Vergessenheit – was auch für den Fußverkehrsplan gilt.

QOSHE - Risikogruppe Fußgänger: Wo bleibt der Masterplan für bessere Fußwege in Berlin? - Peter Neumann
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Risikogruppe Fußgänger: Wo bleibt der Masterplan für bessere Fußwege in Berlin?

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24.04.2024

Fußverkehr: So etwas gibt es? Na klar – und er ist in Berlin besonders wichtig. Denn fast ein Drittel aller Wege in der Hauptstadt werden zu Fuß zurückgelegt. Als einzige Metropole hat Berlin seit mehr als drei Jahren ein Gesetz, das Gehen sicherer und attraktiver machen will. Darin findet sich auch die Forderung, dass Berlin einen Fußverkehrsplan erlassen muss, der Maßnahmen festlegt. Jetzt hat eine Abgeordnete beim Senat nachgefragt, wo der seit 2021 versprochene Masterplan eigentlich bleibt.

„Die Sicherheit der Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, hat bei Schwarz-Rot keine Priorität“, sagt Oda Hassepaß, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Zwar ist in der Antwort, die sie jetzt vom Senat auf ihre Anfrage hin erhielt, von einem Entwurf des Fußverkehrsplans die Rede. Doch Claudia Elif Stutz, seit einem Jahr Staatssekretärin für Verkehr, kann keinen Zeitplan nennen. Die Dauer des Verfahrens sei „abhängig von Umfang und Inhalt der gegebenenfalls vorgebrachten Anmerkungen“, teilte die CDU-Politikerin mit. Konkreter Sachstand, konkrete Termine: Fehlanzeige.

Dabei ist die Rechtslage klar: Spätestens Ende Februar 2024 hätte der Senat einen Fußverkehrsplan für Berlin beschließen müssen. Der Paragraf 52, der mit anderen Bestimmungen zum Fußverkehr im Februar 2021 ins Mobilitätsgesetz eingefügt wurde, gab ihm drei Jahre Zeit. Der Masterplan soll zum Beispiel festlegen, wo das Fußverkehrsnetz erneuert und ausgebaut werden soll, Ampelanlagen und Beleuchtung modernisiert werden müssen. Das Gesetz sieht vor, ihn........

© Berliner Zeitung


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