Der Sieger gibt sich erst mal konziliant. „Jede Partei, auch unsere, muss jetzt über ihren Schatten springen“, sagt Geert Wilders. Er hatte erst am Wahltag zu einer Party geladen. So überraschend kam der Umschwung. Nun steht er vor rotem Plüsch in einem Volkscafé in Scheveningen. Von dort sind es nur ein paar Tramstationen zum Sitz des niederländischen Regierungschefs in Den Haag.

Die Freiheitspartei PVV des Schattenmanns Wilders holte 37 Sitze bei den Wahlen in den Niederlanden, ein Zuwachs von 20 Mandaten. Zweiter großer Sieger: Pieter Omtzigt mit seiner Reformpartei Nieuw Sociaal Contract (NSC, Neuer Gesellschaftsvertrag). Die erst vor drei Monaten gegründete Allianz des ehemaligen Christdemokraten holte aus dem Stand 20 Sitze. Dilan Yesilgöz, Spitzenkandidatin der rechtsliberalen Partei VVD des scheidenden Regierungschefs Mark Rutte, kam auf 24 Abgeordnete (minus zehn). Das neue rot-grüne Klimabündnis des früheren Vizechefs der EU-Kommission Frans Timmermans erreichte 25 Sitze (plus acht Mandate). So weit die Zahlen.

Auf dieser Basis ist Wilders, 60, die Macht kaum zu nehmen. Vor fast 18 Jahren hatte er seine Freiheitspartei gegründet: rechts, populistisch und islamkritisch. „Milder“ sei er geworden, heißt es im Land. Der neue Milde klingt am Wahlabend so: „Der Wähler hat es satt, supersatt“, bellt Wilders und hämmert hinterher: „Wir sind die größte Partei. Die Hoffnung der Menschen ist, dass sie ihr Land zurückkriegen. Dass die Niederländer wieder ganz oben stehen. Dass wir den Asyl-Tsunami und die Migration begrenzen. Dass die Menschen wieder mehr Geld in ihrem Portemonnaie haben. Dass die zig Milliarden, die wir ausgeben, wieder bei unseren Menschen landen.“ Muslimische Verbände meldeten noch am Wahlabend Befürchtungen an. Verständlich.

Wilders ist klug genug, jetzt abzudimmen. Zumindest verbal. „Bis jetzt haben wir Wahlkampf geführt. Jetzt müssen wir verhandeln“, sagt er. Dabei lässt der neue Rechte keinen Zweifel: „Wir wollen regieren.“ Wilders will. Unbedingt.

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Das Parlament verfügt insgesamt über 150 Sitze. Wilders’ Rechtskoalition zeichnet sich schon in der Nacht zu Donnerstag ab. Pieter Omtzigt, 49, war zuletzt in Umfragen abgesackt. Die 20 Mandate, die seine NSC holt, zeigen aber: In Hollands politischer Landschaft ist viel in Bewegung. „Meine andere Funktion liegt nun in Den Haag“, sagt Omtzigt. Eine Anspielung auf Rutte, der ihn einst mit den Worten „andere Funktion“ vom Kabinett fernhalten wollte. Omtzigt hatte zu viele unbequeme Fragen gestellt in einem von Rutte vertuschten Skandal um unrechtmäßig einbehaltenes Kindergeld. Nun ist der Aufrechte zurück. Und wie. „Das Ergebnis wird von vielen verlangen, über ihren Schatten zu springen.“ Kein Zweifel. Omtzigt springt.

Fehlt noch ein dritter Bündnispartner. Dilan Yesilgöz, 46, Justizministerin von Ruttes rechtsliberaler Partei VVD, ziert sich am Wahlabend noch. Doch die Tendenz ist klar: „Der Vorteil liegt nicht bei uns“, gesteht sie ihre Niederlage ein. Ein Bündnis mit Wilders lehnt sie nicht mehr kategorisch ab. Am Donnerstag tagt die Fraktion. Yesilgöz hatte auf einen strikten Antimigrationskurs gesetzt. Als Frau und Kind kurdischer Geflüchteter war das vielen aber nicht vermittelbar. Ganz so offen sind sie dann doch nicht in den Niederlanden. Yesilgöz muss nun erst mal den Aufstand der alten weißen Männer in den eigenen Reihen überstehen. Gut möglich, dass ein Kabinettsposten die eigenen Ansprüche sichert. Vorerst. Die Politik rächt sich gern an Verlierern. Früher oder später.

Wilders hatte vorab schon mal Bedingungen gestellt. „Wenn sie ihre doppelte Staatsbürgerschaft aufgibt“, hatte er zu einem möglichen Ministeramt für Yesilgöz gesagt. So hart verlief der Wahlkampf. Und so polyphon kann Wilders. Ein steter Wanderer zwischen lautem Poltern und ernsthafter Politik.

Seit Pim Fortuyn 2002 wabert die populistische Rechte durchs Land. In verschiedenen Parteien. Wilders mag nun den Koran im Land nicht mehr verbieten. Auch Moscheen müssten nicht schließen. Politikwissenschaftlerin Léonie de Jonge von der Universität Groningen lässt aber keinen Zweifel: „Muslimfeindlich, autoritär, den Klimawandel leugnend – Wilders ist der Protoptyp eines Rechtspopulisten“, sagt sie am Wahlabend. Auch aus der EU will Wilders das Land führen. Inhaltlich muss noch viel geklärt werden im neuen Bündnis für die Niederlande.

„Raus aus der EU geht gar nicht für unsere Bauern“, stellt auch Caroline van der Plas, die Chefin der Antiklimapartei Bauer-Bürger-Bewegung klar. Ihre Landbewegung holte acht Mandate. Obwohl ihre Partei zur Mehrheitsbildung nicht benötigt wird, könnte auch sie zum Team Wilders stoßen. Es geht bei einer Koalition nicht nur um die Sitzverteilung, sondern auch um die innere Arithmetik. Van der Plas sichert Wilders’ Bündnis ein bisschen mehr Wutbürgertum. Einfach wird das Regieren ohnehin nicht. Wilders’ Bewegung ist enorm gewachsen, Omtzigts Partei komplett neu, auch die BBB-Abgeordneten sind unerfahren. Es wird rumpeln in Nederland.

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Van der Plas hatte mit ihrer Bewegung im März noch die Wahlen zum Senat dominiert. Nun fällt sie ab. Das zeigt, wie wechselhaft die politischen Entwicklungen im Land sind. Vom „zwevenden kiezer“, dem schwebenden Wähler, sprechen Politikwissenschaftlerinnen wie Léonie de Jonge. Er hat über den taktischen Wähler dominiert an diesem Abend. Denn Hollands Wählerschaft wandert nicht nur schnell, sie entscheidet auch extrem volatil mit Blick auf den ökonomischen Nutzen. So wird die Wahl im Stimmlokal zur Bauchentscheidung wie die Bestellung im Fast-Food-Imbiss. Das Votum als situative Sache. Einen neuen Wählertyp beschreiben sie in den Niederlanden. Sozioökonomisch qua niedrigem Einkommen eher links, soziokulturell qua Einstellungen zu Migration und Genderpolitik eher rechts. De Jonges Fazit zum Wahlabend: „Links hat keinen Anspruch auf Sozialpolitik.“

Links hatte in dieser Wahl viel Neues versucht. Sozialdemokraten und Grüne sind erstmals ein gemeinsames Listenbündnis eingegangen. Der Fokus lag auf dem Klima. Der gemeinsame Spitzenkandidat Frans Timmermans tritt erst spät am Wahlabend auf. Als er Wilders zum Sieg gratulieren will, buht die Halle in Amsterdam. Timmermans winkt ab und sagt: „Die Wähler haben entschieden. Wir sind Demokraten. Und wir werden die Demokratie verteidigen.“ Emotional, kämpferisch, mitreißend – Timmermans hielt die beste Rede seiner Kampagne. Leider erst nach Schließung der Wahllokale. Insgesamt klang der Geschlagene aber sehr nach Opposition. Rechts marschiert durch in den Niederlanden.

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QOSHE - Rechtsruck in den Niederlanden? Taktische Wähler bringen Geert Wilders zum Wahlkampfsieg - Peter Riesbeck
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Rechtsruck in den Niederlanden? Taktische Wähler bringen Geert Wilders zum Wahlkampfsieg

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23.11.2023

Der Sieger gibt sich erst mal konziliant. „Jede Partei, auch unsere, muss jetzt über ihren Schatten springen“, sagt Geert Wilders. Er hatte erst am Wahltag zu einer Party geladen. So überraschend kam der Umschwung. Nun steht er vor rotem Plüsch in einem Volkscafé in Scheveningen. Von dort sind es nur ein paar Tramstationen zum Sitz des niederländischen Regierungschefs in Den Haag.

Die Freiheitspartei PVV des Schattenmanns Wilders holte 37 Sitze bei den Wahlen in den Niederlanden, ein Zuwachs von 20 Mandaten. Zweiter großer Sieger: Pieter Omtzigt mit seiner Reformpartei Nieuw Sociaal Contract (NSC, Neuer Gesellschaftsvertrag). Die erst vor drei Monaten gegründete Allianz des ehemaligen Christdemokraten holte aus dem Stand 20 Sitze. Dilan Yesilgöz, Spitzenkandidatin der rechtsliberalen Partei VVD des scheidenden Regierungschefs Mark Rutte, kam auf 24 Abgeordnete (minus zehn). Das neue rot-grüne Klimabündnis des früheren Vizechefs der EU-Kommission Frans Timmermans erreichte 25 Sitze (plus acht Mandate). So weit die Zahlen.

Auf dieser Basis ist Wilders, 60, die Macht kaum zu nehmen. Vor fast 18 Jahren hatte er seine Freiheitspartei gegründet: rechts, populistisch und islamkritisch. „Milder“ sei er geworden, heißt es im Land. Der neue Milde klingt am Wahlabend so: „Der Wähler hat es satt, supersatt“, bellt Wilders und hämmert hinterher: „Wir sind die größte Partei. Die Hoffnung der Menschen ist, dass sie ihr Land zurückkriegen. Dass die Niederländer wieder ganz oben stehen. Dass wir den Asyl-Tsunami und die Migration begrenzen. Dass die Menschen wieder mehr Geld in ihrem Portemonnaie haben. Dass die zig Milliarden, die wir ausgeben, wieder bei unseren Menschen landen.“ Muslimische Verbände meldeten noch am Wahlabend........

© Berliner Zeitung


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