Seit den frühen 70ern engagiert sich der heute 68 Jahre alte Friedensaktivist Ekkehard Lentz gegen Kriege und militärische Gewalt. Wir haben den Sprecher des Friedenforums Bremen in Berlin, am Rande der Friedensdemonstration am Brandenburger Tor, getroffen. Das Interview führte Ramon Schack.

Herr Lentz, Sie sind am Samstag nach Berlin gekommen, als Sprecher des Bremer Friedensforums, um an der Demonstration am Brandenburger Tor teilzunehmen. Wie beurteilen Sie die Ausgangslage für die Friedensbewegung in der Bundesrepublik, angesichts der zahlreichen Kriege weltweit?

Für die Demo „Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten“ am Brandenburger Tor waren 10.000 Teilnehmer angemeldet. Heute waren 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort, was insofern beachtlich ist, da in vielen Medien nur sehr dürftig im Vorfeld über diese Veranstaltung berichtet wurde und auch aufgrund der Witterungsbedingungen. Was die Ausgangslage für die Friedensbewegung angeht, bin ich also optimistisch, da immer mehr Menschen begreifen, welche Gefahren die kriegstreiberische Politik unserer Zeit beinhaltet. Wenn Außenministerin Baerbock kürzlich verkündete, dass Politik nicht dazu da sei, um Kriege zu beenden – so oder so ähnlich hatte sie es ausgedrückt – dann ist das nicht nur eine moralische Bankrotterklärung, sondern auch ein Ausdruck dafür, dass es Zeit ist, auf die Straße zu gehen.

Was verstehen Sie unter dem Begriff „kriegstreiberische Politik“?

Darunter verstehe ich die permanente Meinungsmache, die dann dadurch sichtbar wird, dass die Zustimmungsrate zur Erhöhung des Militäretats und der Stärke der Bundeswehr seit 2012 in Umfragen von circa 18 bis 19 Prozent auf mehr als das Dreifache im Jahr 2022 angestiegen ist. Boris Pistorius gilt als populärster Politiker der Republik, was erstaunlich ist, nachdem er einen „Mentalitätswechsel“ hin zur von ihm sogenannten „Kriegstauglichkeit“ dieses Landes einforderte, zu dem er sagt: „Ein solcher Bewusstseinswandel brauche Zeit, sei aber schon im Gange“. Vergessen scheinen die eindringlichen Appelle von sozialdemokratischen Politikern wie Willy Brandt, der einmal postulierte: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“

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Seit Ihrer Entstehung wird die Friedensbewegung bekämpft. Sie selbst sind seit den 1970er Jahre einer der führenden Aktivisten dieser Szene, nicht nur in Bremen, sondern in der Bundesrepublik. Wie erleben Sie die aktuelle Debatte, in der Friedensaktivisten vereinzelt auch als „Lumpenpazifisten“ geschmäht werden?

Die beste Zeit habe ich in den Achtzigern erlebt, als die Friedens- zur Massenbewegung wurde. Mit welchen Leuten man da zusammengekommen ist, Politiker und Künstler, dazu die internationalen Reisen. Das waren echte Highlights. In der Nazi-Zeit wurde die Friedensbewegung in Deutschland nicht nur zerschlagen, sondern aus dem politisch-historischen Bewusstsein verdrängt. Zur Zeit des Kalten Krieges in der Bundesrepublik, gab es immer wieder Versuche, die Friedensbewegung zu diskreditieren, zu schmähen, oder gar als Feind im Inneren zu titulieren. Trotzdem gibt es uns immer noch. Bekämpft wurden wir immer, doch wurde in der Vergangenheit mit faireren Bandagen gekämpft, als heute.

Wie meinen Sie das konkret?

In Bremen wurden wir kürzlich ein Opfer der sogenannten Cancel Culture, als Ausdruck des Versuchs der De-Legitimierung der Friedensbewegung. Die Stadt Bremen hatte einen Link zum Bremer Friedensforum auf ihrer Website gelöscht, der sich dort seit Jahren befand, ungeachtet der jeweiligen Regierungen in der Hansestadt.

Was wurde als Grund für die Löschung angegeben?

Diese Maßnahme – welche gegenüber dem Bremer Friedensforum vorab nicht bekannt gegeben wurde – hatte der Pressesprecher des Wirtschaftssenators damit begründet, dass das Bremer Friedensforum eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag auf ihrer Website präsentiere, deren Formulierungen „den Staat Israel, israelische Staatsbürger und Jüdinnen und Juden diffamieren“ würden.

Was haben Sie denn diesen Vorwürfen zu entgegnen?

Unter anderem, dass wir nicht anders formulieren als die israelische Friedensbewegung oder israelische Regierungskritiker selbst. Die Erwähnung der Tatsache, dass der Hamas-Terror vom 7. Oktober eine Vorgeschichte hat, stellt natürlich keine Unterstützung der Hamas-Verbrechen dar, oder gar eine Diffamierung Israels, wie behauptet. Ende letzten Jahres wurde sogar im ZDF eine israelische Generalstaatsanwältin zitiert, welche die aktuelle Regierung als „Gefahr für die Demokratie“ einschätzte.

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Sie halten die Begründung für die Löschung des Links also für einen Versuch, den Einfluss des Friedensforums zu schmälern?

Richtig, denn die Vorwürfe belegt die Stadt Bremen nicht mit Zitaten aus der Erklärung des Friedensratschlags, sondern sie folgert ihre Behauptung aus Interpretationen, die sie auf Basis ihres Verständnisses der Erklärung aufstellt. Die Cancel Culture in Deutschland gegen die Friedensbewegung hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Was schon mit dem Ukraine-Krieg begann, als Olaf Scholz von „gefallenen Engeln aus der Hölle“ und andere von „Schein- und Lumpenpazifisten“ schwadronierten, soll nun mit anderen Mitteln fortgesetzt werden. Das wird uns aber nicht davon abhalten, weiter für den Frieden zu kämpfen, oder-um es mit Sigmund Freund auszudrücken: „Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg“.

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Ekkehard Lentz: „Cancel Culture gegen die Friedensbewegung hat einen neuen Höhepunkt erreicht“

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26.11.2023

Seit den frühen 70ern engagiert sich der heute 68 Jahre alte Friedensaktivist Ekkehard Lentz gegen Kriege und militärische Gewalt. Wir haben den Sprecher des Friedenforums Bremen in Berlin, am Rande der Friedensdemonstration am Brandenburger Tor, getroffen. Das Interview führte Ramon Schack.

Herr Lentz, Sie sind am Samstag nach Berlin gekommen, als Sprecher des Bremer Friedensforums, um an der Demonstration am Brandenburger Tor teilzunehmen. Wie beurteilen Sie die Ausgangslage für die Friedensbewegung in der Bundesrepublik, angesichts der zahlreichen Kriege weltweit?

Für die Demo „Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten“ am Brandenburger Tor waren 10.000 Teilnehmer angemeldet. Heute waren 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort, was insofern beachtlich ist, da in vielen Medien nur sehr dürftig im Vorfeld über diese Veranstaltung berichtet wurde und auch aufgrund der Witterungsbedingungen. Was die Ausgangslage für die Friedensbewegung angeht, bin ich also optimistisch, da immer mehr Menschen begreifen, welche Gefahren die kriegstreiberische Politik unserer Zeit beinhaltet. Wenn Außenministerin Baerbock kürzlich verkündete, dass Politik nicht dazu da sei, um Kriege zu beenden – so oder so ähnlich hatte sie es ausgedrückt – dann ist das nicht nur eine moralische Bankrotterklärung, sondern auch ein Ausdruck dafür, dass es Zeit ist, auf die Straße zu gehen.

Was verstehen Sie unter dem Begriff „kriegstreiberische Politik“?

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