Es gab nur wenige Talkshows-Couch, in denen er nicht zu Gast war und in seinem berühmten Nuscheln die Welt erklärte. Als Fernsehreporter war Peter Scholl-Latour eines der populärsten Gesichter, als Sachbuchautor brachte er es mit Büchern wie „Der Tod im Reisfeld“ und „Allah ist mit den Standhaften“ auf Millionenauflagen.

Scholl-Latour, 1924 in Bochum geboren, wuchs als Sohn eines Arztes in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Die Mutter stammte aus dem Elsass, der Vater aus Lothringen, die Affinität zu Frankreich und der französischen Kultur wurde ihm damit schon in die Wiege gelegt.

Die Eltern waren gegen den Nationalsozialismus eingestellt und schickten ihren Sohn auf ein katholisches Internat in der Schweiz, um ihm die Indoktrination durch das NS-Bildungssystem zu ersparen. Der junge Peter störte sich nicht an der klerikalen Ausrichtung, im Gegenteil, noch viele Jahrzehnte später betonte er, dass er dort Lektionen für das Leben vermittelt bekam und dass der dort praktizierte Katholizismus ihm einmal das Verständnis des Islams erleichtern sollte.

Es gab Dinge im Leben von „PSL“, über die er selbst nur selten und widerstrebend sprach. Etwa, dass er - Sohn einer jüdischen Mutter in Nationalsozialismus - als „Mischling ersten Grades“ Verfolgungen ausgesetzt war. Auf der Flucht vor den Nazis fiel er 1945 der Gestapo in die Hände, die Folter überlebte er nur knapp. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges brach er mit französischen Fallschirmjägern in Richtung Indochina auf. Scholl-Latours berufliches Leben war immer eine Suche nach den starken Gefühlen, „les émotions fortes“, wie er es selbst gern formulierte. Nur wenige können, wie er behaupten, praktisch alle Länder der Welt bereist, viele historische Ereignisse aus nächster Nähe erlebt zu haben, zahlreichen historischen Persönlichkeiten begegnet zu sein.

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06.03.2024

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07.03.2024

Peter Scholl-Latour war ein Kosmopolit. Er berichtete aus Algerien, dem Kongo, vor allem immer wieder aus Vietnam, später aus dem Iran, China sowie den zentralasiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Im hohen Alter war er immer noch auf Reisen, hielt es nie lange an einem Ort aus. Er wechselte von Wohnort zu Wohnort, von Paris nach Berlin, von Bad Godesberg ins südfranzösische Tourrettes-sur-Loup, schrieb Bestseller, hielt Vorträge, besuchte die Brennpunkte der Welt.

Er liebte die ganze Welt, besonders aber das Vietnam am Ende der französischen Kolonialherrschaft und den Libanon der 50er-Jahre. Dort lernte er die arabische Sprache und Mentalität, begegnete den Mysterien des Orients. Die Erfahrungen schützten ihn im Laufe seines weiteren Berufslebens vor Illusionen, falschen Vorstellungen und westlichen Projektionen, die so vielen seiner Kollegen unterlaufen. Er war ein Freund der Menschen, machte sich aber über die menschliche Natur keine Illusionen. Er selbst habe oft in Abgründe geblickt, sagte er einmal. Für Peter Scholl-Latour war der Tod „ein normaler Akt“. Gefürchtet hat er ihn nie.

Selten, fast nie, entsprachen seine geopolitischen Prognosen dem Zeitgeist, häufig stand er ziemlich alleine da, noch häufiger sollte er Recht behalten, was ihm selbst oft missfiel, angesichts der Tragödien, die sich daraus ergaben.

In den 1960 Jahren erklärte er früh, dass die USA den Vietnam-Krieg verlieren werden, was in der Bundesrepublik damals einer Art Gotteslästerung glich. Er galt als einer der wenigen Vertreter gaullistischer Positionen, als schon früh der transatlantische Geist in der Politik und in den Redaktionsstuben Einzug erhielt, den damaligen französischen Präsidenten De Gaulle betrachtete er als einer der größten europäischen Staatsmänner des Jahrhunderts, blieb dessen Theorien treu, auch wenn er es mit dem Bonmot von André Malraux hielt „Le Gaullisme sans de Gaulle, c' est idiot/Gaullismus ohne de Gaulle, macht keinen Sinn“.

Den Afghanistan-Einsatz erklärte er schon als gescheitert, als noch das Geschwafel von „Unsere Freiheit wird am Hindukusch verteidigt“ durch die mediale Öffentlichkeit gezerrt wurde.

Als früher Warner positionierte sich der Journalist auch gegen die sukzessive Nato-Osterweiterung in die Weiten des eurasischen Raumes und warnte vor einer Reaktion Russlands. In seinem Buch „Russland im Zangengriff“ schilderte er unter anderem seine Eindrücke aus dem Donbas und der Ost-Ukraine, dort, wo heute der Krieg tobt und warnte vor einer Reaktion Moskaus auf das Vorrücken der Nato.

„Wir leben in einem Zeitalter der medialen Massenverblödung“, äußerte er in einem Interview mit dem Verfasser dieses Beitrages und kritisierte den weitverbreiteten Hang zum Haltungs-Journalismus, ohne Kenntnisse der geographischen und geopolitischen Ausgangslagen von Krisen und Konflikten.

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Kurz vor seinem Tod, im August 2014, verstärkte sich seine Sorge um Europa, jenes Kontinents, welchen der französische Romancier Paul Valéry als „Ein Kap Asiens“ bezeichnet hatte. Scholl-Latour warnte davor, dass die Sicherheit und Zukunft des Kontinents gefährdet wird, durch eine einseitige geopolitische Ausrichtung zu Gunsten Washingtons, gerade angesichts der wachsenden Feuerringe in unmittelbarer Nachbarschaft des Kontinents.

„Mein berufliches Leben war oft davon geprägt, dass meine Beobachtungen und Thesen anfangs heftigster Kritik ausgesetzt waren – nicht selten unsachlicher Kritik – und man mir dann teilweise nachträglich recht gab; ich sage das ohne Eitelkeit. Als ich damals bezweifelte, dass im Irak ein ‚Leuchtturm der Demokratie‘ entstehen würde – so wurde es ja formuliert –, warnte ich vor den Gefahren eines schiitisch-sunnitischen Bürgerkriegs, wobei meine Gesprächspartner teilweise mit den Begriffen Schiiten und Sunniten noch gar nichts anfangen konnten. Ich wurde des Antiamerikanismus bezichtigt – teilweise von Kommentatoren, die noch einige Jahre zuvor vor Nato-Kasernen demonstriert hatten, während ich mich massiv für den Nato-Doppelbeschluss einsetzte“ äußerte er in seinem letzten veröffentlichten Interview.

Rückblickend lässt sich feststellen, dass er mit vielen seiner Einschätzungen Recht behielt und dass Recherche vor Ort und Kenntnisse von Geschichte und Kultur, weit wichtiger sind bei der Auslandsberichterstattung, als die Haltung der jeweiligen Berichterstatter.

Peter Scholl-Latour wurde heute vor 100 Jahren geboren.

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Peter Scholl-Latour: Ein Häretiker im „Zeitalter der medialen Massenverblödung“

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09.03.2024

Es gab nur wenige Talkshows-Couch, in denen er nicht zu Gast war und in seinem berühmten Nuscheln die Welt erklärte. Als Fernsehreporter war Peter Scholl-Latour eines der populärsten Gesichter, als Sachbuchautor brachte er es mit Büchern wie „Der Tod im Reisfeld“ und „Allah ist mit den Standhaften“ auf Millionenauflagen.

Scholl-Latour, 1924 in Bochum geboren, wuchs als Sohn eines Arztes in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Die Mutter stammte aus dem Elsass, der Vater aus Lothringen, die Affinität zu Frankreich und der französischen Kultur wurde ihm damit schon in die Wiege gelegt.

Die Eltern waren gegen den Nationalsozialismus eingestellt und schickten ihren Sohn auf ein katholisches Internat in der Schweiz, um ihm die Indoktrination durch das NS-Bildungssystem zu ersparen. Der junge Peter störte sich nicht an der klerikalen Ausrichtung, im Gegenteil, noch viele Jahrzehnte später betonte er, dass er dort Lektionen für das Leben vermittelt bekam und dass der dort praktizierte Katholizismus ihm einmal das Verständnis des Islams erleichtern sollte.

Es gab Dinge im Leben von „PSL“, über die er selbst nur selten und widerstrebend sprach. Etwa, dass er - Sohn einer jüdischen Mutter in Nationalsozialismus - als „Mischling ersten Grades“ Verfolgungen ausgesetzt war. Auf der Flucht vor den Nazis fiel er 1945 der Gestapo in die Hände, die Folter überlebte er nur knapp. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges brach er mit französischen Fallschirmjägern in Richtung Indochina auf. Scholl-Latours berufliches Leben war immer eine Suche nach den starken Gefühlen, „les émotions fortes“, wie er es selbst gern formulierte. Nur wenige können, wie er behaupten, praktisch alle Länder der Welt bereist,........

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