Wenn man bedenkt, dass die Star-Architekten Herzog & de Meuron den Hamburgern die gigantisch-schöne Elbphilharmonie geschenkt haben, dann fragt man sich schon, warum sie Berlin mit derart unwürdiger Architektur bestrafen. War es vielleicht Rache? Waren Jacques Herzog und Pierre de Meuron die Berliner Pampigkeit leid – und sieht so ihre steingewordene Retourkutsche für „Mann, loof doch!“, „Na wattn?“ und „Weeß ick doch nich!“ aus?

Das wäre zumindest eine lustige Erklärung dafür, wie es zu diesem unfeinen Gebäude kommen konnte, das als einer der letzten fertiggestellten Luxuskomplexe des Tacheles-Ensembles die Lücke in der Johannisstraße schließt.

Wagt man sich als Spaziergänger in die sowieso schon freudlos wirkende Gasse, sorgt der fünfstöckige Wohnriegel nun zusätzlich für trübe Stimmung. Die rustikale Rauputzfassade mit den kleinen, weiß gerahmten Fenstern macht den Eindruck, als hätte man eine KI beauftragt, Antoni Gaudí mit der DDR-Platte IW 64 zu kreuzen. Das Ergebnis ist eine seltsame Mischung aus extravagant und bieder, mit spleenigen Details:

In den trutzigen Auswölbungen des Gebäudes sitzen angeschrägte Fensterrahmen, die nach unten zum auskragenden Fensterbrett werden. Die Eingangstüren antworten mit entgegengesetzter Rahmenschräge, die nach oben zum Dächlein wird. Die einsehbaren Balkons, deren Brüstungen aus Maschendrahtzaun bestehen, wecken Assoziationen zu Hasenställen. Nicht auszudenken, wenn die Bewohner hinter das Drahtgitter demnächst noch bunten Krempel stellen oder essbare Kresse daran hochranken lassen.

Alles wirkt so spießig – das ist besonders ärgerlich, wenn man sich ausmalt, wieviel diese Sonderanfertigungen gekostet haben müssen. Allein in die gewellte Fassade, die laut Vermarktungsinfo von Engel & Völkers aus Ton ist, sind sicher Unsummen geflossen. Entsprechend teuer waren die fertigen Apartments und Penthäuser.

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Trotzdem sind schon alle Wohnungen im Haus Vert verkauft, nur ebenerdige Gewerbeeinheiten gibt es noch ab zirka 1,5 Millionen Euro. Die Räume mit Fischgrätparkett und Sichtbetondecken, das darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, sind wirklich schön. Doch das sehen wir beim Spazieren in der Johannisstraße von außen leider nicht.

Den Eigentümern, die ihre Wohnungen mit den Panoramafenstern im Architektenhaus gegenüber vor ein paar Jahren verkauft haben, kann man nur gratulieren. Ihnen blieb viel Kummer erspart. Heute helfen hier nur schwere Vorhänge.

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Was also mit diesem deprimierenden Haus machen? Vielleicht mit inneren Werten füllen? Nach dem Motto „Besser außen pfui als innen“ könnten die betuchten Bewohner regelmäßig exklusive Events veranstalten. Die Jüngeren würden die besten Penthouse-Partys der Stadt feiern – mit Fine de Claire und Veuve Clicquot in rauen Mengen. Die Älteren könnten hippe Salons mit bekannten Berliner Schauspielern und Musikschaffenden veranstalten. Und die Kinder könnte man mit den Nannys auf den Spielplatz schicken. Spätestens um 22 Uhr ist dann alles vorbei, wegen der Anwohner. Kaum jemand wäre dann noch an der traurigen Fassade des neuen Wohnblocks interessiert, und schnell würde „Vert“ positive Schlagzeilen machen. Auch wir würden berichten. Aber das ist ja leider reine Fiktion.

Ist Ihnen auch etwas Unschönes in Berlin aufgefallen? Schreiben Sie uns! leser-blz@berlinerverlag.com

QOSHE - Bestürzende Neubauten am Tacheles: Da helfen nur noch Partys - Sabine Röthig
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Bestürzende Neubauten am Tacheles: Da helfen nur noch Partys

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24.04.2024

Wenn man bedenkt, dass die Star-Architekten Herzog & de Meuron den Hamburgern die gigantisch-schöne Elbphilharmonie geschenkt haben, dann fragt man sich schon, warum sie Berlin mit derart unwürdiger Architektur bestrafen. War es vielleicht Rache? Waren Jacques Herzog und Pierre de Meuron die Berliner Pampigkeit leid – und sieht so ihre steingewordene Retourkutsche für „Mann, loof doch!“, „Na wattn?“ und „Weeß ick doch nich!“ aus?

Das wäre zumindest eine lustige Erklärung dafür, wie es zu diesem unfeinen Gebäude kommen konnte, das als einer der letzten fertiggestellten Luxuskomplexe des Tacheles-Ensembles die Lücke in der Johannisstraße schließt.

Wagt man sich als Spaziergänger in die sowieso schon freudlos wirkende Gasse, sorgt der fünfstöckige Wohnriegel nun zusätzlich für trübe Stimmung. Die rustikale Rauputzfassade mit den kleinen, weiß gerahmten Fenstern macht den........

© Berliner Zeitung


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