Mit Anfang zwanzig ist jeder Tag ein Abenteuer. Ständig werden neue Bekanntschaften geschlossen. Einige davon überleben nur den Tag, aus anderen ergibt sich eine Freundschaft. Sich Gedanken darüber zu machen, was morgen oder in noch fernerer Zukunft passieren könnte, kommt gar nicht infrage. Je älter man wird, umso schwerer fällt es, den Terminkalender aus den Händen zu legen. Ein sorgenfreies Leben zu führen, wird zu einer blassen Erinnerung.

Doch stimmt das überhaupt? Blicken wir nicht mit verklärtem Blick in die Vergangenheit und blenden die Schattenseiten aus? Die kanadische Autorin, Podcasterin und Künstlerin Marlowe Granados geht diesen Fragen in ihrem Buch „Happy Hour“ indirekt nach, nimmt den Leser mit auf eine Reise nach New York und transportiert ein Lebensgefühl, das fast jeder von uns kennt.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens kann ausschweifend beantwortet werden oder in einen Monolog münden. Isa und Gala, die Protagonistinnen in „Happy Hour“ brauchen nicht viele Worte. Für die beiden 21-jährigen Freundinnen liegt der Sinn des Lebens im Vergnügen. Ohne ein konkretes Ziel zu verfolgen, kommen beide nach New York.

Über einen Sommer hinweg, der im Mai 2013 beginnt und im August desselben Jahres endet, begleitet der Leser die beiden Frauen. Sie halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, gehen fast jeden Abend auf eine Party und kratzen ihr letztes Geld für eine Schachtel Zigaretten oder eine Taxifahrt zusammen. Mit der Zeit tauchen nicht nur Isa und Gala immer tiefer in die Welt der Schönen und Reichen ein. Auch der Leser ist ein Teil dieser Welt.

gestern

•gestern

23.04.2024

Die New York Times bezeichnete Granados’ Debütroman „Happy Hour“ nicht ohne Grund als „selbstbewusst, charismatisch und voller Freude am Beobachten“. Humorvoll und mit vielen Details versehen, beschreibt die Autorin das Leben der gegensätzlichen Freundinnen. Während Isa naiv zu sein scheint, strotzt Gala vor Selbstbewusstsein.

Jan Josef Liefers zu #allesdichtmachen: „Die tun alle so, als wäre nichts gewesen“

•vor 4 Std.

Romandebüt mit 84: Filmemacher Hark Bohm erzählt von „Amrum“

heute

Die Lebendigkeit des Geschriebenen mag auch darauf zurückzuführen sein, dass Granados’ eigene Erlebnisse und Erfahrungen in ihren Roman einflossen, wie sie auf ihrer Buchpräsentation in Berlin erzählt. Auch optisch unterscheidet sich die Autorin kaum von dem Bild, das sich die Leser von Isa und Gala machen können. Granados ist eine selbstbewusste Frau, in dünne Seide und einen edlen Kimono gehüllt. Wenn sie über ihr Buch spricht, dann leuchten ihre Augen. Dann fährt sie sich mit ihren Händen durch die dunklen Haare und lacht laut.

Sie wollte ein „lustiges Buch“ schreiben, sagt sie. Es war ihr aber auch wichtig zu zeigen, dass ein Leben ohne ein festes Einkommen und Pläne auch negative Seiten hat. Da ihre Heldinnen ein Leben in akademischen Kreisen nicht finanzieren können, aber trotzdem dazugehören wollen, ist ihre „Währung ihr Charme“, erklärt Granados. „Sie gehen durch New York wie durch ein Haus mit verschiedenen Räumen“ und müssen aufpassen, nicht langweilig zu werden. Denn wer mit seinem Charme und seiner lustigen Art „bezahlt“, der läuft schnell Gefahr, ausgetauscht zu werden.

Dieser Konflikt wird an einer Stelle besonders deutlich: „Auch wenn wir so rüberkommen – ich könnte nicht sagen, wann wir das letzte Mal wirklich sorglos waren. Waren wir es überhaupt jemals? Ein seltsamer, ungreifbarer Zustand, dem wir da hinterherjagen. Ich kenne ihn nur in winzigen, köstlichen Häppchen, fast wie beim Tanzen. Ein Hauch von Freiheit, den man nur dann gelegentlich erahnen kann, wenn man sich weigert, sich von allem runterziehen zu lassen.“

Die Postfiliale der Schönhauser Allee Arcaden: Eine seltene Wellness-Oase

heute

Generation BookTok: Wie kurze Filme den Buchverkauf ankurbeln

22.04.2024

Die Grenzen zwischen Leichtigkeit und Abhängigkeit verschwimmen zunehmend. Diese Entwicklung verpackt Granados auf eine so subtile Art und Weise, dass sie nicht jedem Leser aufzufallen scheint. Einige Botschaften sind „wie Ostereier versteckt“, sagt die Autorin. „Der Leser muss zwischen den Zeilen lesen.“

Letztlich stehen nicht die Personen im Mittelpunkt, sondern das, was sie erleben, fühlen und denken. Beim Lesen stolpert man immer wieder über einzelne Zitate, über Äußerungen und Beobachtungen von Isa. Sofort denkt man: Sie hat so recht. Beispielsweise, wenn Isa über das Partyleben schreibt: „Das Beste ist, wenn du ohne Erwartungen in die Nacht startest und dann was erlebst, was du gar nicht auf dem Schirm hattest.“

Marlowe Granados: Happy Hour. Roman. Aus dem Englischen von Stefanie Orchel. Carl Hanser Verlag, München 2024, 304 Seiten, 24 Euro.

QOSHE - „Happy Hour“ – Ein Buch über das leichte Leben und seine Schattenseiten - Sophie-Marie Schulz
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

„Happy Hour“ – Ein Buch über das leichte Leben und seine Schattenseiten

18 25
25.04.2024

Mit Anfang zwanzig ist jeder Tag ein Abenteuer. Ständig werden neue Bekanntschaften geschlossen. Einige davon überleben nur den Tag, aus anderen ergibt sich eine Freundschaft. Sich Gedanken darüber zu machen, was morgen oder in noch fernerer Zukunft passieren könnte, kommt gar nicht infrage. Je älter man wird, umso schwerer fällt es, den Terminkalender aus den Händen zu legen. Ein sorgenfreies Leben zu führen, wird zu einer blassen Erinnerung.

Doch stimmt das überhaupt? Blicken wir nicht mit verklärtem Blick in die Vergangenheit und blenden die Schattenseiten aus? Die kanadische Autorin, Podcasterin und Künstlerin Marlowe Granados geht diesen Fragen in ihrem Buch „Happy Hour“ indirekt nach, nimmt den Leser mit auf eine Reise nach New York und transportiert ein Lebensgefühl, das fast jeder von uns kennt.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens kann ausschweifend beantwortet werden oder in einen Monolog münden. Isa und Gala, die Protagonistinnen in „Happy Hour“ brauchen nicht viele Worte. Für die beiden 21-jährigen Freundinnen liegt der Sinn des Lebens im Vergnügen. Ohne ein konkretes Ziel zu verfolgen, kommen beide nach New York.

Über einen Sommer hinweg, der im Mai 2013 beginnt........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play