Berlin ist nicht nur die Stadt des Techno, sondern auch des Drahtesels. Vor allem im Sommer müssen Fußgänger spießrutenartig über manche Plätze laufen und Autofahrer sich den Hals verrenken, damit auch wirklich jeder Fahrradfahrer heil an sein Ziel kommt. Das Deutsche Technikmuseum widmet dem Rad nun eine Sonderausstellung und leitet damit einen neuen Themenschwerpunkt ein.

Unter dem Titel „Freiheit auf zwei Rädern. Das Fahrrad auf französischen Plakaten um 1900“ zeigt das Museum über 40 großformatige Plakate aus der eigenen Sammlung. Viele Jahre lagerten die historischen Werbeplakate im Archiv des Museums, jetzt schmücken sie die Wände der großen Galerien des Museums und nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise in die Vergangenheit, die auch ein Teil der Gegenwart ist.

Aufgrund der Lichtanfälligkeit der Plakate musste der Ausstellungsraum abgedunkelt werden. Kleine Scheinwerfer, die an der Decke angebracht sind, bringen die historischen Funde zum Leuchten. Auf den dunklen Wänden stechen die größtenteils sehr farbenfroh gestalteten Werbeposter hervor, jedes Detail ist fast makellos zu erkennen. Fast unglaublich, wenn man bedenkt, dass es sich bei allen Exemplaren um Originale handelt, die über 120 Jahre alt sind.

Die Ausstellung erzählt von einer Zeit, in der das Fahrrad als modernes Verkehrsmittel und das Plakat als neues Werbemedium aufeinandertrafen. Vor allem Frauen stehen auf den Plakaten der Belle Époque als Werbebotschafterinnen im Mittelpunkt – und das auf ganz unterschiedliche Weise. Auf der einen Seiten werden Rollenbilder bewusst aufgebrochen, erhalten eine moderne Nuance. Andererseits wurde das Fahrradfahren in Verbindung mit dem weiblichen Körper zu einem Streitthema. Was, wenn eine Frau auf dem Fahrrad anfängt zu schwitzen? Wenn sie sich zu sehr vom männlichen Familienoberhaupt emanzipiert?

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Während sich einige Künstler mit mythologischen oder kriegerischen Darstellungen befassten, hielten sich andere an die gegebenen Schönheitsideale. Mit dem Abbild der sogenannten Parisienne – eine Frau mit Wespentaille, langen Kleidern und perfekt liegenden Haaren – sollte verdeutlichen, dass Fahrradfahren nicht auf Kosten der Weiblichkeit geht. Wie unpraktisch diese erzwungene Symbiose ist, war damals nicht von Bedeutung.

Mittlerweile hat sich nicht nur die Kleidung verändert, sondern auch das Gefährt als solches. Die Räder wurden breiter, die Lenkräder geschwungener und zum Eigenantrieb gesellte sich ein Akku dazu. Was geblieben sei, das seien die „Konflikte zwischen Fußgängern, Auto- und Fahrradfahrern“, sagt Joachim Breuninger, Vorstand der Stiftung des Deutschen Technikmuseums Berlin, der auf der Eröffnungsveranstaltung eine Rede hält.

Zum damaligen Zeitpunkt rollten aber noch keine Autos über die Straßen, sondern Kutschen. Ab dem 20. Jahrhundert gesellte sich dann das Fahrrad hinzu, das mittlerweile auch für die bürgerliche Bevölkerung erschwinglich wurde. Andere Luxusgüter wurden sparsamer konsumiert und möglichst viel Geld auf die Seite gelegt, um in den Genuss der Freiheit auf zwei Rädern zu kommen.

Auch dieser Umstand sorgte für Konflikte, wie die Kuratoren am Rande der Ausstellung erzählen. Andere Handwerksleute hatten plötzlich deutlich weniger Kundschaft und auch die Kirche verzeichnete einen Rückgang der Besucher der sonntäglichen Messe. Jetzt investierte man sein Geld lieber in das neuste und schönste Fahrrad, um an Wochenende einen Ausflug ins Grüne zu unternehmen.

Trotz seiner Popularität und Beliebtheit wurde das neue Fortbewegungsmittel – unabhängig von den Werbeplakaten – in manchen Kreisen kritisch beugt, sogar mehr als das. Männer sorgten sich, dass Frauen wegen der Form des Sattels Schaden nehmen könnten und permanent stimuliert werden. Die Industrie fackelte nicht lange und entwarf einen „frauengerechten Sattel“. Auch für diesen wurde großflächig geworben, wie ein Plakat zeigt. Darauf zu sehen ist eine dunkelhaarige Frau mit Wespentaille. Links und rechts von ihr ist ein Beckenknochen abgebildet, darunter ein vollständig begradigter Sattel. Zumindest diese „Sorge“ konnte den Männern genommen werden.

Die Ausstellung gibt aber nicht nur einen Einblick in das sich bis heute stark gewandelte Frauenbild. Es zeigt auch, wie sich die Werbeindustrie und deren Schwerpunktsetzung verändert hat. Jakob Wössner, Mitkurator der Ausstellung, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass auf manchen Plakaten das Fahrrad – der eigentliche Star – nur am Rande zu sehen ist.

Auf den ersten Blick wird nicht deutlich, wofür hier eigentlich geworben wird. Dieser Aspekt mag aber auch ein Grund dafür sein, wieso die Plakate bis heute eine Zeitlosigkeit besitzen. Sie sind nicht nur in einem grandiosen Zustand, sondern auch hübsch anzusehen. Zudem bringt die Vielfältigkeit des Dargestellten zum Ausdruck, wie unterschiedlich ein und dasselbe Produkt beworben werden kann.

QOSHE - Ausstellung „Freiheit auf zwei Rädern“: Frauenbild und Drahtesel im Wandel der Zeit - Sophie-Marie Schulz
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Ausstellung „Freiheit auf zwei Rädern“: Frauenbild und Drahtesel im Wandel der Zeit

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23.04.2024

Berlin ist nicht nur die Stadt des Techno, sondern auch des Drahtesels. Vor allem im Sommer müssen Fußgänger spießrutenartig über manche Plätze laufen und Autofahrer sich den Hals verrenken, damit auch wirklich jeder Fahrradfahrer heil an sein Ziel kommt. Das Deutsche Technikmuseum widmet dem Rad nun eine Sonderausstellung und leitet damit einen neuen Themenschwerpunkt ein.

Unter dem Titel „Freiheit auf zwei Rädern. Das Fahrrad auf französischen Plakaten um 1900“ zeigt das Museum über 40 großformatige Plakate aus der eigenen Sammlung. Viele Jahre lagerten die historischen Werbeplakate im Archiv des Museums, jetzt schmücken sie die Wände der großen Galerien des Museums und nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise in die Vergangenheit, die auch ein Teil der Gegenwart ist.

Aufgrund der Lichtanfälligkeit der Plakate musste der Ausstellungsraum abgedunkelt werden. Kleine Scheinwerfer, die an der Decke angebracht sind, bringen die historischen Funde zum Leuchten. Auf den dunklen Wänden stechen die größtenteils sehr farbenfroh gestalteten Werbeposter hervor, jedes Detail ist fast makellos zu erkennen. Fast unglaublich, wenn man bedenkt, dass es sich bei allen Exemplaren um Originale handelt, die über 120 Jahre alt sind.

Die Ausstellung........

© Berliner Zeitung


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