Ganz selten bei Konzerten passiert es, dass ein Künstler den letzten Song ankündigt, bei der zweiten Zugabe – und dann ist wirklich allen klar, dass sie sich gleich verabschieden müssen. Doch als am Donnerstagabend gegen 22 Uhr dieser letzte Song von Beirut verklungen ist, nimmt der Sänger Zach Condon die Ukulele in die Hand und sagt: „Ok, einen noch.“ Das fast ausverkaufte Tempodrom jubelt, schreit und hört der sanften Stimme zu; die singt auf Englisch: „Das hier war einst eine Insel, aber ich konnte nicht bleiben.“ Dann setzen leise die Bläser ein.

Dieses langsame Aufbauen eines Liedes, bei dem erst ein Instrument und am Ende fast ein Orchester-Sound von der Bühne schallt, das schafft die Band Beirut wie kaum eine andere. Die Musik klingt live so anders als auf den inzwischen sieben Studioalben, und doch ist es erstaunlich, dass nicht die ganze Zeit die Mobiltelefone aller Gäste mitfilmen oder aufzeichnen.

Denn dieses Konzert ist das erste von nur drei Konzerten der Welttournee von Beirut. Zunächst hatte der US-Amerikaner Zach Condon, der am Dienstag in dieser Woche 38 Jahre alt wurde, nur zwei Konzerte angekündigt: am 16. und 17. Februar. Als diese Termine ausverkauft waren, kam noch einer am Donnerstag hinzu. In Interviews hat er schon vor Jahren erzählt, dass Konzerttouren ihm Panikattacken bereiten und er deswegen ausgedehnte Touren nicht mehr schafft. Am Samstag also ist schon das letzte Konzert.

Wie sehr ihn die Situation auf der Bühne anstrengt, wird gleich am Anfang deutlich, als er seine zitternden Hände in die Höhe streckt: „Ich hoffe, sie hören damit gleich wieder auf“, sagt er, „Ich habe seit fünf Jahren nicht mehr auf einer Bühne gestanden.“ Dann spielt er kurz darauf mit „Elephant Gun“ ein bekannteres Lied aus dem Jahr 2007: „Lass die Saison beginnen, besiege den großen König.“

13.02.2024

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13.02.2024

13.02.2024

Seine Texte sind oft rätselhaft, meist spielen sie in der Natur, ähnlich wie japanische Haikus handeln sie von Jahreszeiten oder Tieren oder Bäumen. Doch bei Beirut geht es neben der Texte vor allem um das Zusammenspiel der ungewöhnlichen Instrumente, die hier versammelt sind. Mal mehr Geigen, mal mehr Akkordeon und Posaune. Der Sound lässt sich irgendwo zwischen Balkan und Mexiko verorten und meist übernimmt den eigentlichen Refrain die Trompete. Sie überstrahlt dann die übrigen Musiker wie ein heller Sonnenstrahl am frühen Morgen.

So ist es beispielsweise bei den Hits „Santa Fe“, „No No No“ und „Postcards von Italy“, die er an dem Abend spielt. Manchmal wechselt Zach Condon mitten im Song zwischen den einzelnen Instrumenten hin und her: Gitarre, Ukulele und Trompete. Auch bei dem bekanntesten seiner Lieder, „Nantes“ tut er das und singt die romantischste seiner Zeile: „Well, it's been a long time, long time now, since I've seen you smile.“

In der Ankündigung zu dem Lied sagt Zach Condon, dass er jetzt seit sieben Jahren in Berlin lebe, genauer: in Lichtenberg. Dann fragt er, ob überhaupt ein paar Berliner im Saal seien. Weniger als gedacht melden sich. Es muss wirklich ein internationaler Fankreis für ihn angereist sein. Condon sagt, er habe aufgehört, Lieder über diese Stadt zu schreiben. Die Lieder „Brandenburg“ und „Prenzlauerberg“ spielt er trotzdem an diesem Abend, vom neuen Album unter anderem „The Tern“ und „Melbu“, zwei extra melancholische Stücke.

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Umrahmt wird das alles von einer Lichtshow, die ihren Namen tatsächlich verdient. Mal ist die Halle komplett Rot, mal in Orange-Gelb, mal in Grün-Blau getaucht. Beim Song „So Allowed“, der im Refrain die Zeile wiederholt „I wanna say that you're mine“ halten alle ihre Taschenlampe am Telefon in die Höhe, Paare kuscheln, und ganz oben an einer Tür, tanzen zwei Typen verträumt im Schein des Exit-Schilds.

Halb zehn endet das Konzert nach 90 Minuten, doch die Fans überreden Beirut zur ersten und schließlich zur zweiten Zugabe. Und dann kurz nach 22 Uhr schickt Zach Condon die Menschen nach Hause mit besonderen, fast gehauchten Worten: „Unmögliche Nacht / In einer Schar erwachsener Kinder mit Heimweh“. Er könnte diese Nacht meinen, oder die am Freitag oder die am Samstag. Sein „Thank you“ wurde ein paar Mal an diesem Abend ein akzentfreies: „Dankeschön.“

Beirut, noch am 16./17. Februar im Tempodrom.

QOSHE - Eine „unmögliche Nacht“: Beirut spielt im Tempodrom die ganze Tournee - Sören Kittel
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Eine „unmögliche Nacht“: Beirut spielt im Tempodrom die ganze Tournee

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16.02.2024

Ganz selten bei Konzerten passiert es, dass ein Künstler den letzten Song ankündigt, bei der zweiten Zugabe – und dann ist wirklich allen klar, dass sie sich gleich verabschieden müssen. Doch als am Donnerstagabend gegen 22 Uhr dieser letzte Song von Beirut verklungen ist, nimmt der Sänger Zach Condon die Ukulele in die Hand und sagt: „Ok, einen noch.“ Das fast ausverkaufte Tempodrom jubelt, schreit und hört der sanften Stimme zu; die singt auf Englisch: „Das hier war einst eine Insel, aber ich konnte nicht bleiben.“ Dann setzen leise die Bläser ein.

Dieses langsame Aufbauen eines Liedes, bei dem erst ein Instrument und am Ende fast ein Orchester-Sound von der Bühne schallt, das schafft die Band Beirut wie kaum eine andere. Die Musik klingt live so anders als auf den inzwischen sieben Studioalben, und doch ist es erstaunlich, dass nicht die ganze Zeit die Mobiltelefone aller Gäste mitfilmen oder aufzeichnen.

Denn dieses Konzert ist das erste von nur drei Konzerten der Welttournee von Beirut. Zunächst hatte der US-Amerikaner Zach Condon, der am Dienstag in dieser Woche 38 Jahre alt wurde, nur zwei Konzerte........

© Berliner Zeitung


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