Viele Menschen, die ansonsten gerne lautstark Stellung beziehen, waren plötzlich ruhig nach dem 7. Oktober 2023. Nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel, bei dem Kämpfer der palästinensischen Terror-Organisation mehr als tausend Menschen in Israel heimtückisch ermordet haben – und mehr als 200 Geiseln nahmen.

Insbesondere bei Menschen, die sich selbst als links, kulturell und antirassistisch verstehen, fiel dieses Schweigen auf. Aber nicht nur Schweigen: Einige, etwa die prominente Philosophin und Aktivistin Judith Butler und viele ihrer Fans, Leute der „Queers For Palestine“-Bewegung, äußerten gar Verständnis für den Terror der Hamas - als wäre die Hamas mit ihrem Morden eine legitime Form des Widerstands.

Auch in der deutschsprachigen HipHop-Landschaft haben wenige den Terror verurteilt und sich mit Israel als einziger Demokratie im Nahen Osten solidarisiert. Eine prominente Ausnahme war der jüdische Berliner Rapper Ben Salomo mit seinem kämpferischen Track „Kämpf allein [Free Palestine from Hamas/ISIS/Hisbollah]“.

Fast ein halbes Jahr später meldet sich nun auch das Rap-Trio Antilopen Gang mit einem Song zum Thema zu Wort: „Oktober in Europa“. Schon in der Vergangenheit haben sich die drei am Thema Rechtsextremismus abgearbeitet, etwa mit ihrem Song „Beate Zschäpe hört U2“. Aber ein so eindrückliches Statement gegen Antisemitismus wie nun „Oktober in Europa“ gab es von den dreien bislang nicht in Song-Form.

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03.04.2024

•vor 3 Std.

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Wie ist der Track aufgebaut? Die drei Antilopen-Gang-Rapper Koljah, Panik Panzer und Danger Dan (der mit seinem Klavierlied „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ 2021 einen Hit landete) übernehmen jeweils eine Strophe in dem Track, der zunächst traurig mit Geigen einsetzt, sanft flankiert von Piano. Später setzt auch ein Beat ein, aber dieser hält sich relativ dezent im Hintergrund.

Und wovon handelt der Antilopen-Gang-Song „Oktober in Europa“? Koljah verortet den Antilopen-Track „Oktober in Europa“ direkt in der Neuköllner Sonnenallee, dicht beim Hermannplatz, dem Berliner Epizentrum der „Free Palestine“-Demonstrationen. Koljah rappt von der Angst des lyrischen Du, mit der Kippa überhaupt noch rauszugehen. Auch zwei Prominente kommen in Koljahs Eröffnungsstrophe des Tracks vor: Greta Thunberg und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

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„Überraschung: Auch Greta hasst Juden“ bezieht sich dabei wahrscheinlich darauf, dass sich Greta Thunberg bei ihren „Fridays For Future“-Demonstrationen immer wieder zum Leid der Palästinenser äußerte und Israel sogar „Völkermord“ vorwarf, dabei aber die Morde der Hamas unter den Tisch kehrte. Die Zeile mit Scholz („Und der Kanzler hört sich so bestürzt an / Danach trinkt er Tee mit den Mördern“) ist weniger eindeutig, könnte sich aber darauf beziehen, dass die deutsche Bundesregierung auch mit arabischen Staaten Geschäfte macht, die Israels Existenzrecht nicht ohne Wenn und Aber akzeptieren. Die Zeile könnte sich auch auf Scholz' Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Kanzleramt beziehen, bei dem Abbas den Holocaust relativiert hat. Allerdings fand dieses Treffen bereits im August 2022 statt.

Panik Panzer in seiner, der zweiten Strophe des „Oktober in Europa“-Tracks wiederum kommt auf „Hamas-Propaganda an Kreuzberger Häuserwänden“ zu sprechsingen. Und auf eine Stimmung der Angst: „War das jetzt ein Böller oder war das schon ein Schuss?“ Der Taxifahrer, so Panik Panzer, rede wie ein Nazi; und auch auf Partys führe er lieber keine Diskussionen mehr. Parallel erzählt Panik Panzer in seinem Rap-Part die Geschichte einer Mutter, die „die Kleinen“ zu Bett legt: Die jüdische Mesusa nimmt sie aus Angst aus dem Türrahmen heraus. Und auch „Omas Kette mit dem Stern trägt sie lieber wieder nicht“.

Danger Dann kommt dann in seinem, dem finalen dritten Teil des Stücks, besonders deutlich auf die Antifa zu sprechen. Und auf deren teilweise antisemitischen Tendenzen. Danger Dan erinnert sich daran, dass er vor der Roten Flora, dem Zentrum der Autonomen Szene Hamburgs, gespielt hat: „Siebentausend Antifas machen ein'n auf Wir-Gefühl / Und ein'n Monat später waren alle seltsam ruhig / Ist auch kompliziert, muss man einfach beide Seiten seh'n / Wenn Terroristen Frau'n in Leichenhaufen vergewaltigen.“

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Wobei sich (das kommt im Antilopen-Stück nicht vor) die Rote Flora fünf Tage nach dem Massaker der Hamas sehr wohl auf die Seite der jüdischen Opfer stellte, mit Bannern wie „Killing Jews is not fighting for freedom“. Nachdem Danger Dan von Zivilisten in Gaza als Schutzschildern der Hamas rappt und auch davon, dass Berkeley (die kalifornische Elite-Uni, an der antisemitische Angriffe bekannt wurden und an der auch Judith Butler Professorin ist) näher an den teheranischen Mullahs als an San Francisco liege, kommt Danger Dan zur tragischen Pointe: „Ich wollt ja zur Antifa-Demo gegen Judenhass / Aber gab keine in Berlin, gute Nacht.“

Über die Hintergründe der Entstehung ihres neuen Stücks hat sich die Antilopen Gang zudem in einem kleinen Text geäußert, der dem Youtube-Video des Musikclips beigestellt ist: „Das antisemitische Massaker in Israel am 07.10.23 ist nun ein halbes Jahr her. Noch immer sind nicht alle Geiseln frei. Als wir uns im November zusammensetzten, um neue Lieder zu schreiben, überschattete der 07.10. alle unsere Gedanken und Gespräche. Während wir im Studio anfingen zu arbeiten, spitzten sich die antisemitischen Zustände auch in Deutschland und Europa weiter zu. Jeder Versuch eines Liedes, das dieses Thema umschifft, kam uns falsch und belanglos vor – nicht zuletzt angesichts des vielsagenden Schweigens der meisten anderen Musiker. So entstand ‚Oktober in Europa‘ wie von selbst, aus einer Notwendigkeit heraus. Es war das erste neue Lied, das wir zusammen schrieben und es ist auch das erste neue Lied, das wir jetzt veröffentlichen.“

Auf ein In-Szene-Setzen im herkömmlichen Sinn wurde bei dem Video zu „Oktober in Europa“ verzichtet. Es zeigt den Text des Lieds auf weißem Hintergrund als schwarze Schrift. Auch dadurch wird es klar: Die Antilopen Gang vertraut, wie es im Rap die beste Tradition ist, auf die Kraft des Worts, zum Denken anzustoßen.

QOSHE - „Überraschung: Auch Greta hasst Juden“: Die Antilopen Gang und ihr Song „Oktober in Europa“ - Stefan Hochgesand
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„Überraschung: Auch Greta hasst Juden“: Die Antilopen Gang und ihr Song „Oktober in Europa“

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05.04.2024

Viele Menschen, die ansonsten gerne lautstark Stellung beziehen, waren plötzlich ruhig nach dem 7. Oktober 2023. Nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel, bei dem Kämpfer der palästinensischen Terror-Organisation mehr als tausend Menschen in Israel heimtückisch ermordet haben – und mehr als 200 Geiseln nahmen.

Insbesondere bei Menschen, die sich selbst als links, kulturell und antirassistisch verstehen, fiel dieses Schweigen auf. Aber nicht nur Schweigen: Einige, etwa die prominente Philosophin und Aktivistin Judith Butler und viele ihrer Fans, Leute der „Queers For Palestine“-Bewegung, äußerten gar Verständnis für den Terror der Hamas - als wäre die Hamas mit ihrem Morden eine legitime Form des Widerstands.

Auch in der deutschsprachigen HipHop-Landschaft haben wenige den Terror verurteilt und sich mit Israel als einziger Demokratie im Nahen Osten solidarisiert. Eine prominente Ausnahme war der jüdische Berliner Rapper Ben Salomo mit seinem kämpferischen Track „Kämpf allein [Free Palestine from Hamas/ISIS/Hisbollah]“.

Fast ein halbes Jahr später meldet sich nun auch das Rap-Trio Antilopen Gang mit einem Song zum Thema zu Wort: „Oktober in Europa“. Schon in der Vergangenheit haben sich die drei am Thema Rechtsextremismus abgearbeitet, etwa mit ihrem Song „Beate Zschäpe hört U2“. Aber ein so eindrückliches Statement gegen Antisemitismus wie nun „Oktober in Europa“ gab es von den dreien bislang nicht in Song-Form.

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Wie ist der Track aufgebaut? Die drei Antilopen-Gang-Rapper Koljah, Panik Panzer und........

© Berliner Zeitung


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