Ran Huber gilt in der Berliner Indie-Konzertszene liebevoll als das „Trüffelschwein“ unter den Veranstaltern. Seine Konzertreihe AmStart ist seit 25 Jahren Sprungbrett für musikalische Newcomer in der Stadt. Sogar Leute, die inzwischen Stars sind (etwa die kanadische Sängerin Feist) hatten ihre ersten Berlin-Shows bei AmStart. Ein Gespräch über bedrohte Freiräume, darüber, wieso Taylor Swift und Co. abräumen, was für Ran Huber den Konzertraum als sozialen Ort ausmacht – und ob man auch auf Spotify Entdecker sein kann.

Herr Huber, was war die Idee für AmStart vor 25 Jahren?

Die Idee war, nach sechs, sieben Jahren in Berlin, die Musikszene, die ich hier kennengelernt habe und die ich sehr cool fand, auf eine Bühne zu bringen – zusammen mit tollen Bands aus dem „Seattle des Südens“, wo ich ursprünglich herkam: Weilheim, Landsberg, wo auch The Notwist herkommen. Eine Brücke also, zwischen Bands aus dem Süden und aus dem Norden, und das auf einer gemeinsamen Bühne.

Wieso ging das damals in Berlin so gut?

In Sachen Konzertorte war es damals eher mau, abgesehen von den etablierten. Aber dann hat die Maria am Ostbahnhof aufgemacht. Im Erdgeschoss und im ersten Stock war der Club drin. Unten der Konzertraum. Deren Booker hat mir das Tor geöffnet. Ich durfte dort machen, was ich wollte. Er fand mein Konzept gut, und es kam auch sonst gut an.

Wie haben Sie damals Werbung gemacht ohne Internet? Und wer kam zu den Konzerten?

Paar Journalisten kannte ich vom Ausgehen, zum Beispiel vom Flyer, einem kleinen Reader, wo Partytipps gelistet waren. So hab ich Werbung gemacht. Es kam eine gewisse Szene, die die Bands gut fand. Eine vergleichbare Indie-Off-Konzertreihe gab es vorher in Berlin nicht. Wir haben Bands gleichberechtigt auf die Bühne gepackt und auch Bands gefeatured, die noch nicht so bekannt waren.

•vor 2 Std.

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22.03.2024

•gestern

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Feist hat auch bei Ihnen gespielt, richtig? Noch bevor sie berühmt wurde.

Ja, das war so. Beim Konzert in der Kopierbar, Ecke Linien-/Rosenthaler Straße. Der Ort hatte Raumschiff-Vibes. Und Feist hat damals als Support für Erlend Øye von Kings of Convenience bei uns gespielt.

Viele Acts, die bei Ihnen gespielt haben, wurden dann so bekannt, dass sie zu größeren Konzertagenturen gewechselt sind. Waren sie da stolz oder traurig?

Ambivalent. Anfangs war ich genervt, wenn Künstler abgesprungen sind. Aber es gab auch Leute, die mir lange treu blieben, wie Dagobert und Sophie Hunger. Andererseits: Wenn alle Acts bei mir geblieben wären, hätte ich jetzt wahrscheinlich ein Haus neben Universal und dutzende Mitarbeiter, und das wollte ich ja nie. Ich wollte lieber weiter neue coole Acts entdecken.

Wie entdecken Sie die eigentlich? Man nennt Sie liebe voll das „Trüffelschwein“ in der Szene.

Nicht wie ein Headhunter, sondern eher übers private Kennenlernen. Aber offensichtlich habe ich dafür ein Näschen: Isolation Berlin. International Music. Albertine Sarges gehören auch dazu.

Haben Sie schon mal was auf Spotify entdeckt?

Jein. Die Band Culk zum Beispiel. Man macht da immer wieder mal Entdeckungen. Auf der anderen Seite ist Spotify so öde. Man muss schon selber diggen. Der Algorithmus von Spotify ist ja nicht dazu geschrieben, Typen wie mir Tipps zu geben, damit ich in Berlin coole Shows mache.

Man hört immer wieder, dass in Berlin die Räume für Experimente verschwinden.

Eindeutig, ja. Darauf will ich auch mal Joe Chialo ansprechen. Ich weiß nicht, ob er sich mit Subkultur auskennt, aber ich habe gehört, er ist nett und interessiert. Das Thema Räume ist wahnsinnig wichtig. Gerade Orte, die mehr sind als nur Konzertkonsumabfertigungsstationen wie Lido oder Columbiahalle.

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Was fehlt Ihnen denn dort?

Der Konzertraum als sozialer Ort. Wo man sich auch nach dem Konzert noch austauscht. Die Bands untereinander und auch mit den Fans. Man hatte einen schönen Abend und will dann doch die Freude teilen. Die Berghain-Kantine zum Beispiel ist ein toller Ort mit starkem Booking und guter Anlage. Aber selbst dort ist um 12 Uhr abends Schluss, dann müssen alle raus sein.

Und die Orte, die mehr Spontaneität zulassen, die verschwinden, richtig?

Es gibt immer noch Läden, die länger offen bleiben, aber es wird rarer. In Mitte gibt es noch den Schokoladen. Im Roten Salon warte ich seit fünf Jahren darauf, dass es wieder richtig losgeht. Die Orte sind definitiv bedroht. Das liegt nicht nur an den durch die Inflation gestiegenen Produktionskosten – sondern auch daran, dass wirklich nicht genug getan wird. Es gibt natürlich auch gewiefte Leute wie die Holzmarkt-Typen, die sich das Gelände gekauft haben und ihre eigenen Clubs reinbauen. Aber wenn man sich das nicht leisten kann, ist es echt schwierig. Das Zukunft am Ostkreuz war bis 2023 wichtig. Auch das About Blank ist bedroht. Es macht keinen Spaß, wenn man am Ende nur noch durchformatierte Läden hat.

Wie geht es also weiter?

Was einen richtigen Cut geben wird, ist, wenn das Urban Spree verschwindet. Da wollen die ja noch einen Tower hinbauen.

Also ist es mit dem Berlin, wie viele es noch kennen, als Ort der Subkultur, bald vorbei?

Ich bin da ambivalent, weil ich das alles schon so lange mache. Eigentlich ist es für mich schon fast seit 20 Jahren vorbei. Viele Clubs sind in die Peripherie gegangen. Manche wollen nicht mal beim Namen genannt werden, weil sie keine offizielle Lizenz haben. Wenn die Entwicklung so weitergeht, ist es bald wirklich vorbei. Vielleicht ist das aber auch ein Generationen-Ding: dass das jüngere Publikum gar nicht mehr so drauf Wert legt, dass man nach dem Konzert noch zusammen abhängt.

Das jüngere Publikum teilt das Konzerterlebnis auf Social Media.

Ja, aber das Unmittelbare ist doch wahnsinnig wichtig für die Seele.

Warum sind viele Leute bereit, hunderte Euros für Taylor Swift zu bezahlen – aber nicht einen Bruchteil davon für kleinere Indie-Konzerte?

Das ist eine super brutale Entwicklung. Ich glaube, das ist einfach Marketing. Zielgruppen-Targeting. Schlaue Konzepte, wo Industrien dahinter stehen. Meine Nichte ist gerade auch in Berlin für Korea-Popstars. Die sind immer ausverkauft. In fünf Tagen hat meine Nichte 800 Euro ausgegeben; und davon 600 Euro für Konzerte und den ganzen Merch. Gleich am ersten Abend hat sie ganz stolz ihren Leuchtstab gezeigt, der 90 Euro kostet. Wenn man den anmacht, werden angeblich die Endorphine im Körper gesteigert. Ich glaub’ sowas nicht. Das ist einfach ein Plastikspielzeug. Klar, Merch war schon immer eine super Möglichkeit, viel mehr zu verdienen als mit den Konzerttickets selbst. Aber inzwischen ist das pervertiert worden. Und dann gibt es da noch eine andere Tendenz.

Welche wäre das?

Einige internationale Stars touren gar nicht mehr durch ganz Europa, sondern sie kommen nur noch in eine Stadt, etwa nach München oder Mailand. Die Fans müssen dann dorthin anreisen. Aber der Punkt ist: Die Fans fressen diesen Leuten trotzdem aus der Hand. Nach dem Prinzip: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.

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Für 800 Euro könnte man bei Ihnen theoretisch eine Jahres-Flatrate kaufen.

An so ein Modell hab ich wirklich mal gedacht. Andererseits macht das bei meinen Strukturen keinen Sinn. Vermutlich muss ich eher das Besondere, das Einzigartige meiner Konzerte besser erklären. Wenn ich meine Poster aufhänge, dann ist das total oldschool. Darauf bekomme ich Reaktionen, weil die besonders sind.

Was steht für das Jahr noch an?

Das Jubiläum können wir noch das ganze Jahr über feiern. Aber mir ist nach 22 Jahren die Förderung vom Musicboard weggebrochen, was mich echt stresst. Das führt dazu, dass ich nicht mehr so viele Shows machen kann. Auch solche nicht, die ich bislang aus reinem Idealismus und Freude gemacht habe. Aber: Zwei Mal im Jahr kann man Anträge stellen. Es ist also für dieses Jahr noch nicht ganz verloren.

25 Jahre AmStart 4.4. Rita Braga + Sir Percy, Galiläakirche; 10.4. Barbara Morgenstern + Ibadet Ramadani, Schokoladen; 19.4. Koschka + Teresa Riemann, Ausland; 28.4. Bärchen & Milchbubis + Jens Ausderwäsche, Monarch; Details und weitere Konzerte auf www.amstart.tv

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Konzertveranstalter Ran Huber: „Berlin ist für mich seit 20 Jahren fast vorbei“

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25.03.2024

Ran Huber gilt in der Berliner Indie-Konzertszene liebevoll als das „Trüffelschwein“ unter den Veranstaltern. Seine Konzertreihe AmStart ist seit 25 Jahren Sprungbrett für musikalische Newcomer in der Stadt. Sogar Leute, die inzwischen Stars sind (etwa die kanadische Sängerin Feist) hatten ihre ersten Berlin-Shows bei AmStart. Ein Gespräch über bedrohte Freiräume, darüber, wieso Taylor Swift und Co. abräumen, was für Ran Huber den Konzertraum als sozialen Ort ausmacht – und ob man auch auf Spotify Entdecker sein kann.

Herr Huber, was war die Idee für AmStart vor 25 Jahren?

Die Idee war, nach sechs, sieben Jahren in Berlin, die Musikszene, die ich hier kennengelernt habe und die ich sehr cool fand, auf eine Bühne zu bringen – zusammen mit tollen Bands aus dem „Seattle des Südens“, wo ich ursprünglich herkam: Weilheim, Landsberg, wo auch The Notwist herkommen. Eine Brücke also, zwischen Bands aus dem Süden und aus dem Norden, und das auf einer gemeinsamen Bühne.

Wieso ging das damals in Berlin so gut?

In Sachen Konzertorte war es damals eher mau, abgesehen von den etablierten. Aber dann hat die Maria am Ostbahnhof aufgemacht. Im Erdgeschoss und im ersten Stock war der Club drin. Unten der Konzertraum. Deren Booker hat mir das Tor geöffnet. Ich durfte dort machen, was ich wollte. Er fand mein Konzept gut, und es kam auch sonst gut an.

Wie haben Sie damals Werbung gemacht ohne Internet? Und wer kam zu den Konzerten?

Paar Journalisten kannte ich vom Ausgehen, zum Beispiel vom Flyer, einem kleinen Reader, wo Partytipps gelistet waren. So hab ich Werbung gemacht. Es kam eine gewisse Szene, die die Bands gut fand. Eine vergleichbare Indie-Off-Konzertreihe gab es vorher in Berlin nicht. Wir haben Bands gleichberechtigt auf die Bühne gepackt und auch Bands gefeatured, die noch nicht so bekannt waren.

•vor 2 Std.

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22.03.2024

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Feist hat auch bei Ihnen gespielt, richtig? Noch bevor sie berühmt wurde.

Ja, das war so. Beim Konzert in der Kopierbar, Ecke Linien-/Rosenthaler Straße. Der Ort hatte Raumschiff-Vibes. Und Feist hat damals als........

© Berliner Zeitung


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