Nachdem die letzten Takte Electro-Swing vom Band verstummt sind, tritt Róisín Murphy Punkt 21 Uhr auf die Bühne der Berliner Verti Music Hall. Viele, die gerade noch Bier holen wollten, strömen in den Innenraum. Ob im Croptop oder im Discokugelglitzerhemd. Die gigantische Bühnen-Leinwand flackert dramatisch schwarz-weiß. „Pure Pleasure Seeker“, den Song ihrer alten Band Moloko, stimmen Róisín Murphy und ihre Tour-Band (Drums, Percussion, Gitarre, Bass und Synthesizer) mit einem Knall an – um dann immer wieder für anderthalb Sekunden zu verstummen. Stimmt was mit der Technik nicht? Nein, alles nur Show. Und was für eine!

Im engelsweißen Oversized-Sakko, kontrastreich kombiniert mit pechschwarzen Handschuhen, bewegt sich Róisín Murphy wie eine moderne Marlene Dietrich auf der Bühne. Bald schon setzt sie sich noch einen Zylinder auf, wie ein Zauberer. Aber einer, der in einem Bällebad aus Bass tanzt. Der Synthesizer fasert 80s-Melodielinien hinzu, eine Mixtur aus Cyndi Lauper und aus „Stranger Things“-Soundtrack. Schnell kulminiert all dies in Gameboy-Musik-Techno-Noise. Die Crowd liebt es. Betriebstemperatur: wie am Montagmorgen in der Panorama-Bar im Berghain. Oder (für alle, die sich noch erinnern): wie bei Cocktail d’Amore in der Griessmühle.

Zu ihrem Lied „Simulation“ stöhnt Róisín Murphy unaufhaltsam wie eine „Love to Love You Baby“-Donna-Summer. Immer wieder geht Murphy beim Berlin-Konzert mit der Stimme tief runter, als wollte sie einen Acker umpflügen – oder den Boden unter der Verti Music Hall aufreißen. Dann geht sie wieder hoch mit der Stimme, als wollte sie die Wolken piksen, warum auch nicht. Róisín Murphy ist die bessere Madonna – zumindest wenn man organisch-warmen Indie-Disco liebt. Und die feine Rhythmustruppe, die sie mitgebracht hat (drei Leute für Drums und Percussion), hat einen fantastisch synkopierten Funk intus – der sich immer mal wieder auch in einen Salsa-Kurs für prächtig Fortgeschrittene transformiert.

13.03.2024

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14.03.2024

15.03.2024

13.03.2024

In diesem Stil steigt Murphy quer durch ihr Œuvre („Something More“, „Sing It Back“, „Ramalama Bang Bang“), von Moloko bis zum aktuellen Album „Hit Parade“. Das hat sie mit dem deutschen DJ Koze produziert. „Hier in Berlin fühle ich mich direkt zu Hause“, versichert Murphy an diesem Samstagabend. Wer wollte daran zweifeln, so leidenschaftlich wie sie mit der ersten Reihe über die Absperrung hinweg kuschelt? „What time is it?“, will Murphy wissen. Die Berliner wissen es: „The Time Is Now“ kreischen sie, es ist der Text aus Murphys gleichnamigem Lied.

Róisín Murphy vor ihrem Berlin-Konzert in der Verti Music Hall: „Im Herzen bin ich ein Boxer“

09.09.2023

Das Berghain und die The-xx-Sängerin Romy sind ein mega Match: „Das werd ich nicht vergessen!“

gestern

Nach anderthalb Dutzend Champagner-Disco-Songs filmt die Bühnen-Livecam tief in Murphys Schlund. Die Visuals schwanken zwischen Nordlichtern und Dumbo auf Partypillen. Murphy haut sich Rosen auf den Popo wie eine besonders poetische, selbstgeißelnde Domina. Dann tanzt sie am Mikroständer wie an einer Gogo-Stange. „In Berlin hab ich an jeder Ecke Vergnügen gesucht“, beichtet sie lasziv. „Und es heute Nacht hier auch gefunden.“ Der Resonanz nach zu urteilen, fühlen es viereinhalbtausend Menschen in der ausverkauften Verti Music Hall ähnlich. Es wird getanzt, als gäbe es kein Übermorgen. The time is now. Und so stark wie jetzt war Murphy nie zuvor.

QOSHE - Róisín Murphy in der Verti Music Hall: „In Berlin hab ich an jeder Ecke Vergnügen gesucht“ - Stefan Hochgesand
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Róisín Murphy in der Verti Music Hall: „In Berlin hab ich an jeder Ecke Vergnügen gesucht“

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17.03.2024

Nachdem die letzten Takte Electro-Swing vom Band verstummt sind, tritt Róisín Murphy Punkt 21 Uhr auf die Bühne der Berliner Verti Music Hall. Viele, die gerade noch Bier holen wollten, strömen in den Innenraum. Ob im Croptop oder im Discokugelglitzerhemd. Die gigantische Bühnen-Leinwand flackert dramatisch schwarz-weiß. „Pure Pleasure Seeker“, den Song ihrer alten Band Moloko, stimmen Róisín Murphy und ihre Tour-Band (Drums, Percussion, Gitarre, Bass und Synthesizer) mit einem Knall an – um dann immer wieder für anderthalb Sekunden zu verstummen. Stimmt was mit der Technik nicht? Nein, alles nur Show. Und was für eine!

Im engelsweißen Oversized-Sakko, kontrastreich kombiniert mit pechschwarzen Handschuhen, bewegt sich Róisín Murphy wie eine moderne Marlene Dietrich auf der Bühne. Bald schon setzt sie sich noch einen Zylinder auf, wie ein Zauberer. Aber einer, der in........

© Berliner Zeitung


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