Berlin-Bashing geht immer. Wer Berlin liebt, der darf Berlin auch nebenbei ein wenig hassen. Ist ja manchmal wirklich gruselig und eklig hier. Und dann wieder: sexiest city alive. „Diese Stadt ist voller Hass, so viele Demons hier“, gab kürzlich erst der Schöneberger Rapper Monk in seiner Single „Berlin08“ zum Besten – um uns dann aber zu verklickern, warum er Berlin trotz allem die Treue hält.

Auch die beiden Wahl-Berliner Sam James und Tom Blanc arbeiten sich nun an Berlin, ihrer neuen Heimat, ab. „Berlin“ heißt die frischgepresste Single. Sam James, Jahrgang 1996, geboren in Leverkusen, später wohnhaft in Köln, trat 2018 mit seinem Debüt-Album „Sam vs. die Welt“ als Rapper auf den Spuren von Kid Cudi in Erscheinung; der Nachfolger „Sam vs. die Welt 2“ überraschte dann aber auch mit Gitarren-Figuren im Stil von Neo-Britpop à la The Kooks.

Wobei die Heiterkeit der Riffs nicht über die Seelenabgründe hinwegtäuschen sollte: Im Lied „Geistertanz“ etwa forderte das von Sam James entworfene lyrische Ich nach den Betäubungsmitteln Tavor und Olanzapin: „Die Schwester bringt mir mehr, wenn ich mit Geistern tanz.“ Es klingt nach geschlossener Anstalt oder zumindest mentaler Ungesundheit. „Handle With Care“ hieß auch Sam James’ EP von 2020. Frei übersetzt nach dem Hinweis für die Post-Austräger auf Paketen: „Vorsicht, zerbrechlich!“

Tom Blanc wiederum, der im bayerischen Aschaffenburg aufwuchs, stellte 2022 in seiner Single „Kleinstadt“ klar, dass er aus einer „Kleinstadt am Main“ komme; wobei die, wenn man Tom Blancs Text glauben, Berlin in Sachen Alltagstristesse und Substanzmissbrauch in nichts nachsteht: „Jeder zweite in der Stadt ist depressiv / Kleine Kinder sind auf Teilen, Opiaten, Ketamin.“ Nicht gerade das Lied, das Markus Söder zum Image-Song für den Freistaat küren würde.

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•vor 7 Std.

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Nun für „Berlin“ also machen diese beiden Neu-Berliner Jungspunde Sam James und Tom Blanc gemeinsame Sache. Sam James ist im September 2023 fest nach Berlin (nach Prenzlauer Berg) gezogen – wobei er auch schon in den Jahren davor viel in Kreuzberg (genauer gesagt: im Wrangelkiez) an seiner Musik gearbeitet hat. Tom Blanc wiederum hat seinen Wohnsitz offiziell noch in Aschaffenburg – ist aber für die Musik auch oft in der Hauptstadt. Mittelfristig will er ganz herziehen. Wenn man sich die Lyrics von „Berlin“ zu Gemüte führt, wirkt das ein bisschen wie ein Widerspruch. Vielleicht aber auch nicht.

Worum geht es in „Berlin“ konkret? Auf einem Bouquet von Peitschen-Beats und Wave-Gitarren wechseln sich die beiden Kollegen Blanc und James ab mit ihren anti-postkartentauglichen Impressionen von Berlin. Sam James besingt sein Dasein in Berlin als Tanz auf der Klippe und als Gefangensein im Netz einer Spinne. „In meinem Kopf sind tausend wirre Dinge.“

Statt Essen in den Magen gibt’s satt Rauch in die Lunge. „Ah ah, ich bin gestrandet / Verdammt wie bin ich hier gelandet.“ Fuck, so kann’s gehn. Die Conclusio von Sam James im Refrain? „Berlin! Bitte spuck mich wieder aus / Wirst du zu meinem Albtraum oder wach ich wieder auf.“ Berlin kommt hier kaum besser weg als ein Seelen verspeisendes Godzilla-Monster.

Kollege Tom Blanc springt seinem Kumpel Sam James inhaltlich bei: Er, Blanc, halte sich schon fern von Partys und Drogen: „Pass besser auf mich auf, glaub sonst verlier ich mich.“ Mal zeigt sich Blanc zartbesaitet-poetisch („Ein dünner Draht zwischen Träumen und dem Abgrund“), dann setzt er wieder auf die Poetik übelriechender Flüssigkeiten, die nicht jedermanns Fetisch sind: „Die Straße stinkt nach Pisse und Benzin.“ Berlin! Oder auch Aschaffenburg?

Schöneberger Rapper Monk über Berlin: „Diese Stadt ist voller Hass, so viele Demons hier“

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Im Finale von „Berlin“ schwört Sam James dann zum zweiten Mal die Hook, also den Refrain, herauf samt fordernder Conclusio: „Berlin! Bitte spuck mich wieder aus! Ich tanze auf dem Abgrund und muss morgen wieder raus.“ Tja, wenn das so einfach wäre. Aber wie das so ist mit Berlin, wir schimpfen alle gern. Wie sang einst Peter Fox? „Guten Morgen, Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau. Du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf.“ Auch dort schon: Berlin als Seelen fressendes Monstrum.

Doch Fox lebt nach wie vor in Lichterfelde-West. Vielleicht bleiben ja auch Sam James und Tom Blanc unserer herrlich irren, schlimmen, widerlichen Stadt noch länger treu?

QOSHE - Sam James und Tom Blanc über Berlin als Albtraum: „Die Straße stinkt nach Pisse und Benzin“ - Stefan Hochgesand
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Sam James und Tom Blanc über Berlin als Albtraum: „Die Straße stinkt nach Pisse und Benzin“

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22.04.2024

Berlin-Bashing geht immer. Wer Berlin liebt, der darf Berlin auch nebenbei ein wenig hassen. Ist ja manchmal wirklich gruselig und eklig hier. Und dann wieder: sexiest city alive. „Diese Stadt ist voller Hass, so viele Demons hier“, gab kürzlich erst der Schöneberger Rapper Monk in seiner Single „Berlin08“ zum Besten – um uns dann aber zu verklickern, warum er Berlin trotz allem die Treue hält.

Auch die beiden Wahl-Berliner Sam James und Tom Blanc arbeiten sich nun an Berlin, ihrer neuen Heimat, ab. „Berlin“ heißt die frischgepresste Single. Sam James, Jahrgang 1996, geboren in Leverkusen, später wohnhaft in Köln, trat 2018 mit seinem Debüt-Album „Sam vs. die Welt“ als Rapper auf den Spuren von Kid Cudi in Erscheinung; der Nachfolger „Sam vs. die Welt 2“ überraschte dann aber auch mit Gitarren-Figuren im Stil von Neo-Britpop à la The Kooks.

Wobei die Heiterkeit der Riffs nicht über die Seelenabgründe hinwegtäuschen sollte: Im Lied „Geistertanz“ etwa forderte das von Sam James entworfene lyrische Ich nach den Betäubungsmitteln Tavor und Olanzapin: „Die Schwester bringt mir mehr, wenn ich mit Geistern........

© Berliner Zeitung


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