Man muss sich dieser Tage manchmal kneifen, damit einem der Realitätssinn nicht flöten geht. Nun liegt wieder eine Woche hinter uns, in der wir zum Beispiel sehr viel über das Klatschen von Claudia Roth gesprochen haben. Das hat den Vorteil, dass man nun weiß, dass die Kulturstaatsministerin gerne goldene Ringe trägt, auch mehrere an einem Finger. Roth und Bürgermeister Kai Wegner wurde vorgeworfen, während der Preisverleihung eines Berlinale-Films an der falschen Stelle applaudiert zu haben.

In besagtem Moment, so wurde fälschlich moniert, habe sich ein prämierter Filmemacher, selbst Jude wohlgemerkt, antisemitisch geäußert. Der Skandal war groß, Deutschland empört. Roth hatte daraufhin mit einem missverständlichen Posting alles noch etwas misslicher gemacht, sodass selbst der britische Guardian sie so verstand, dass sie nur dem israelischen, nicht aber seinem Kompagnon, dem palästinensischen Filmemacher zugeklatscht habe, der zugleich auf der Bühne stand.

Und ja, so ist das gerade: Händeklatschen, Kindergarten. Das Ende einer Berlinale, die bereits ihre Schimpf- und Schande-Schatten vorausgeworfen hatte, durch das kopflose Ein- und Ausladen von AfD-Mitgliedern und der folgenden Skandalisierung. Wer hat wen eingeladen, wer klatscht wie, wann, für wen und wen nicht? Das sind so die Fragen, mit denen man sich auseinandersetzt Anfang 2024, und natürlich ist es gar nicht so einfach, da einen kühlen Kopf zu bewahren.

Am Freitag konnte die Grünen-Politikerin die Sache in einem großen Interview im Spiegel einigermaßen geraderücken. Roth konnte ihr Klatschen gut erklären, aufgebrachte Feuilletonisten können wieder besser schlafen.

28.02.2024

27.02.2024

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In dem Gespräch wird aber deutlich, wie schwer es dem Kunstbetrieb derzeit fällt, sich nicht von Empörungswellen durch den Ozean der Meinungen treiben zu lassen. So stellt Roth zum Thema Berlinale zwar klar: „Das Besondere an Kunst ist ja, dass sie oft uneindeutig und sehr unterschiedlich interpretierbar ist.“ Spricht dann aber von einer neuen „kuratorischen Verantwortung“. Was soll das nun wieder sein? Sie legt nahe, man müsse in Zukunft besser aufpassen: „Dazu gehört auch: Welche Filme werden ausgewählt? Wie werden die Jurys besetzt?“

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Dass für ein Filmfestival sowohl Filme als auch eine Jury zusammengestellt werden, ist an sich nichts Neues. Sollen ab jetzt nur noch die „richtigen“ ausgewählt werden? Nur Künstler mit wasserdichten Lebensläufen? Und wie genau stellt die Staatsministerin sich vor, das zu gewährleisten? Der Staat darf die Leitung bestimmen, und soll sich danach raushalten, so die Rechtslage. Tricia Tuttle, die ab April wirkende neue Leiterin der Berlinale, wird genau hingehört haben.

Die Documenta 16 jedenfalls, bei deren letzter Ausgabe es den ersten riesigen Antisemitismus-Streit gab, und die bisher ohne Führung und Findungskommission ist, soll wie geplant 2027 stattfinden. Aber auch dort, orakelt Roth, müsse es erst „neue Strukturen“ geben: „Ohne neue Struktur wird es von uns kein Geld geben“, macht sie klar.

Den Fragen, wie der Staat auf Kultur einwirken möchte, wie er mit unliebsamer politischer Kunst umgehen will und wie groß die Kunstfreiheit in Deutschland weiterhin geschrieben wird, gibt sie damit Feuer.

QOSHE - Berlinale-Eklat: Hat Claudia Roth, oder hat sie doch nicht falsch geklatscht? Ja! Nein! - Timo Feldhaus
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Berlinale-Eklat: Hat Claudia Roth, oder hat sie doch nicht falsch geklatscht? Ja! Nein!

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01.03.2024

Man muss sich dieser Tage manchmal kneifen, damit einem der Realitätssinn nicht flöten geht. Nun liegt wieder eine Woche hinter uns, in der wir zum Beispiel sehr viel über das Klatschen von Claudia Roth gesprochen haben. Das hat den Vorteil, dass man nun weiß, dass die Kulturstaatsministerin gerne goldene Ringe trägt, auch mehrere an einem Finger. Roth und Bürgermeister Kai Wegner wurde vorgeworfen, während der Preisverleihung eines Berlinale-Films an der falschen Stelle applaudiert zu haben.

In besagtem Moment, so wurde fälschlich moniert, habe sich ein prämierter Filmemacher, selbst Jude wohlgemerkt, antisemitisch geäußert. Der Skandal war groß, Deutschland empört. Roth hatte daraufhin mit einem missverständlichen Posting alles noch etwas misslicher gemacht, sodass selbst der britische Guardian sie so verstand, dass sie nur dem........

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