Zuerst: Wieso muss heutzutage jeder Film so furchtbar lang sein? Warum immer drei Stunden? Kann nicht mal wieder jemand einen kurzen Film machen? Vielleicht sogar einen lustigen oder einfach nur entspannten, zum Beispiel? All das ist der Film „Sterben“ jedenfalls nicht. Mit einem großartigen Ensemble einiger der prominentesten deutschen Schauspieler der Gegenwart wird stattdessen für alle internationalen Gäste der Berlinale in drei Stunden eine Ikone dafür geschaffen, was man so fühlt, wenn man an Deutschland und seine Filme denkt. Nämlich: sehr ernsthaft, Probleme, tiefes Schuldgefühl und große Ausweglosigkeit. Dazu gibt es noch die Zutaten klassische Musik, Zahnarzt, Altersdemenz, Depression, Selbstmord. Am Ende, und auch sonst immer mal wieder, wird verloren auf den Wald geschaut.

„Sterben“, neben Andreas Dresens „Hilde“ der zweite deutsche Beitrag im Wettbewerb um den Goldenen Bären, wird episodisch an einzelnen Mitgliedern einer Familie erzählt, sein Mittelpunkt ist aber Tom, gespielt von Lars Eidinger. Der ist Dirigent (die Slacker-Version, wenn es so etwas überhaupt geben kann) und wird gleich zu Beginn Vater. Allerdings ist das Kind nicht seines. Seine Ex-Freundin, mit der er sich nicht lieben, es aber doch auch nicht lassen kann, hat mit einem anderen das Baby gemacht, sie führen nun eine schwierige Dreiecksbeziehung in bohemehafter Szenerie.

Sex hat Tom mit seiner Assistentin, gespielt von Saskia Rosendahl. Seine Schwester ist Lilith Stangenberg, brillant überfordert, überfordernd, poetisch, selbstzerstörerisch, und öfter auch singend. Toms Eltern sterben. Davon handelt der Film. Sie machen das in Hamburg, Tom wohnt in Berlin. Er versucht nebenher ein Orchesterstück aufzuführen, es heißt „Sterben“, sein Kompagnon ist lebensuntüchtig, das Leben fällt ihm schwer, wie den meisten in diesem Film. Es ist kompliziert. Also alles, die ganze Zeit.

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Aber das bedeutet natürlich nicht, dass der Film schlecht ist. Es ist einfach recht düster – normaler Zustand in Deutschland, wo Menschen sich schlecht lieben können, recht kaltherzig sind und vollumfänglich familiär geprägt von einer Schuld, von der eigentlich niemand mehr weiß, wo sie herrührt, die aber dafür umso härter ballert.

Toms Mutter wird von Corinna Harfouch gespielt, die, krasse Szene, gleich zu Anfang auf dem Fußboden einer Vorstadtwohnung in ihrem Unrat sitzt und nicht weiter weiß. Überhaupt verfügt der Film über Szenen, die sich einem einbrennen, eine spielt in der Berliner Philharmonie, Stangenberg wieder, es wird hier nichts verraten, aber es tut weh beim Gucken, es tut richtig weh. Toll auch, wie der Film immer wieder über sich selbst spricht. Die Kinder des Orchesters, das Tom dirigiert, fühlen beim Üben das Stück (oder den Film?) „Sterben“ nicht. Es sei viel zu lang (ja!) und es gebe keine Hoffnung (richtig).

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Das Üben des Stücks und der Film gehen aber einfach weiter, was irgendwie sehr schön ist, weil so ist das Leben ja auch. Etwa in der Mitte beginnt dann in der Küche der Mutter dieser unglaubliche Dialog, den sie mit ihrem Sohn Tom führt. Am Tag einer Beerdigung (immer im deutschen Wald, immer ohne andere Gäste) kommt es gewissermaßen zum Showdown. Natürlich kann auch darüber hier nichts näher verraten werden, nur vielleicht so viel, dass Tom am Ende dieses sehr bewegenden, sehr gut gespielten Gesprächs plötzlich klar wird, „warum wir so furchtbar sind“. Und das will man wissen!

Andere Szenen wirken dann leider wieder so ausgedacht, dass auch die Schauspieler ihnen kein Leben einhauchen können. Etwa, wenn Eidinger, weil dem gemieteten Elektroauto auf dem Land die Elektrik ausgeht, eine extrem wichtige Beerdigung verpasst, und dann so tatortmäßig halb verzweifelt am deutschen Wegrand steht. Passiert so etwas wirklich?

Dann wieder speist sich aus den Bildern und Dialogen eine große Zärtlichkeit. Wie Harfouch sowohl mit ihrem dementen Mann als auch mit dem Sohn schön und zugleich in klirrender Kälte lebt, dafür sollte sie unbedingt einen Bären bekommen! Auch das Spiel zwischen Lilith Stangenberg und Ronald Zehrfeld – größte Kunst, der man einfach sehr gerne zuschaut. Dann mischen sich plötzlich absurde und komische Elemente bei. Aber natürlich nicht so komisch, dass man lachen würde.

Der Regisseur Matthias Glasner, dessen „Der freie Wille“ bei der Berlinale 2005 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, sagte in einem Interview einmal: „Alle Menschen sind schuldig. Mensch sein heißt schuldig werden. Und diejenigen, die das nicht anerkennen, nicht wissen, die neigen zur Selbstgerechtigkeit. Das sind die schlimmsten Menschen für mich.“

Wenn man nach den drei Stunden auf die Straße entlassen wird und in die gehetzten Großstadtgesichter guckt, dann sind sie plötzlich direkt wieder da. Die sind ja wirklich so, zwischen Hamburg und Berlin. Gut vorstellbar, dass die internationalen Gäste sich am Ende zuraunen werden: „Müssen Sie gesehen haben: ‚diese starrköpfigen, herzkranken Deutschen, herrlich!‘“

QOSHE - Deutscher Wettbewerbsfilm „Sterben“ mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger - Timo Feldhaus
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Deutscher Wettbewerbsfilm „Sterben“ mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger

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18.02.2024

Zuerst: Wieso muss heutzutage jeder Film so furchtbar lang sein? Warum immer drei Stunden? Kann nicht mal wieder jemand einen kurzen Film machen? Vielleicht sogar einen lustigen oder einfach nur entspannten, zum Beispiel? All das ist der Film „Sterben“ jedenfalls nicht. Mit einem großartigen Ensemble einiger der prominentesten deutschen Schauspieler der Gegenwart wird stattdessen für alle internationalen Gäste der Berlinale in drei Stunden eine Ikone dafür geschaffen, was man so fühlt, wenn man an Deutschland und seine Filme denkt. Nämlich: sehr ernsthaft, Probleme, tiefes Schuldgefühl und große Ausweglosigkeit. Dazu gibt es noch die Zutaten klassische Musik, Zahnarzt, Altersdemenz, Depression, Selbstmord. Am Ende, und auch sonst immer mal wieder, wird verloren auf den Wald geschaut.

„Sterben“, neben Andreas Dresens „Hilde“ der zweite deutsche Beitrag im Wettbewerb um den Goldenen Bären, wird episodisch an einzelnen Mitgliedern einer Familie erzählt, sein Mittelpunkt ist aber Tom, gespielt von Lars Eidinger. Der ist Dirigent (die Slacker-Version, wenn es so etwas überhaupt geben kann) und wird gleich zu Beginn Vater. Allerdings ist das Kind nicht seines. Seine Ex-Freundin, mit der er sich nicht lieben, es aber doch auch nicht lassen kann, hat mit einem anderen das Baby gemacht,........

© Berliner Zeitung


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