In der Talkshow „Maybrit Illner“ wurde am Donnerstagabend über Krieg und Frieden in der Ukraine diskutiert, die Zukunft der EU und die AfD. Zum wiederholten Mal durfte man AfD-Chef Tino Chrupalla bei seinen populistischen Argumentationskaskaden beobachten und ihn dabei erleben, wie er lauwarm Maximilian Krah verteidigt. Der AfD-Spitzenkandidat für das Europaparlament sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Einem engen Mitarbeiter Krahs wird vorgeworfen, für China spioniert zu haben. Im Dezember wurde Krah vom FBI verhört. Der Verdacht steht im Raum, dass Krah von kremlnahen Quellen Schmiergelder erhalten haben soll.

Juli Zeh über den Bundeskanzler: „Olaf Scholz zaudert nicht“

06.04.2024

Chrupalla verwies bei Illner auf die Unschuldsvermutung, auf die Regeln des Rechtsstaats. Beweise gegen Krah habe er nicht gesehen. Chrupalla konnte aber nicht genau erklären, warum Krah bei den nächsten Wahlkampfveranstaltungen der AfD zu den Europawahlen nicht auftreten will. So richtig entschieden stellte sich Chrupalla also nicht vor seinen Kollegen. Der Diskussionsrunde bei Illner waren Chrupallas Verteidigungen dennoch Anlass genug, mit geballter Kraft öffentlich Chrupalla vorzuführen – und sich dadurch ein Stück weit selbst vorführen zu lassen.

Illner warf Chrupalla Vaterlandsverrat vor. Chrupalla erwiderte: „In jeder Partei gibt es Korruption.“ Seine Taktik basierte auf Ablenkung. Zur Sprache kam etwa der Maskenskandal bei der CDU. Armin Laschet, der ebenso zu Gast war, konterte, dass seine Partei, die CDU, sofort Ermittlungen gegen Korruption eingeleitet und Abgeordnete, die mit dem Maskenskandal zu tun hatten, aus dem Parlament entfernt habe. Dieser Umgang sei bei der AfD nicht zu beobachten.

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Chrupalla wollte nicht klein beigeben und verwies im nächsten Beispiel auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (ehemals CDU) und auf Ermittlungen gegen die EU-Chefin in Zusammenhang mit unlauteren Geschäften bei der Beschaffung von Pfizer-Impfstoffen. Melanie Amann vom Spiegel, die Chrupalla besonders scharf angriff und sich an diesem Abend ausgesprochen kampfeslustig zeigte, sagte, dass diese Behauptung Chrupallas „verleumderischer Unsinn“ sei und keine Behörde in Brüssel gegen von der Leyen ermitteln würde. (Tatsächlich sagte Chrupalla die Wahrheit. Laut Politico ermittelt die Europäische Staatsanwaltschaft mit Sitz in Luxemburg gegen Ursula von der Leyen wegen Korruptionsverdachts und untersucht etwa einen SMS-Austausch zwischen von der Leyen und dem CEO von Pfizer.)

Chrupalla verlautbarte somit nicht unbedingt falsche Tatsachen, er packte seine Sätze und Meinungen aber in einen Kokon aus Verkürzungen und populistischen Simplifizierungen. Es war deutlich zu spüren, dass er keinen Anlass sah, Selbstkritik zu üben oder die schweren Vorwürfe gegen die AfD auszuräumen. Als würde er nichts dagegen haben, dass man die AfD mit „fremden Mächten“ wie China oder Russland in Verbindung bringt. Stattdessen zündete er Nebelkerzen. Als er gefragt wurde, warum er Putin nicht einen Kriegsverbrecher nennt, erwiderte er, dass die bürgerlichen Eliten in Deutschland den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama ebenso nicht als Kriegsverbrecher bezeichnen würden, trotz der Einsätze des amerikanischen Militärs in Syrien. Chrupallas Taktik fruchtete in diesem Sinne, dass er die ersten 20 Minuten der Diskussion komplett vereinnahmen konnte und perfekte Steilvorlagen für impulsive Erregungen für die anderen Teilnehmer bot. Selbst Illner konnte nicht ruhig bleiben und echauffierte sich, was wie ein Kontrollverlust wirkte. Also: unsouverän.

Die Schriftstellerin Juli Zeh verhielt sich ganz anders. Sie wurde erst nach den Chrupalla-Hau-drauf-Festspielen ins Gespräch gebracht, nach etwa 20 Minuten. Sie erkannte richtig, dass der Ablauf der Talkshow genau zum Gegenteil dessen führte, was Illner eigentlich beabsichtigen wollte: AfD-Sympathisanten ihre Sympathie für die AfD zu nehmen. Denn bei vielen Zuschauern dürfte im Gedächtnis bleiben, dass schon wieder ein AfD-Mensch eingeladen wurde, um medial vorgeführt zu werden. Juli Zeh nannte es ein Unbehagen gegenüber der Diskurskonstellation. Und noch konkreter: „Alle versammeln sich um Chrupalla, als wäre er das Lagerfeuer des Grauens. Wollen wir auf diese Weise den Diskurs führen?“ Man könnte noch hinzufügen: Und der Zuschauer greift zum Popcorn.

Armin Laschet pflichtete der Autorin bei und sagte, dass Deutschland Probleme hätte, schwierige Dinge offen auszudiskutieren. „Wir müssen darauf achten, dass wir nicht zu einer Schwarz-Weiß-Republik werden“, sagte Laschet und verwies darauf, dass nicht jeder ostdeutsche Friedensaktivist gleich ein Putin-Fan sei. Es war auch ein Protest gegen Maybrit Illner, die in der Sendung mit genau jenen Stereotypen arbeitete und keine Sensibilität für richtige Gesprächsführung zeigte. Sie teilte Ostdeutsche in Putin-Fans und Friedliebende auf, Juli Zeh sagte dazu: „Was ist das für ein bescheuertes Framing?“

Melanie Amann vom Spiegel zeigte sich differenzierter: Sie sagte, dass Michael Kretschmers und Juli Zehs Positionen gegenüber dem Krieg in der Ukraine und ihr Nachdenken über Verhandlungen einer „humanitären Denkweise“ entspringen würden, Chrupallas Friedensappelle wiederum auf einer kremlnahen Sichtweise basierten. Doch anstatt diese Unterschiede herauszuarbeiten, wirkte die Talkshow wie ein Autounfall, bei dem man nicht hinschauen, aber auch nicht weggucken will. Redaktionen sollten dringend darüber nachdenken, wie man solche Gespräche produktiver gestaltet. Noch ist ein bisschen Zeit.

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„Maybrit Illner“: Wie man die AfD stark macht und sich dabei moralisch überlegen fühlt

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26.04.2024

In der Talkshow „Maybrit Illner“ wurde am Donnerstagabend über Krieg und Frieden in der Ukraine diskutiert, die Zukunft der EU und die AfD. Zum wiederholten Mal durfte man AfD-Chef Tino Chrupalla bei seinen populistischen Argumentationskaskaden beobachten und ihn dabei erleben, wie er lauwarm Maximilian Krah verteidigt. Der AfD-Spitzenkandidat für das Europaparlament sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Einem engen Mitarbeiter Krahs wird vorgeworfen, für China spioniert zu haben. Im Dezember wurde Krah vom FBI verhört. Der Verdacht steht im Raum, dass Krah von kremlnahen Quellen Schmiergelder erhalten haben soll.

Juli Zeh über den Bundeskanzler: „Olaf Scholz zaudert nicht“

06.04.2024

Chrupalla verwies bei Illner auf die Unschuldsvermutung, auf die Regeln des Rechtsstaats. Beweise gegen Krah habe er nicht gesehen. Chrupalla konnte aber nicht genau erklären, warum Krah bei den nächsten Wahlkampfveranstaltungen der AfD zu den Europawahlen nicht auftreten will. So richtig entschieden stellte sich Chrupalla also nicht vor seinen Kollegen. Der Diskussionsrunde bei Illner waren Chrupallas Verteidigungen dennoch Anlass genug, mit geballter Kraft öffentlich Chrupalla vorzuführen – und sich dadurch ein Stück weit selbst vorführen zu lassen.

Illner warf Chrupalla Vaterlandsverrat vor. Chrupalla erwiderte: „In jeder Partei gibt es Korruption.“ Seine Taktik........

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