In der polnischen linksliberalen Gazeta Wyborcza ist am 25. Dezember 2023 ein Interview mit dem polnischen General Waldemar Skrzypczak erschienen, das die aktuellen Chancen des ukrainischen Militärs im Krieg gegen den russischen Aggressor bewertet. Waldemar Skrzypczak war einst Befehlshaber der polnischen Bodentruppen (bis 2009), im Interview äußert er sich kritisch über die Möglichkeiten der Ukrainer, in einer weiteren Gegenoffensive die russischen Truppen zurückzuschlagen.

Michal Kokot, Journalist bei der Gazeta Wyborcza, stellt fest, dass die Russen aktuell etwa fünf bis sieben Mal häufiger Artilleriegranaten abfeuern als die Ukrainer. Das solle ein Zeichen dafür sein, dass die Russen sich im Vormarsch befänden. General Skrzypczak bestätigt diese Hypothese im Interview. „Die ukrainische Gegenoffensive brach bereits im September zusammen, obwohl die Anzeichen dafür schon früher zu erkennen waren. Die Ukrainer hatten am Ende des Frühjahrs nicht genügend Kräfte aufgebaut, um die gut vorbereitete russische Verteidigung zu durchbrechen“, sagt er. Die Taktik der Gegenoffensive würde Militärexperten Rätsel aufgeben. Es sei eine Überraschung gewesen, dass die Ukrainer beschlossen hätten, in Saporischschja konzentriert anzugreifen, also an jenem Ort, an dem die Russen ihre stärksten Verteidigungsanlagen aufgesetzt hatten. Es sei „das größte Rätsel des Krieges“, warum dies so geschehen sei, sagt der General.

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Was sind die Gründe für den russischen Vormarsch? Der General stellt fest, dass Putin die Wirtschaft auf den Kriegszustand umgestellt hätte, das heißt, dass die russischen Produktionsstätten aktuell viel Militärgerät produzierten. Außerdem sei es den Russen gelungen, wichtige Technologieteile für die Produktion von Militärgerät zu beschaffen, Teile, die eigentlich von der EU und den USA sanktioniert worden waren. Der General vermutet, dass die wichtigen Technikteile aus dem Westen nach Russland geschmuggelt werden. Außerdem sagt er: „Die Russen haben die Produktion von Munition, Raketen und Panzern seit Beginn des Krieges um das Vier- bis Fünffache gesteigert. Die russische Armee hat seit Mai dieses Jahres praktisch neue, hochwertige Ausrüstung erhalten, die sie im Krieg einsetzt. Und das ist es, was es ihr ermöglicht, einen Vorteil aufzubauen.“

Im Gebiet von Kupjansk und im Süden im Gebiet von Awdijiwka könnte man beobachten, dass die Russen gut geschultes Militär und starke Waffensysteme zum Einsatz brächten. Die Russen hätten stark aufgeholt und würden insbesondere um Awdijiwka herum Erfolge erzielen. „Jetzt ist die Armee in die Offensive gegangen, um die ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen und die Truppen in den Gebieten Kupjansk, Bakhmut und Awdijiwka zu zerschlagen. Weiter entfernt wollen die Russen in die gesamte Tiefe des Donbass und vielleicht noch weiter in Richtung Dnjepr vordringen, wenn es ihnen gelingt, die Kontrolle über die Grenzgebiete um Kramatorsk und Slawjansk zu erlangen“, sagt der General.

Die Ukrainer seien sich bewusst, dass die Russen in der Offensive seien und nun bereits die nächste Offensive vorbereiten würden. Jetzt gehe es nicht um das Halten symbolischer Städte wie Awdijiwka, sondern darum, dass die ukrainische Verteidigung insgesamt nicht zusammenbricht. Die Russen seien im Vormarsch und würden vermutlich weitere Truppen und weiteres Kriegsgerät im Februar oder März bereitstellen.

Der Fragesteller Michal Kokot von der Gazeta Wyborcza verweist darauf, dass in den westlichen Medien immer wieder von einer schwachen russischen Armee geschrieben worden war und dass es hieß, dass die Moral bei den Russen sehr schlecht sei. Der General zieht diese Berichte in Zweifel. „Meiner Meinung nach wurden diese Informationen absichtlich veröffentlicht, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, die keine Ahnung von den operativen Aktivitäten an der Front hat. Schauen wir uns an, wer diese Informationen häufig veröffentlicht. Ich unterstütze die Ukrainer und drücke ihnen die Daumen, aber ich bin auch nicht überrascht von dieser Propaganda, die von ihnen kommt. Ich glaube nicht an die Zahlen, die sie präsentieren. Und selbst wenn es wahr wäre, dass die Russen täglich tausend Soldaten verlieren, so sind sie doch immer noch auf dem Vormarsch.“

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Wo wurden auf Seiten der Ukrainer Fehler gemacht? General Skrzypczak: „Die Ukrainer haben sich nicht wirklich an den Grundsatz der Ökonomie der Kräfte gehalten und ihre Truppen in zu viele Richtungen verstreut. Das war mir von Anfang an ein Rätsel: Warum haben sie sich nicht auf einen Ort konzentriert und dort den Hauptangriff geführt, um die Verteidigungsanlagen zu durchbrechen? Stattdessen schlugen sie in mehrere Richtungen zu, die operativ weit voneinander entfernt waren, ohne miteinander zu interagieren. Die Operationen, die sie zu diesem Zeitpunkt durchführten, waren einfach nicht miteinander verbunden, es fehlte ein einziges gemeinsames strategisches Ziel.“

Hier setzt die Kritik des Generals an den Amerikanern und den westlichen Verbündeten an: „Es waren doch die Amerikaner, die die Ukrainer beraten haben und beraten, so dass sie von den ukrainischen Plänen gewusst oder sie sogar unterstützt haben müssen. Das Problem ist meiner Meinung nach, dass die Amerikaner nicht in der Lage sind, das Potenzial des russischen Militärs richtig einzuschätzen.“ Der Westen habe sehr spät Waffen geliefert, das war am Anfang des Jahres 2023 ein entscheidender Faktor für die Schwäche des ukrainischen Militärs gewesen.

Ein ebenso großes Problem war aber auch das kurze Training der ukrainischen Einheiten. „Es dauert mindestens sechs bis acht Monate, eine Brigade auf den Kampf vorzubereiten und sie an neuer Ausrüstung auszubilden. Die Ukrainer erhielten ihre Ausrüstung im Februar, März und April dieses Jahres und begannen bereits im Juni mit Gegenoffensiven. Sie hatten nur sehr wenig Zeit, um ihre Armee vorzubereiten. Und es ist nicht so, dass Wehrpflichtige an den Operationen beteiligt waren. Wer auch immer ausgebildet wurde, ob ein Wehrpflichtiger oder ein erfahrener Soldat, für die Bedienung eines Leopard-Panzers beispielsweise ist immer noch die gleiche Zeit erforderlich. Leider war der Druck aus dem Westen und von den Amerikanern, endlich in die Offensive zu gehen, sehr hoch. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass die Ukrainer unvorbereitet in die Schlacht gezogen sind.“

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Die F-16-Kampfjets werden zu spät vom Westen an die Ukraine geliefert, sagt der General. Sie seien im Juni notwendig gewesen, jetzt seien die Russen auf die Kampfjets vorbereitet. Die Ukrainer hätten keine Chance, neues Land zu gewinnen. Es wäre ein großer Sieg, wenn sie die aktuelle Frontlinie verteidigen und halten könnten. Der General kritisiert abschließend die ukrainische Politik und den Westen: „Die ukrainischen Politiker sollten aufhören, das Militär in Kiew zu bedrängen, denn das dient nur den Russen. Ein Problem sind auch die westlichen Berater, die die Russen unterschätzt haben und ihr Potenzial nicht einschätzen konnten. Deshalb bezeichne ich den Krieg in der Ukraine als einen Krieg der verpassten Chancen.“

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Polnischer General: Westen ist mit Schuld, dass Gegenoffensive der Ukraine gescheitert ist

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27.12.2023

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