Bundeskanzler Olaf Scholz ist nicht dafür bekannt, emotional zu werden. In privaten Runden soll er ausgelassen sein, ja geradezu humorvoll. Aber bei seinen öffentlichen Auftritten ist er kontrolliert, vorsichtig, unaufgeregt. Bei der Chefredaktionskonferenz der Deutschen Presse Agentur (dpa) in Berlin am Montagmorgen habe ich ihn nicht viel anders erlebt. 90 Minuten lang sprach er über die vermeintlich gute Zusammenarbeit der Koalition, über die Errungenschaft der Bundesregierung. Doch bei einem Punkt kam Scholz plötzlich aus seiner Haut: als es um die Ukraine, mögliche Taurus-Lieferungen und deren Absage ging.

Die Stimme von Scholz wirkte plötzlich straffer, weniger gelöst, ja angestrengt, fast etwas zittrig, als man ihm vorwarf, Deutschland würde bei Waffenlieferungen immer zögern. Er sagte: „Ganz viele Menschen schauen abends Fernsehen und hoffen, dass der Kanzler die Nerven behält.“ Scholz erinnerte daran, dass Deutschland nach den USA der größte Waffenlieferer an die Ukraine sei. Er versicherte, dass die Ukraine keinesfalls den Krieg gegen Russland verlieren dürfe und dass Deutschland alles dafür tun werde, um einen Sieg Russlands zu verhindern. Er merkte an, dass Russland eine Diktatur sei und verantwortlich für den Tod des Oppositionellen Alexei Nawalny. Alles Argumente, die zeigen würden, dass Deutschland mit großer Geschlossenheit hinter der Ukraine steht.

Doch dann ging er einen Schritt weiter. Er machte den Journalisten im Raum einen Vorwurf, dass sie seine Anstrengungen nicht sehen und die Last der Verantwortung nicht erkennen würden. Er wies den Vorwurf von sich, mit Blick auf die Ukraine unentschlossen oder wankelmütig zu sein. Vielmehr wollte er klar machen, wie sehr sich Deutschland engagiere und wie gefährlich die Situation sich entwickeln könnte, wenn er als Kanzler nicht behutsam agiert. Die Diskussion um die Taurus-Raketen gehe aus seiner Sicht in die falsche Richtung. „Was der Ukraine fehlt, ist Munition in allen möglichen Längen und Distanzen, aber nicht entscheidend diese Sache aus Deutschland.“

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25.02.2024

Scholz machte eine denkwürdige Beobachtung. Journalisten würden ihm immer wieder sagen, dass Deutschland im Ukraine-Krieg sich zu wenig engagieren würde. Er würde sich wünschen, wenn einmal Journalisten nicht das fehlende Engagement, sondern ganz im Gegenteil: das übertriebene Engagement anprangern würden. Nie kämen Journalisten auf ihn zu und sagten, Deutschland tue zu viel. Wieso? Er wäre lieber in einer Position, in der erklärt, warum es richtig sei, dass sich Deutschland so stark für die Interessen der Ukraine einsetzt. Aber er komme gar nicht in diese Lage. Zumindest in den Medien nicht.

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vor 1 Std.

Die Pointe sollte noch folgen: Denn Scholz verwies darauf, dass bei Bürgerdialogen die Dramaturgie immer genau umgekehrt sei. Dort müsse er nämlich erklären, warum Deutschlands umfassendes Engagement für die Ukraine im ureigenen Interesse des Westens sei und daher aus seiner Sicht auch richtig. Hier wurde Scholz regelrecht emotional.

Man spürte: Scholz ist nicht nur von der Sorge getrieben, Deutschland könnte in einen Krieg mit Russland hineingezogen werden. Man spürte auch die Furcht, dass Deutschlands Ukraine-Unterstützung nicht mehr vom Volk mitgetragen wird. Daher betonte er auch, dass Länder wie Frankreich und Italien mehr tun müssten, damit die Lasten gleicher verteilt werden. Zudem gab er an, dass der Wille des deutschen Volkes auf lange Sicht für Kiew entscheidend sei, weil der Ukraine nicht nur in den nächsten Monaten, sondern vermutlich auch in den nächsten Jahren finanziell und materiell geholfen werden muss. Wird es dafür noch eine Legitimation geben? Die Anspannung in der Stimme von Olaf Scholz deutete an, dass er sich da nicht mehr so sicher ist.

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Ukraine-Krieg und Taurus-Raketen: Und plötzlich wird Olaf Scholz emotional

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27.02.2024

Bundeskanzler Olaf Scholz ist nicht dafür bekannt, emotional zu werden. In privaten Runden soll er ausgelassen sein, ja geradezu humorvoll. Aber bei seinen öffentlichen Auftritten ist er kontrolliert, vorsichtig, unaufgeregt. Bei der Chefredaktionskonferenz der Deutschen Presse Agentur (dpa) in Berlin am Montagmorgen habe ich ihn nicht viel anders erlebt. 90 Minuten lang sprach er über die vermeintlich gute Zusammenarbeit der Koalition, über die Errungenschaft der Bundesregierung. Doch bei einem Punkt kam Scholz plötzlich aus seiner Haut: als es um die Ukraine, mögliche Taurus-Lieferungen und deren Absage ging.

Die Stimme von Scholz wirkte plötzlich straffer, weniger gelöst, ja angestrengt, fast etwas zittrig, als man ihm vorwarf, Deutschland würde bei Waffenlieferungen immer zögern. Er sagte: „Ganz viele Menschen schauen abends Fernsehen und hoffen, dass der Kanzler die Nerven behält.“ Scholz erinnerte daran, dass Deutschland nach den USA der größte Waffenlieferer an die........

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