Ausgerechnet ein grummeliger Ex-Volkspolizist wurde als erster ostdeutscher „Tatort“-Kommissar in ganz Deutschland populär. Allein die Rolle des Bruno Ehrlicher, die Peter Sodann insgesamt 15 Jahre lang im ARD-Sonntagsprogramm verkörperte, hätte gereicht, um ihm einen besonderen Platz in der deutschen Kulturgeschichte zu sichern. Aber die wechselvolle Biografie des sächsischen Schauspielers und Theatermanns hielt so viele Spannungsbögen und Widersprüche bereit – mehr als es sich Drehbuchautoren überhaupt ausdenken können.

Der Junge aus einfachen Verhältnissen, der sich für Abenteuerbücher begeisterte, sollte als Erwachsener Millionen Bücher vor der Vernichtung retten. Peter Sodann war ein überzeugter Kommunist und Marxist – der weiter zu Gott betete. Er war ein Kabarettist, der wegen seines Spotts über das SED-Zentralorgan Neues Deutschland mehrere Monate lang im Gefängnis saß und aus der SED geworfen wurde – und der im vereinigten Deutschland gern Stasi-Leute oder SED-Funktionäre spielte. Er war ein Schauspieler mit einer handwerklichen Ausbildung, der später nicht nur mehrere Theater leitete, sondern sie immer weiter ausbaute. Peter Sodann war ein Linker, der der bundesdeutschen Demokratie misstraute und sie kritisierte – und der trotzig für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte.

Bücher hatten ihn schon früh begeistert. Geboren am 1. Juni 1936 in Meißen, wuchs Peter Sodann im Nachbarort Weinböhla auf. In der kleinen Wohnung seiner Eltern, sein Vater war Stanzer, seine Mutter Landarbeiterin, stand mehr als ein Regalmeter Bücher – viel für einen Proletarier. Peter Sodann hat sie alle immer wieder gelesen und bis zuletzt aufgehoben, ob Heldensagen, Karl May, „Tarzan“ oder „Robinson Crusoe“. 1944 wurde sein Vater zur Wehrmacht eingezogen und fiel wenige Monate später. Dass er Kommunist war, erfuhr der damals Achtjährige erst nach seinem Tod, prägte aber seinen Lebensweg. Er glaubte, im besseren Teil Deutschlands zu leben, lernte Werkzeugmacher und holte an einer Arbeiter- und Bauernfakultät das Abitur nach – zeigte aber auch Interesse an der Schauspielerei. Beim ersten Vorsprechen an der Leipziger Theaterhochschule wurde er zwar abgelehnt, studierte zunächst Jura und schaffte es im zweiten Anlauf.

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Als Leiter des Studentenkabaretts „Rat der Spötter“ geriet das SED-Mitglied mit der Staatsmacht aneinander. Er hatte sich in einem Sketch über das dröge SED-Zentralorgan Neues Deutschland lustig gemacht und Absprachen mit der Partei nicht eingehalten – das galt wenige Wochen nach dem Mauerbau als so staatsgefährdend, dass er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und für neun Monate inhaftiert wurde. Anders als andere Spötter jener Jahre wurde Peter Sodann aber kein Dissident, sondern bekam eine zweite Chance. 1964 wollte ihn Helene Weigel ans Berliner Ensemble holen – und die Vorbehalte gegen den vorbestraften Sodann konnten ausgeräumt werden, nachdem sich die Weigel an Konrad Wolf gewandt hatte und dessen ebenso mächtiger wie kunstsinniger Bruder Markus Wolf, der Chef der Stasi-Auslandsspionage, sich für ihn eingesetzt hatte.

Nach der Wende spielte dann Peter Sodann häufig Stasi-Leute oder SED-Funktionäre, und zwar ohne sie zu denunzieren oder zu dämonisieren. Das begann mit Roland Gräfs Verfilmung von Christoph Heins Roman „Der Tangospieler“, in dem ein Pianist nach seiner Mitwirkung an einem spöttischen Kabarettprogramm aus der Haft entlassen wird – und Peter Sodann einen „Schulze“ spielt, der diesen „Tangospieler“ immer wieder unter Druck setzt. In Frank Beyers Verfilmung von Erich Loests Wenderoman „Nikolaikirche“ ist er als Stasi-Minister zu sehen, im Doku-Drama „Deutschlandspiel“ sogar als Erich Mielke höchstpersönlich. Selbst in der Verfilmung von Uwe Tellkamps „Turm“, ein Buch, das er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung als „Rotz“ bezeichnete, weil der Roman nichts mit seinem Bild der DDR zu tun habe, trat er als SED-Bezirkssekretär auf und erklärte: „Ich wollte wenigstens etwas Wahrheit in den Film bringen.“ Das zeigt: auf eine schnurgerade Linie ließ sich der Lebensweg des Peter Sodann nie bringen – und Sodanns sehr geradlinigen, ehrlichen Auskünfte wirkten oft fast schon schroff.

Am stärksten in der Erinnerung bleiben natürlich seine 45 Auftritte als sächsischer „Tatort“-Kommissar mit dem sprechenden Namen Bruno Ehrlicher. Die ersten beiden Fälle wurden noch vom Deutschen Fernsehfunk ins ARD-Programm eingebracht. Peter Sodann spielte einen knurrigen Kommissar, der nicht nur an seiner abgewetzten Aktentasche festhielt, sondern auch seine Vergangenheit als Volkspolizist nicht wegwerfen wollte, vielmehr sensibel die raschen Veränderungen in Sachsen registrierte, das Auftauchen von Wendehälsen wie Wendegewinnern kritisch beäugte, so wie es auch sein Kollege Kurt Böwe damals im Schweriner „Polizeiruf“ tat. Verglichen mit den unzähligen „Stasi-Thrillern“ mit denen das Bild der DDR bis heute im Fernsehen vorgeführt wird, zeichnen die oft betulichen Sachsen-„Tatorte“ mit Bruno Ehrlicher und seinem Assistenten Kain (Bernd Michael Lade) ein weniger knalliges, dafür genaueres Bild vom Wilden Osten.

In jenen Jahren richtete sich aber Peter Sodann nicht in der Rolle des populären „Tatort“-Helden gemütlich ein, sondern hatte sich als Intendant des Neuen Theaters in Halle und als Retter der Bücher aus DDR-Verlagen gleich zwei Missionen verschrieben, die enorm viel Kraft erforderten – auch körperlich. In Halle, wo er seit 1980 lebte, arbeitete er zuerst als Schauspieldirektor, ließ dann als Intendant einen alten Kinosaal zum Schauspielhaus umbauen und schuf im Verlaufe der Jahre ein Kulturzentrum mit Hoftheater, Kammertheater, Galerie, Bibliothek, Literatur-Café und Theaterkneipe – und der handwerklich ausgebildete Sodann packte gern mal mit an. Eigentlich wollte Sodann das Haus bis zu seinem 70. Geburtstag 2006 führen, doch die Stadt Halle setzte schon ein Jahr zuvor einen neuen Intendanten ein. Zu seinem 80. Geburtstag richtete sie dann aber einen großen Empfang ihrem Ehrenbürger aus.

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In Lagerräumen des Theaters brachte Peter Sodann ab 1990 zunächst Abertausende Bücher aus bisherigen DDR-Verlagen unter. Damals wurden viele Bibliotheken aufgelöst, Verlage orientierten sich neu und trennten sich von ihren Beständen, die teilweise kurz zuvor zur Bückware zählten. Für Peter Sodann, der noch alle Bücher seiner Kindheit aufbewahrt hatte, ein Sakrileg: Er verglich das Entsorgen von Büchern auf Müllkippen sogar mit der Bücherverbrennung durch die Nazis und verwies auf seine Erfahrungen im Leseland DDR: „Literatur war eine Enklave für Hoffnungen, Träume und Ideale.“ Für ihn waren es weder Politiker noch Historiker, die dem „Geheimnis des Lebens“ auf die Spur kamen. „Aber gute Literatur, die es zu allen Zeiten gab, auch zu DDR-Zeiten (das wird heute gern vergessen), entdeckt die Schönheit hinter dem geordneten Chaos, das Leben hinter der Ideologie, den Menschen hinter seinen Masken“, schrieb er 2002 in einem Aufsatz.

Seine Mission zur Rettung der DDR-Literatur vor Müllpresse oder Verbrennungsofen nahm immer größere Ausmaße an. Die Sammlung wuchs auf mehrere Millionen Exemplare und wanderte auf einer wahren Odyssee durch verschiedene Lagerhallen, bis das Gros im sächsischen Stauchitz untergebracht werden konnte, wo Sodann mit Helfern die Bücher in die früheren Regale der Deutschen Bücherei einsortierte. Leute, die ihm selbst ihre aussortierten Bücher zusätzlich aufhalsen wollten, wurden nicht gerade freundlich empfangen. Sodann hielt manchen dieser Spender sogar vor, sie schmissen ihr Hirn weg. Im Herbst 2017, der Bücherretter war schon über 80, wurde die Peter-Sodann-Bibliothek als Genossenschaft „Wider das Vergessen“ gründet. Ein Antiquariat, das Dopplungen verkauft, um die Arbeit zu finanzieren, gibt es inzwischen auch in Magdeburg.

Nicht nur in seinem Kampf um seine DDR-Bibliothek bewies Peter Sodann politisches Engagement und eckte immer wieder an. So wurde anno 2005 seine Ankündigung, in Sachsen als Spitzenkandidat für die Linkspartei zur Bundestagswahl anzutreten, in der Partei selbst kritisiert – nicht nur, weil Peter Sodann noch als „Tatort“-Kommissar Ehrlicher vor einem Millionenpublikum aktiv war und die ARD ihren Schauspielern und Moderatoren ein solches Engagement im Umfeld von Wahlen untersagt hatte. Sodann zog sich zurück – aber nur, um drei Jahre später für die Linke für die Wahl zum Bundespräsidenten anzutreten. Seine provokanten Auskünfte in jenen Monaten sorgten für Wirbel: So hatte Peter Sodann immer wieder erklärt, die mangelnde Chancengleichheit sei undemokratisch, die bundesdeutsche Demokratie sei am schwächeln. Aus heutiger Sicht waren das fast noch milde Aussagen – damals sorgten sie für mediale Empörung. Ebenso seine Äußerung, als Kommissar würde er am liebsten den Deutsche-Bank-Chef Ackermann festnehmen lassen. Dabei war diese Äußerung nicht ernst gemeint – sondern einfach Kabarett. Ebenso seine Spitze, sein Mitbewerber Köhler sei eine Steigerung von Kohl.

Nach seinen Ausflügen auf die politische Bühne, seinem Abschied vom Theater und seinem letzten Fall als „Tatort“-Kommissar im November 2007 konnte sich Peter Sodann ganz auf seine Büchermission konzentrieren. Er lebte zeitweilig direkt neben der Bibliothek in Stauchitz, zog zuletzt aber nach Halle/Saale zurück. Hier ist er am Freitag im Alter von 87 Jahren gestorben.

QOSHE - Abschied von Peter Sodann: Theaterleiter, „Tatort“-Kommissar, Bücherretter und Politik-Ausflügler - Torsten Wahl
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Abschied von Peter Sodann: Theaterleiter, „Tatort“-Kommissar, Bücherretter und Politik-Ausflügler

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Bücher hatten ihn schon früh begeistert. Geboren am 1. Juni 1936 in Meißen, wuchs Peter Sodann im Nachbarort Weinböhla auf. In der kleinen Wohnung seiner Eltern, sein Vater war Stanzer, seine Mutter Landarbeiterin, stand mehr als ein Regalmeter Bücher – viel für einen Proletarier. Peter Sodann hat sie alle immer wieder gelesen und bis zuletzt aufgehoben, ob Heldensagen, Karl May, „Tarzan“ oder „Robinson Crusoe“. 1944 wurde sein Vater zur Wehrmacht eingezogen und fiel wenige Monate später. Dass er Kommunist war, erfuhr der damals Achtjährige erst nach seinem Tod, prägte aber seinen Lebensweg. Er glaubte, im besseren Teil Deutschlands zu leben, lernte Werkzeugmacher und holte an einer Arbeiter- und Bauernfakultät das Abitur nach – zeigte aber auch Interesse an der Schauspielerei. Beim ersten Vorsprechen an der Leipziger Theaterhochschule wurde er zwar abgelehnt, studierte zunächst Jura und schaffte es im zweiten Anlauf.

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