Im Eingang stoßen die Besucher gleich auf „Biest“: Das ist kein Fabelwesen, sondern eine Südbrandenburger Band, die Ende der 1980er-Jahre zu den populärsten Heavy-Metal-Kapellen der DDR gehörte und sogar im Rundfunk zu hören war. Auf der Videowand laufen nicht nur Livesongs von 1988, sondern viele Fotografien aus der Szene, die zeigen: Nietenarmbänder und metallbespickte Lederjacken waren auch im Osten weitverbreitet.

Fast ein Jahr lang zeigt die Sonderausstellung im Museum in der Kulturbrauerei den „Heavy Metal in der DDR“. Sie eröffnet den Zugang zu einer Szene, die bislang eher selten im medialen Fokus stand. Denn der Rock aus der DDR wird meist entweder über die Hits und Hymnen von den Puhdys, City, Karat und Co. gefeiert – oder über die politisch aufsässigen Bands betrachtet, wie Renft in den 1970ern oder Punk in den 1980ern. Warum Metal in den Überblicksdarstellungen, etwa von Michael Rauhut oder Ronald Galenza, sogar gänzlich fehlt, erklärt Ausstellungs-Fachberater Nikolai Okunew so: „Die Szene war zu proletarisch, hatte keine Beziehung zum intellektuellen Kunstmilieu.“ Okunew hat eine Dissertation zum Thema verfasst, datiert den Beginn der Heavy-Metal-Welle im Osten auf das Jahr 1981 und hat über 100 Bands erfasst.

Nach dem Entree läuft der Besucher schnell vorbei an einer komplett überflüssigen, belehrenden DDR-Agitprop-Ecke, in der ein Pionierhalstuch, ein FDJ-Poster und die zehn Gebote des sozialistischen Menschen von 1958 ausgestellt werden – das hat mit dem Heavy Metal der 1980er-Jahre ja nun gar nichts zu tun!

Eine Ecke mit Couch, Plattenspieler und Postern an der Wand ist dann als Jugendzimmer eingerichtet. Die ausgestellte Amiga-Lizenz-LP von AC/DC von 1981 war tatsächlich das Härteste, was es damals in der DDR legal zu kaufen gab. Als Malcom Young posierte Jens Müller damals mit Freunden: Sein Nachbau einer Gitarre hängt an der Wand, neben einer Jeansweste, auf deren Rücken er seine Top-Ten-Bands gemalt hat – allesamt aus dem Westen. In den Audio-Stationen erzählen Fans, wie sie sich das Outfit bastelten und zu den Konzerten reisten, die auch mal außer Kontrolle gerieten.

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So berichtet Ralf Klein, Gitarrist der Erfurter Band Macbeth, wie seine Band nach einem turbulenten Konzert von den DDR-Organen zerschlagen wurde: Proberaum gekündigt, Lkw beschlagnahmt, einer wurde zur Armee eingezogen, einer stellte einen Ausreiseantrag. Ihr Sänger Detlev Wittenburg wurde im Gefängnis so drangsaliert, dass er sich noch Ende 1989 das Leben nahm.

Trotz dieser Dramen spielt die Band bis heute – anders als die meisten Bands aus der kurzen DDR-Metal-Blüte Ende der 1980er-Jahre. Biest-Gitarrist Frank Lawrenz erklärt: Für die Bands kam die Maueröffnung zu früh – sie wurden 1990 sofort von den West-Originalen verdrängt. Wie damals allerorts Jugendclubs geschlossen und die Jugendlichen auf die Straße zurückgetrieben wurden, davon erzählt ein TV-Video der Jugendsendung „Elf 99“. Die einzig wahre Metal-Platte aus DDR-Zeiten bleibt das Album „Live im Stahlwerk“ von Formel 1, weil es live aufgenommen und nicht in den Rundfunkstudios verhunzt wurde.

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Was die Szene damals zustande brachte, das lässt sich in Ansätzen in einer Noise-Box anhören, in denen Songs von Babylon, Biest, Metall oder Merlin in voller Lautstärke abgerufen werden können. Von der Band MCB stammt der originelle Titel „Heavy Mörtel Mischmasche“. Ein Video zeigt Gitarrist Sebastian Baur, heute als Buzz Dee bei Knorkator aktiv, beim Covern von Motörheads „Ace Of Spades“. Die Ausstellung bleibt nicht in der DDR-Zeit stehen, sondern zeigt die Zeichen für ein Revival des ostdeutschen Metal – auf Festivals, mit Alben und sogar mit Aufnähern für die Jeansweste. Falls sie noch passt.

Heavy Metal in der DDR Museum in der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, bis zum 9.2.2025, Di–Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10–18 Uhr, Eintritt frei

QOSHE - Härter als Karat, Puhdys und Co.: Berliner Ausstellung feiert „Heavy Metal in der DDR“ - Torsten Wahl
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Härter als Karat, Puhdys und Co.: Berliner Ausstellung feiert „Heavy Metal in der DDR“

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Im Eingang stoßen die Besucher gleich auf „Biest“: Das ist kein Fabelwesen, sondern eine Südbrandenburger Band, die Ende der 1980er-Jahre zu den populärsten Heavy-Metal-Kapellen der DDR gehörte und sogar im Rundfunk zu hören war. Auf der Videowand laufen nicht nur Livesongs von 1988, sondern viele Fotografien aus der Szene, die zeigen: Nietenarmbänder und metallbespickte Lederjacken waren auch im Osten weitverbreitet.

Fast ein Jahr lang zeigt die Sonderausstellung im Museum in der Kulturbrauerei den „Heavy Metal in der DDR“. Sie eröffnet den Zugang zu einer Szene, die bislang eher selten im medialen Fokus stand. Denn der Rock aus der DDR wird meist entweder über die Hits und Hymnen von den Puhdys, City, Karat und Co. gefeiert – oder über die politisch aufsässigen Bands betrachtet, wie Renft in den 1970ern oder Punk in den 1980ern. Warum Metal in den Überblicksdarstellungen, etwa von Michael Rauhut oder Ronald Galenza, sogar gänzlich fehlt, erklärt Ausstellungs-Fachberater Nikolai Okunew so: „Die Szene war zu........

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