In Deutschland fehlen nach Angaben eines Bündnisses verschiedener Verbände aus der Immobilienwirtschaft sowie des Deutschen Mieterbundes (DMB) inzwischen mehr als 800.000 Wohnungen. Gleichzeitig gebe es derzeit einen „dramatischen Einbruch“ bei den Zahlen für Baugenehmigungen und Baubeginne, sagte die Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel, Katharina Metzger, am Donnerstag anlässlich des Wohnungsbau-Tages in Berlin. Der Tag wird von sieben Verbänden der Bau- und Wohnungswirtschaft sowie des DMB seit 15 Jahren veranstaltet, um für eine Unterstützung des Neubaus zu werben.

„Der Kipppunkt ist erreicht“, sagte Metzger. „Im Herbst letzten Jahres wurden die ersten Werke geschlossen, Unternehmen seien in Kurzarbeit, die Insolvenzwelle rollt bei Projektentwicklern, bei Bauunternehmen, und wir erfahren keinerlei positive Signale.“ Auf diese warte die Branche. Denn wenn der Abbau erst mal begonnen habe, werde es „lange, lange dauern, bis wir an die vorherigen Kapazitäten wieder anknüpfen können“, so Metzger. Das Problem: Steigende Zinsen und explodierende Baukosten machen den Wohnungsneubau für viele Unternehmen unbezahlbar. Vor allem private Projektentwickler stellen deswegen zuhauf den Bau neuer Vorhaben ein.

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Der Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB) Lukas Siebenkotten sagte, im vergangenen Jahr seien keine Fortschritte erzielt worden, was den „notwendigen bezahlbaren zusätzlichen Wohnraum betrifft“. Es gebe erhebliche Mietsteigerungen, die mit der Verknappung des Wohnungsangebots zusammenhängen. „Und wir müssen davon ausgehen, dass von den deutlich weniger Wohnungen, die gebaut werden, dann auch noch der größere Teil für Menschen ist, die viel Geld haben“, so Siebenkotten. Statt 100.000 Sozialwohnungen, die nach Plänen der Bundesregierung pro Jahr an den Start gebracht werden sollen, seien es zuletzt nur knapp 25.000 gewesen. „Da müssen wir dringend dran arbeiten“, sagte Siebenkotten.

Nach einer Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) aus Kiel, die im Auftrag des Verbände-Bündnisses erstellt wurde, verschärft sich in vielen Städten die Lage auf dem Wohnungsmarkt – weil die Bevölkerungszahl deutlich schneller steigt, als Wohnungen gebaut werden. Dies zeige sich „insbesondere an der Anzahl der Menschen, die in überbelegten Wohnungen leben müssen“. Mehr als neun Millionen Menschen würden in unzureichenden Wohnverhältnissen leben, sagte Arge-Studienleiter Dietmar Walberg. Konflikte seien abzusehen.

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10.04.2024

Seit 2000 seien die Kosten im Wohnungsbau pro Quadratmeter um das Zweieinhalbfache gestiegen. Preistreiber sei dabei vor allem die Technik in den Gebäuden – von der Heizung über die Lüftung bis zur Sanitär- und Elektrotechnik. Seit 2020 seien die Baukosten um mehr als 42 Prozent gestiegen, so die Wissenschaftler der Arge. „Um schnell wieder bezahlbare Wohnungen bauen zu können, müssen sofort alle Möglichkeiten genutzt werden, die Baukosten zu senken“, fordert Walberg. „Und das geht nur über ein Senken der Standards: Also, wir müssen einfacher bauen. Wir müssen anders bauen. Sonst bauen wir bald gar nicht mehr“, sagte er.

Den Verzicht auf Balkone halte er nicht für sinnvoll, sagte Walberg. Werden Balkone, Keller und Fahrstühle weggelassen, lassen sich jedoch Kosten sparen. Auch Decken und Wände könnten dünner werden. Der Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, Wolfgang Schubert-Raab, sagte, momentan würden mit viel Stahl 22 Zentimeter dicke Decken gebaut – doch auch 18 Zentimeter reichten völlig aus.

Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes erwartet, dass das Ziel, jährlich 400.000 Wohnungen zu errichten, darunter 100.000 Sozialwohnungen, im Jahr 2023 nicht erreicht worden ist. Die offiziellen Zahlen dazu liegen zwar noch nicht vor, der Verband rechnet aber damit, dass 271.000 Wohnungen im vergangenen Jahr fertiggestellt wurden. Für das Jahr 2024 wird bei gleichbleibend schlechten Rahmenbedingungen von einem weiteren Rückgang auf nur noch 235.000 Wohnungen ausgegangen.

Das Verbände-Bündnis fordert Bund und Länder zu einer sofortigen Sonderförderung des Wohnungsneubaus auf. Konkret würden jährlich 23 Milliarden Euro an Subventionen benötigt: 15 Milliarden Euro für 100.000 neue Sozialwohnungen. Und zusätzlich noch einmal acht Milliarden Euro für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen. Es sei dringend notwendig, dieses Geld als „Ad-hoc-Förderung des Staates für den Wohnungsneubau“ bereitzustellen.

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Laut einer Studie des Beratungsunternehmens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Econ) hat jeder siebte Arbeitsplatz hierzulande mit dem Wohnungsbau zu tun. Das seien knapp 6,6 Millionen Menschen. Die Bruttowertschöpfung der Wohnungsbaubranche habe sich im vergangenen Jahr auf insgesamt rund 537 Milliarden Euro belaufen. Der Wohnungsbau stecke damit hinter jedem siebten Euro der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Auch finanzpolitisch habe der Wohnungsbau Gewicht. Hinter ihm steckten im vergangenen Jahr Steuereinnahmen von 141 Milliarden Euro.

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) erklärte, ein neuer Gebäudetyp mit reduzierten Vorschriften sei bereits in Arbeit. Viele Vorschriften seien „nicht notwendig, um ein gutes und um ein sicheres Haus zu bauen“. So sei es zum Beispiel nicht sinnvoll, im sozialen Wohnungsbau Tiefgaragen zu verlangen, obwohl man wisse, „dass die dann wahrscheinlich halb leer stehen“. Auch serieller und modularer Bau könne die Kosten senken.

Linke-Chefin Janine Wissler hält nichts von einer finanziellen Unterstützung für alle Bauherren. „Wer den Miethaien Geld in den Rachen wirft, macht diese nur noch gieriger“, erklärte sie. Die Bauministerin dürfe „nicht auf die Privatwirtschaft hoffen, sondern muss gemeinnützige Wohnungsgesellschaften fördern“, so Wissler. „Genossenschaften und kommunale Wohnungsbetriebe müssen wieder verstärkt bauen“, sagt sie. „Nur so entstehen bezahlbare und qualitativ hochwertige Wohnungen. Wir brauchen 250.000 zusätzliche Sozialwohnungen pro Jahr durch Neubau und Ankauf, die dauerhaft sozialgebunden bleiben“, so Wissler. „Die Ampel muss hierfür einen Wohnungsbaufonds von jährlich 20 Milliarden Euro auflegen.“

QOSHE - Verbände-Bündnis schlägt Alarm: Bundesweit fehlen 800.000 Wohnungen - Ulrich Paul
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Verbände-Bündnis schlägt Alarm: Bundesweit fehlen 800.000 Wohnungen

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12.04.2024

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