Die Kommunalwahlen in Polen haben den Vorteil, dass in der Regel praktisch jede Partei sie für sich entscheiden kann. Am Sonntag fanden sie satt. Es wurden Bürgermeister und Stadträte sowie die Mitglieder der Sejmiks gewählt (der Sejmik ist in Polen so etwas wie in Deutschland der Landtag). Es fanden also mehrere Wahlen auf einmal statt, und die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Betrachtet man die Sejmiks, die Kommunalparlamente, so hat die PiS nach der Addition der Stimmen in ganz Polen die Wahl gewonnen, da sie insgesamt die meisten Stimmen hatte (33,7 Prozent laut Exit Polls). Jaroslaw Kaczynski hat am Sonntagabend daher eine triumphierende Rede gehalten.

Aber es ist keineswegs Kaczynskis Partei, die in den meisten Regionen regieren wird. Pro Region werden wahrscheinlich 10 von 16 Parlamenten von Tusk Bürgerplattform regiert werden (Tusks Partei hat 31,9 Prozent bekommen, ist zweitstärkste Kraft), entweder in Koalition mit der Linken (6,8 Prozent) oder mit der Bauernpartei PSL, die eine Union bildet mit der gemäßigt-katholischen Partei „Polska 2050“ (zusammen hatten die beiden Parteien 13,5 Prozent).

Diese Tatschen sind ein schmerzlicher Verlust für den rechten Flügel der PiS-Partei – vor nicht allzu langer Zeit regierte die PiS noch 9 von 16 Woiwodschaften (also die Landtage), jetzt werden es wahrscheinlich nur noch 6 sein. Die alte Spaltung zwischen dem östlichen, konservativen Polen und dem westlichen, liberalen Polen ist wieder da. Zur Wahrheit gehört aber auch: Tusks Bürgerplattform hatte mit einem größeren Erfolg gerechnet. Umfragen zufolge hätte die PiS nur zwei, vielleicht drei Regionen für sich entscheiden sollen.

Die Teilung in Ost- und Westpolen ist jedoch nicht das einzige, was auffällt. Ebenso wichtig ist die ideologische Aufteilung in Städte einerseits und andererseits in Dörfer und Kleinstädte. In Städten gewinnen die Liberalen und die Linken, in Kleinstädten und auf dem Lande gewinnt der Rechtspopulismus. Laut Umfragen am Wahlabend hat die PiS auf dem Land 42,3 Prozent Unterstützung, Tusks Bürgerkoalition etwa 20 Prozent. Die meisten Polen kennen ihre Regional- und Provinzpolitiker nicht. Trotzdem muss man wissen, dass die Sejmiks ein großes Mitspracherecht bei der Verteilung von EU-Geldern, beim Bau von Verkehrsinfrastrukturen oder bei der Verwaltung des Gesundheitswesens und einiger kultureller Einrichtungen haben.

•gestern

06.04.2024

07.04.2024

07.04.2024

gestern

Die Bürgerplattform von Donald Tusk, die seit vier Monaten in Polen an der Macht ist, hat die Wahlen in den Großstädten gewonnen. Rafal Trzaskowski von der Bürgerplattform, einer der beliebtesten liberalen Politiker, wurde mit einem Ergebnis von 60 Prozent zum zweiten Mal Bürgermeister von Warschau. Dies bedeutet, dass es keinen zweiten Wahlgang geben wird (dieser hätte stattgefunden, wenn der Sieger weniger als 50 Prozent erreicht hätte).

Donald Tusk schrieb auf X: „Was ist für uns erfreulich? Die systematische Aufholjagd: 2018 hatten wir sieben Punkte, 2023 fünf Punkte, heute zwei Punkte Differenz zur PiS. Rekordsieg in den Städten. Vorsprung in den Kommunalparlamenten. Was ist für uns besorgniserregend? Die niedrige Wahlbeteiligung, vor allem unter den jungen Leuten, Niederlage im Osten und auf dem Land. Die Schlussfolgerung für uns? Nicht jammern! Wir müssen uns an die Arbeit machen!“.

Eine zweite Wahlrunde wird in der zweitgrößten Stadt Polens, Krakau, stattfinden. Auch dort hat der Kandidat der Bürgerplattform, Aleksander Miszalski, mit 37 Prozent das beste Ergebnis erzielt. Sein Gegenkandidat kommt allerdings gar nicht von der PiS. Er kandidiert auf der Liste der lokalen Aktivisten, Lukasz Gibala, der früher auch in Tusks Partei war. Beide liberalen Kandidaten werden von (verschiedenen) Fraktionen der Linken unterstützt. In Krakau, der Hauptstadt der katholischen Tradition und der Stadt von Papst Johannes Paul II, hat sich die konservative Rechte also als schwach erwiesen.

Auch bei den Bürgermeistern in Breslau, Danzig, Kattowitz, Stettin und Bialystok hatte die PiS keine Chance. Der PiS-Kandidat Zbigniew Czerwinski wird in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Poznan einziehen, wo er ebenfalls keine Chance gegen den seit 2014 amtierenden Jacek Jaskowiak von der Bürgerplattform haben dürfte.

Bundesweit hat die Linke eine Image-Niederlage erlitten. Bei den Regionalwahlen hat sie laut Exit Polls landesweit ein Ergebnis von 6,8 Prozent erzielt, etwas weniger als die rechtsextreme Konfederacja. Es wird Regionalparlamente geben, in denen die Linke nicht vertreten sein wird – so wie sie auch vorher nicht vertreten war. Stattdessen hat die Linke in den Städten zugelegt.

Die Kandidatin der Linken für das Amt des Bürgermeisters von Warschau, die Feministin und Soziologin Magdalena Biejat (jetzt stellvertretende Senatssprecherin), erzielte das beste Ergebnis für die Linke in der Hauptstadt seit 20 Jahren, 15,8 Prozent. Die Linke wird auch mehr Stadträte in Warschau stellen. Stadträte sind in den polnischen Medien viel präsenter als die Abgeordneten der Kommunalparlamente. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird es auch im Krakauer Stadtrat eine linke Fraktion geben. Die Linke in Polen durchläuft einen Generationswechsel. Die neuen Politiker sind oft Experten oder Aktivisten, die schon seit Jahren in der Stadtpolitik an ihren Themen arbeiten.

Gleichzeitig hat die Linke ein Problem damit, dass die Liberalen ihr das Narrativ einer freundlichen, sozialen Stadt in Polen wegnehmen. Rafal Trzaskowski, der linke Pol der Bürgerkoalition, der auch in Warschau mit linken Wählerstimmen gewinnt, ist ein Symbol dafür. Die etablierten Parteien ähneln sich inzwischen in ihren Kommunalwahlprogrammen – sie alle wollen mehr Grün, versprechen die Lösung von Wohnungsproblemen oder neue Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, die Verbesserung öffentlicher Dienstleistungen, etwa im Bildungsbereich.

Vor diesem Hintergrund kann die Linke nur argumentieren, dass sie glaubwürdiger ist als die Konkurrenz und dass sie effektiver und konsequenter sein wird. Vor dem Hintergrund eines einheitlichen Mainstreams, der von einer nachhaltigen Stadt spricht (unabhängig davon, ob diese Versprechen Vertrauen erwecken), sticht die Alt-Right-Bewegung hervor, die den Menschen verspricht, überall mit dem Auto hinfahren zu können und sich über Umweltschützer beschwert. Das ist die Art von Wählern, um die die PiS mit noch extremeren Parteien wie der Konfederacja konkurriert.

Die polnischen Medien sind überrascht über die geringe Beteiligung an den Kommunalwahlen. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 51 Prozent, niedriger als bei den Parlamentswahlen im Oktober, als sie einen Rekordwert von 74,38 Prozent erreichte. Und warum? Einige geben dem guten Wetter die Schuld. Vor allem aber erschien die Wahl nicht so schicksalsweisend, wie dies noch bei den Parlamentswahlen im Oktober der Fall war.

In den ländlichen Gebieten gingen mehr Menschen zur Wahl (54 Prozent) als in den städtischen Gebieten (52 Prozent). Einige Kommentatoren sind besorgt, ob es sich hierbei um eine konservative Gegenreaktion auf den Machtwechsel in Polen vor einigen Monaten handelt. Es ist auch möglich, dass die jüngsten Proteste der Landwirte gegen die Politik der Europäischen Union zu den Ergebnissen beigetragen haben.

Polen: Kommunalwahlen bestätigen Kluft zwischen Stadt und Land, Ost und West

gestern

Weit weniger junge Polen, die im Oktober zu den Urnen strömten, um die PiS zu stürzen, sind zur Wahl gegangen. Oft leben sie außerhalb ihres ständigen Wohnsitzes, weil sie woanders studieren oder arbeiten. Bei Kommunalwahlen ist das ein Problem. Bei Landtags- oder Präsidentschaftswahlen in Polen kann man überall wählen und seine Wahldokumente im Internet herunterladen. Bei den Kommunalwahlen ist dies nicht möglich.

Die zweite Runde der Bürgermeisterwahlen wird am 21. April stattfinden. Dies wird nicht das Ende der Wahlaufregung in Polen sein. Der Wahlkampf für die Wahlen zum Europäischen Parlament, die am 9. Juni stattfinden, ist bereits im Gange.

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Kommunalwahl in Polen: Kaczynskis PiS-Partei weiß die Landbevölkerung hinter sich

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09.04.2024

Die Kommunalwahlen in Polen haben den Vorteil, dass in der Regel praktisch jede Partei sie für sich entscheiden kann. Am Sonntag fanden sie satt. Es wurden Bürgermeister und Stadträte sowie die Mitglieder der Sejmiks gewählt (der Sejmik ist in Polen so etwas wie in Deutschland der Landtag). Es fanden also mehrere Wahlen auf einmal statt, und die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich ausgefallen. Betrachtet man die Sejmiks, die Kommunalparlamente, so hat die PiS nach der Addition der Stimmen in ganz Polen die Wahl gewonnen, da sie insgesamt die meisten Stimmen hatte (33,7 Prozent laut Exit Polls). Jaroslaw Kaczynski hat am Sonntagabend daher eine triumphierende Rede gehalten.

Aber es ist keineswegs Kaczynskis Partei, die in den meisten Regionen regieren wird. Pro Region werden wahrscheinlich 10 von 16 Parlamenten von Tusk Bürgerplattform regiert werden (Tusks Partei hat 31,9 Prozent bekommen, ist zweitstärkste Kraft), entweder in Koalition mit der Linken (6,8 Prozent) oder mit der Bauernpartei PSL, die eine Union bildet mit der gemäßigt-katholischen Partei „Polska 2050“ (zusammen hatten die beiden Parteien 13,5 Prozent).

Diese Tatschen sind ein schmerzlicher Verlust für den rechten Flügel der PiS-Partei – vor nicht allzu langer Zeit regierte die PiS noch 9 von 16 Woiwodschaften (also die Landtage), jetzt werden es wahrscheinlich nur noch 6 sein. Die alte Spaltung zwischen dem östlichen, konservativen Polen und dem westlichen, liberalen Polen ist wieder da. Zur Wahrheit gehört aber auch: Tusks Bürgerplattform hatte mit einem größeren Erfolg gerechnet. Umfragen zufolge hätte die PiS nur zwei, vielleicht drei Regionen für sich entscheiden sollen.

Die Teilung in Ost- und Westpolen ist jedoch nicht das einzige, was auffällt. Ebenso wichtig ist die ideologische Aufteilung in Städte einerseits und andererseits in Dörfer und Kleinstädte. In Städten gewinnen die Liberalen und die Linken, in Kleinstädten und auf dem Lande gewinnt der Rechtspopulismus. Laut Umfragen am Wahlabend hat die........

© Berliner Zeitung


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