Als Stefano Mammola und Francesco Ficetola im Jahr 2021 eine Ökologiekonferenz in Prag besuchten, trafen sie eine Wissenschaftlerin mit einer ungewöhnlichen Beschwerde. Jennifer Anderson, Expertin für Wasserpilze, beklagte sich darüber, dass das Thema ihrer Forschung in der wundersamen Welt der Emojis keine Rolle spiele.

„Wenn man sich für die Rettung des 🐳 einsetzt, kann man kleine Bildchen verwenden, um dies auf sehr verständliche Weise zu vermitteln“, sagt Anderson, die an der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften arbeitet. „Aber wenn man sich für die Rettung von Wasserpilzen einsetzt, muss man die Menschen zunächst wissen lassen, dass es Wasserpilze überhaupt gibt.“ Und anschließend in Worten beschreiben, wie sie aussehen – normalerweise nicht wie Pilze.

Beeindruckt von ihrem Gespräch mit Anderson und besorgt darüber, wie ungewöhnliche Arten ignoriert werden, machten sich Mammola und Ficetola zusammen mit einem Kollegen auf den Weg, um herauszufinden, wie gut der „Baum des Lebens“ in der Emoji-Bibliothek vertreten ist. Die italienischen Ökologen fanden heraus: gar nicht gut! Jetzt rebellieren Wissenschaftler gegen diese Ungerechtigkeit – und stoßen auf den Widerstand der großen Tech-Firmen.

„Unsere Ergebnisse bestätigen eine typische Voreingenommenheit in der Biodiversitätsforschung und ein der menschlichen Psychologie innewohnendes Merkmal“, sagt Mammola, ein Ökologe am Wasserforschungsinstitut des Nationalen Forschungsrats Italiens. „Wir haben in der Regel mehr Empathie für Lebensformen, die uns selbst ähnlich sind.“

Emojis sind eine einfache, bunte und direkte Art der Online-Kommunikation. Die Forscher fanden heraus, dass Tiere durch die verfügbaren Emojis gut repräsentiert werden – Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen jedoch nicht.

In einer Studie, die am Montag in der Zeitschrift iScience veröffentlicht wurde, identifiziert das Team Emojis, die 112 verschiedene Organismen repräsentieren. Darunter sind 92 Tiere, 16 Pflanzen, ein fliegenpilzähnlicher Pilz und ein einziger Mikroorganismus, von dem die Wissenschaftler vermuten, dass es sich um das darminfizierende Bakterium E. coli handelt.

„Eine gute Darstellung aller Lebensformen in den sozialen Medien kann erheblich dazu beitragen, die Botschaft zu verbreiten, dass die biologische Vielfalt viel mehr ist als nur Katzen, Hunde, Löwen und Pandas“, sagt Mammola. „Es gibt eine beeindruckende Anzahl von Organismen, und alle spielen eine grundlegende Rolle für unseren Planeten, auch die, die wir weniger kennen.“

Die Forscher kategorisierten alle Emojis mit Bezug zu Natur und Tieren in Emojipedia, einem kuratierten Online-Katalog von Emojis. Dabei stellten sie fest, dass einige große Gruppen von Lebewesen überhaupt nicht vertreten waren. Wissenschaftler haben zum Beispiel mehr als 20.000 Arten von Plattwürmern beschrieben, aber es gibt keine Möglichkeit, diese Weichkörper in Online-Nachrichten darzustellen.

Gliederfüßer machten nur 16 Prozent der Tier-Emojis aus, obwohl es mehr als eine Million beschriebene Gliederfüßerarten gibt – verglichen mit weniger als 100.000 beschriebenen Wirbeltierarten. In einigen Fällen identifizierten die Wissenschaftler einzelne Arten wie Weißkopfseeadler und Riesenpandas, während andere Emojis nur auf Gattungs- oder Familienebene identifizierbar waren, wie Ameisen und Krokodile. Den Forschern zufolge spiegeln die Verzerrungen bei der Darstellung der biologischen Vielfalt von Tieren in Emojis bekannte Verzerrungen bei der Bewertung der biologischen Vielfalt und bei Erhaltungsanalysen wider, einschließlich der „Roten Liste der gefährdeten Arten“.

Eine bessere Darstellung könnte das Interesse an Organismen wecken, die die Menschen nicht kennen, so Mammola. Das könne indirekt zu den Erhaltungsbemühungen beitragen. „Das Hinzufügen von 20 bis 30 weiteren Emojis, die fehlende, aber wichtige Organismen darstellen, ist nahezu kostenlos. Eine solche Erweiterung kann eine bessere Vorstellung davon vermitteln, wie groß die Artenvielfalt ist.“

Einige Wissenschaftler haben Schritte unternommen, um ihre Forschung auf der Tastatur ihres Telefons mit Bildern statt mit Worten darzustellen. Andrew White, ein Computerchemiker, reichte letztes Jahr eine Bewerbung für ein Protein-Emoji ein, nachdem er auf X, damals noch Twitter, eine Umfrage unter Biologen gestartet hatte, wie es aussehen sollte. Der Auswahlausschuss, dem Vertreter von Technologieunternehmen wie Apple, Meta und Microsoft angehören, lehnte die Bewerbung jedoch ab.

„Die DNA gilt als die Sprache, die das Leben kodiert, aber die Proteine sind die eigentlichen Träger des Leben“, schrieb White in der Zeitschrift Nature. „Ich denke, dass ein Protein-Emoji für die Wissenschaftskommunikation nützlich wäre, weil es für Fortschritte in der Genomik und Sequenzierung steht.“

Glücklicherweise stellten die italienischen Forscher fest, dass die Vielfalt der Emojis zunimmt. Die Anzahl der dargestellten Tierarten ist von 45 im Jahr 2015 auf 92 im Jahr 2022 gestiegen, so die Forscher. Diese Ergebnisse stehen jedoch in starkem Kontrast zum Zustand der Tierwelt in der realen Welt.

Eine bahnbrechende Forschungsstudie aus dem Jahr 2019 kam zu dem Schluss, dass die Natur in einem Tempo zurückgeht, wie es in der Geschichte der Menschheit noch nie vorgekommen ist – und dass die Arten immer schneller ausgerottet werden. Jennifer Anderson sagt, sie wolle Emojis für Organismen wie Wasserpilze als Ausdruck eines erhöhten öffentlichen Bewusstseins und als Indikator für ihren ökologischen Wert. „Ein Emoji signalisiert, dass ein Organismus geschätzt wird oder irgendwie wichtig genug ist, um Teil der täglichen Konversation zu sein“, meint sie.

Ajit Niranjan ist der Umweltkorrespondent beim Guardian

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Kommunikation | Darm mit Charme: Mit einer ekligen Ausnahme fehlt Emojis biologische Vielfalt

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12.12.2023

Als Stefano Mammola und Francesco Ficetola im Jahr 2021 eine Ökologiekonferenz in Prag besuchten, trafen sie eine Wissenschaftlerin mit einer ungewöhnlichen Beschwerde. Jennifer Anderson, Expertin für Wasserpilze, beklagte sich darüber, dass das Thema ihrer Forschung in der wundersamen Welt der Emojis keine Rolle spiele.

„Wenn man sich für die Rettung des 🐳 einsetzt, kann man kleine Bildchen verwenden, um dies auf sehr verständliche Weise zu vermitteln“, sagt Anderson, die an der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften arbeitet. „Aber wenn man sich für die Rettung von Wasserpilzen einsetzt, muss man die Menschen zunächst wissen lassen, dass es Wasserpilze überhaupt gibt.“ Und anschließend in Worten beschreiben, wie sie aussehen – normalerweise nicht wie Pilze.

Beeindruckt von ihrem Gespräch mit Anderson und besorgt darüber, wie ungewöhnliche Arten ignoriert werden, machten sich Mammola und Ficetola zusammen mit einem Kollegen auf den Weg, um herauszufinden, wie gut der „Baum des Lebens“ in der Emoji-Bibliothek vertreten ist. Die italienischen Ökologen fanden heraus: gar nicht gut! Jetzt rebellieren Wissenschaftler gegen diese Ungerechtigkeit – und stoßen auf den Widerstand der großen Tech-Firmen.

„Unsere Ergebnisse bestätigen eine typische Voreingenommenheit in der Biodiversitätsforschung und ein der menschlichen Psychologie innewohnendes Merkmal“, sagt Mammola, ein Ökologe am........

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