Mieko Kawakami entdeckte die Romane von Haruki Murakami während ihrer Schulzeit in der Bibliothek und war sofort fasziniert. Das beruht auf Gegenseitigkeit: Murakami ist begeistert von Kawakamis Schreiben. Im Jahr 2017 trafen sich die beiden zu mehreren Gesprächen, in denen Kawakami indes auch hartnäckig auf Murakamis viel diskutierte problematische Darstellung von Frauen zu sprechen kam. Murakami, so der Vorwurf, zeichne Frauenfiguren, die häufig nur als sexuelle Pforten in das Unbewusste des Protagonisten dienten. Im Zentrum seiner Romane stünden Protagonisten, die oft nur aus bloßem Mittelschichts-Ennui heraus in surreale, unterbewusste Welten drifteten.

2017 stand Kawakamis internationaler Durchbruch kurz bevor, thematisch bedient sie das Gegenteil von Murakami. Im Mittelpunkt steht bei ihr die soziale und gesellschaftliche Realität von Frauen der japanischen Arbeiterklasse, sie schreibt über Frauen in einer Welt, die für sie – ähnlich wie in Murakamis Romanen – nur Rollen am Rand vorgesehen hat.

Kawakamis Novelle Brüste und Eier, die 2007 den Akutagawa-Preis, die höchste literarische Auszeichnung in Japan, gewann, stieß eine konservative Gesellschaft vor den Kopf: Die Lebensumstände alleinerziehender Mütter, die als Hostessen in Bars arbeiten, durften bislang nur als mahnende Warnung erzählt werden.

Kawakami ist nur eine von vielen japanischen Autorinnen, die in den letzten Jahren internationale Bekanntheit erlangten. Sayaka Muratas Die Ladenhüterin (auf Deutsch 2018 erschienen) löste in den USA und Europa einen regelrechten Hype um Bücher aus Japan aus. Auf Booktok, der „bibliophilen Ecke“ bei Tiktok, gibt es inzwischen eine eigene Kategorie für diese Schriftstellerinnen: Japanische Autorinnen, die du lesen musst, wenn du Murakami magst, aber nicht ausstehen kannst, wie er über Frauen schreibt. Tatsächlich hat Murakami enorm zum Erfolg japanischer Autorinnen beigetragen. Er bewies, dass japanische Romane ohne Kirschblüten, Geisha oder den Fuji auf dem Cover Bestseller sein können. Und seit Murakami kritischer diskutiert wird, wandert der Blick auf diejenigen, die seine Leerstellen füllen.

Die auf Booktok gefeierten Autorinnen haben gemeinsam, dass sie, anders als der nahezu vollständig unpolitische Murakami, gesellschaftliche Ungleichheiten hinterfragen und aus dezidiert marginalisierten oder feministischen Positionen schreiben.

Emi Yagis Debüt, das auf Deutsch den wirklich furchtbaren Titel Frau Shibatas geniale Idee bekommen hat, ist beinahe eine Satire auf die Art, wie Frauen darauf reduziert werden, Kinder zu gebären. Die geniale Idee: Shibata erfindet eine Schwangerschaft und erlebt, wie sie erstmals von der Gesellschaft als „ganzer Mensch“ behandelt wird. Miri Yu, Angehörige der koreanischen Minderheit, hat für ihren Roman Tokyo Ueno Station jahrelang Obdachlose begleitet. Yu, wie auch Hiroko Oyamada, sind bisher nur ins Englische übersetzt worden.

Die zunehmende internationale Aufmerksamkeit ist auch Ergebnis eines Trends in Japan. Die zwei wichtigsten literarischen Preise gingen in den letzten Jahrzehnten zur Hälfte an Frauen. Vier der neun Jury-Mitglieder des Akutagawa-Preises sind Frauen. Die japanische Gesellschaft steht sozial vor einem Wandel. Eine überalternde Gesellschaft kann es sich wirtschaftlich nicht mehr leisten, ihre überdurchschnittlich gut ausgebildeten Frauen als Arbeitnehmerinnen zu verlieren. Frauen fordern ihre Rechte immer lauter ein. Die Politik hat sich die Gleichsetzung auf die Fahne geschrieben, musste ihre Ziele letztes Jahr aber gleich runterstufen, denn bisher liefern die Maßnahmen keine Ergebnisse. Im internationalen Vergleich ist Japan in der Gleichstellung immer noch weit abgeschlagen – Platz 125 von 146.

Natürlich sind nicht alle gelisteteten Autorinnen auf Booktok erst in den letzten Jahren international bekannt geworden. Autorinnen wie Hiromi Kawakami (nicht verwandt mit Mieko), Banana Yoshimoto, Yoko Ogawa und Yoko Tawada werden seit Jahrzehnten auch im Ausland gelesen. Yoka Tawada etwa schreibt auf Deutsch und Japanisch. Banana Yoshimoto erlangte mit ihrem Roman Kitchen schon in den 1990ern Kultstatus. Wer also wie jedes Jahr eine Diskussion darüber lostreten will, ob Haruki Murakami den Literaturnobelpreis endlich erhalten sollte, könnte sich fragen, welche weibliche Autorin die erste japanische Literaturnobelpreisträgerin werden könnte.

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Literatur | Problematische Frauenfiguren von Haruki Murakami: Hype um japanische Feministinnen

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10.01.2024

Mieko Kawakami entdeckte die Romane von Haruki Murakami während ihrer Schulzeit in der Bibliothek und war sofort fasziniert. Das beruht auf Gegenseitigkeit: Murakami ist begeistert von Kawakamis Schreiben. Im Jahr 2017 trafen sich die beiden zu mehreren Gesprächen, in denen Kawakami indes auch hartnäckig auf Murakamis viel diskutierte problematische Darstellung von Frauen zu sprechen kam. Murakami, so der Vorwurf, zeichne Frauenfiguren, die häufig nur als sexuelle Pforten in das Unbewusste des Protagonisten dienten. Im Zentrum seiner Romane stünden Protagonisten, die oft nur aus bloßem Mittelschichts-Ennui heraus in surreale, unterbewusste Welten drifteten.

2017 stand Kawakamis internationaler Durchbruch kurz bevor, thematisch bedient sie das Gegenteil von Murakami. Im Mittelpunkt steht bei ihr die soziale und gesellschaftliche Realität von Frauen der japanischen Arbeiterklasse, sie schreibt über Frauen in einer Welt, die für sie – ähnlich wie in Murakamis Romanen – nur Rollen am Rand vorgesehen hat.

Kawakamis Novelle Brüste und Eier, die 2007 den........

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