Die Geschichten der Wissenschaft seien im Vergleich zu denen der Literatur weit überwältigender, tiefgründiger und sogar gefühlvoller. Nur dass diese wunderbaren Erzählungen „in kalte Gleichungen eingesperrt“ seien, die ein Großteil der Menschen nicht lesen könne. Man muss die Ansichten nicht teilen, die der chinesische Schriftsteller Cixin Liu im Nachwort seines ersten Romans der weltweit millionenfach verkauften Trisolaris-Trilogie formuliert. Aber sie schaffen ein Verständnis dafür, auf welche Art von Science-Fiction-Literatur es der Autor abgesehen hat. Ihm geht es um eine Art Poesie des Universums, um die Mysterien seines Zusammenspiels und letztlich um die Verbundenheit aller Dinge.

Cixin Lius Formulierungen lassen allerdings auch erahnen, was das Genre seiner Auffassung nach eben nicht zuerst ausmacht: actionreiche Kampfszenen, künstlich konstruierte Techniksprache, spektakuläre Schauwerte. Erinnert man sich an das, was das Blockbuster-Kino zuletzt hervorbrachte, steht Cixin Lius wissenschaftsbegeisterter Ansatz im aufregenden Widerspruch dazu. Sein Roman, der im Original – ebenso wie nun auch die Serienadaption – nach einem Rätsel der Physik, dem „Dreikörperproblem“, benannt ist, arbeitet mit den realen Gesetzen unseres Kosmos, in ihm erklärt er beinahe beiläufig quantenphysikalische Phänomene und extrapoliert sie zu einem ergreifenden Epos um den ersten Kontakt der Menschheit mit außerirdischem Leben.

Warum sich David Benioff und D. B. Weiss für ihr erstes gemeinsames Projekt nach Game of Thrones erneut für die Adaption einer so dichten wie beliebten Buchreihe entschieden haben, mag verschiedene Gründe haben. Vielleicht ist es die Liebe zu komplexen Genrestoffen. Vielleicht wollten sie sich – nun gemeinsam mit dem amerikanischen Drehbuchautor Alexander Woo – nach dem Fiasko des Finales der Adaption von George R. R. Martins Fantasy-Reihe aber auch einfach direkt der nächsten Herausforderung stellen.

Dass die visuelle Übersetzung des Stoffs eine Herausforderung darstellt, steht jedenfalls außer Frage. Nicht nur wegen der komplexen physikalischen Zusammenhänge. Sondern auch, weil ein Großteil der Mysterien, die die Menschen auf der Erde allmählich darauf aufmerksam werden lassen, dass es „da draußen“ noch andere Spezies gibt, im Roman nur durch die Augen einer einzigen Figur beleuchtet werden. Wie sich das in eine bildkräftige Serie übersetzen lassen soll, darauf finden Woo, Benioff und Weiss eine entschiedene Antwort: Das meiste muss schlicht radikal anders angegangen werden.

In der achtteiligen Netflix-Produktion stehen deshalb statt einer chinesischen Astrophysikerin fünf Freunde aus London, alle etwa Mitte 30, im Zentrum des Geschehens. Der Erste, der Beunruhigendes erlebt, ist Saul (Jovan Adepo), Mitarbeiter einer Forschungseinrichtung, deren Teilchenbeschleuniger-Experimente seit Kurzem nur noch unerklärliche Ergebnisse hervorbringen. Als „Slacker“, der sich seine Zeit mit One-Night-Stands und Kiffen vertreibt, bringt ihn das zunächst nicht aus der Fassung. Seine Freundin Auggie (Eiza González), als strebsame Wissenschaftlerin mit eigenem Start-up-Unternehmen das blanke Gegenteil zu ihm, hingegen schon. Spätestens als sie einen ominösen Countdown zu sehen beginnt, der – so erklärt es ihr eine plötzlich auftauchende Fremde – erst dann wieder verschwinden wird, wenn sie ihre vielversprechende Forschung zur Nanotechnologie zum Erliegen bringt. Die gewissenhafte Akademikerin will einen Beweis dafür, dass mehr als nur ein Taschenspielertrick hinter dem nur für sie sichtbaren Timer steckt. Und den wird ihr das Universum höchstselbst erbringen.

Die Entscheidung, eine Gruppe von klischeebeladenen Millennials in den Fokus von Cixin Lius tiefgründiger Geschichte zu rücken, sorgt schon früh für Irritationen. Zum Ausgleich erhofft man sich, dass die Game-of-Thrones-Schöpfer wenigstens in optischer Hinsicht liefern können und etwa das beängstigende Ausmaß der Macht, das die Außerirdischen augenscheinlich besitzen, in bildgewaltige Szenen zu übersetzen vermögen. Als Auggie, wie von der Fremden geheißen, zur verabredeten Zeit in den Nachthimmel blickt, um sich ebendiese Macht demonstrieren zu lassen, wirkt es in 3 Body Problem allerdings so, als hätte der galaktische Lichtschalter schlicht einen kleinen Wackelkontakt. Der Kosmos flackert kurz, das ist alles.

Enttäuschende Bilder fallen bei einer Adaption umso mehr ins Gewicht, wenn sie sich von jener Sorte philosophisch-reflektierender, nachdenklicher Science-Fiction, wie sie der Autor der Vorlage intendierte, abwendet und sich doch wieder auf bewährtes Actionspektakel fokussiert. So rückt die Serie etwa ein obskures Videospiel stärker in den Vordergrund, das in einer zunächst nicht weiter erklärten Verbindung zu den Außerirdischen steht. Zwei Freunde der Gruppe tauchen damit in eine Wirklichkeit ein, die sich stark von der unserer Erde unterscheidet. Sie finden sich versetzt in eine unwirtliche Wüste und eine Zivilisation, in der selbst Dinge wie der Wechsel zwischen Tag und Nacht unregelmäßig verlaufen und „chaotische Zeitalter“ sich mit „stabilen“ in völlig unberechenbaren Abständen ablösen.

Level um Level versuchen Jin (Jess Hong) und Jack (John Bradley), die das Spiel über ein futuristisches Virtual-Reality-Headset betreten, eine Möglichkeit zu finden, den Wechsel der Zeitalter vorherzusagen. Dabei werden ihnen nicht nur die Ursachen der Wirren klar, sondern auch, wie sich die Zivilisation des Planeten diesen evolutionär anpasste: Steht eine Phase der Instabilität bevor, können sich die Bewohner „dehydrieren“. Bei diesem Vorgang weicht alle Flüssigkeit aus ihrem Körper, zurück bleiben leere Hüllen, die in gigantischen Türmen aufbewahrt werden. Brechen stabile Zeiten an, können sie durch das Einweichen in Wasser wiederbelebt werden.

Dass Woo, Benioff und Weiss es darauf abgesehen zu haben, den Plot zugänglicher, unterhaltsamer und unbeschwerter zu gestalten, zeigt sich in den Videospiel-Szenen besonders deutlich. Während die theoretische Physikerin Jin sich zwar durchaus verbissen um eine Lösung der Rätsel bemüht, erfüllt Jack (John Bradley), der die Wissenschaft zugunsten einer Karriere als Unternehmer aufgab und mit dem Verkauf von Snacks zu Reichtum gelangte, die Funktion eines „comic relief“. Er klopft lockere Sprüche oder nutzt die Freiheiten der Simulation auch mal dafür, anderen Spielfiguren einfach ins Gesicht zu schlagen. Was sowohl Jin als auch Jack zunächst nicht realisieren, ist die Tatsache, dass es sich beim Spiel um eine Rekrutierungsmethode handelt. Jene außerirdische Zivilisation, die sich auf dem Weg zur Erde befindet, ist auf solch einem instabilen Planeten zu Hause. Um bei einer kriegerischen Konfrontation die Oberhand zu behalten, versucht sie schon vor der Ankunft, Kontrolle über die Wissenschaft auf der Erde zu erlangen.

Mit einem Ansatz, der zwischendurch auf Situationskomik setzt, actiongetriebene Szenen und die trivialen zwischenmenschlichen Dynamiken innerhalb der Freundesgruppe in den Vordergrund rückt, verfehlt 3 Body Problem leider viel von der Bandbreite der moralischen Fragestellungen und Menschheitsthemen, die das Buch so besonders machen.

Näher an der Vorlage ist die Serie in dieser Hinsicht nur dann, wenn sie um Ye Wenjie (Rosalind Chao) kreist, deren Geschichte sich in Rückblenden entfaltet und in den 1960er Jahren beginnt, zur Zeit der chinesischen Kulturrevolution. Als junge Frau (Zine Tseng) muss sie mitansehen, wie ihr Vater auf offener Bühne wegen seiner „imperialistischen“ Theorien zu Tode geprügelt wird. Sie kommt für Jahre in ein Arbeitslager, wo sie weitere Repressionen und Umweltzerstörung erlebt und darüber den Glauben an die Menschheit verliert. Als sie die Möglichkeit erhält, an einer geheimen Mission teilzunehmen, die nach intelligentem Leben im All sucht, ergreift sie ihre Chance: Obwohl das unbekannte Wesen, das sich nach langen Jahren endlich meldet, sogar davor warnt, dass sein Volk kein friedliches sei, antwortet Ye und lädt damit die – zumindest im technologischen Sinne – wesentlich weiter entwickelten „Trisolarier“ dazu ein, die Erde zu erobern.

Das ist das wohl größte Versäumnis der Serienadaption: Der Kern der Saga von Cixin Liu besteht in der Absicht, den Menschen die eigenen Torheiten vor Augen zu führen. Zwar wird die verblendete Zuversicht einer Ye Wenjie und ihrer irdischen Apostel, die der extraterrestrischen Zivilisation schließlich sogar zur Hand gehen wollen, herausgestellt. Aber der Serie gelingt es nicht, von den „Trisolariern“ tatsächlich als Spiegelbild zur Menschheit zu erzählen. Sie sind eine Zivilisation, die sich ständig im Überlebenskampf befindet und deshalb weder einen Sinn für das Schöne noch für den Wert des Einzelnen kennt. Im Vergleich dazu scheint es, als wäre die Menschheit auf einem Planeten geboren, der grundsätzlich alles bereithält, was es für ein gelungenes Leben braucht. Eine Grundlage, die sich die Menschheit jedoch durch Kriege und Umweltzerstörungen eigenhändig zunichtezumachen droht.

Im Nachwort zu seinem Roman bringt Cixin Liu die Hoffnung zum Ausdruck, die Menschen mögen mit derselben Freundlichkeit auf ihre unmittelbaren Nachbarn blicken, wie sie es auf die Sterne tun. Das Augenmerk der Serie dagegen richtet sich gen Ende auf die – kriegerischen – Vorbereitungen für die Ankunft der Aliens in voraussichtlich 400 Jahren, auf den zwielichtigen Geldgeber dieser Abwehrstrategie (Liam Cunningham), die Haudegen in ihren Diensten (Benedict Wong) und vor allem auf die ausgeklügelten Waffensysteme, die dafür benötigt werden. Die zutiefst humanistische Mahnung der Vorlage geht darüber verloren. So wird 3 Body Problem am Ende weder dem Geist der Vorlage gerecht, noch kann die Serie mit dem, was sie stattdessen anbietet, nachhaltig überzeugen. Vielleicht aber sorgt die prominente Platzierung bei Netflix dafür, dass dem Buch noch mehr Aufmerksamkeit zuteil wird. Das, immerhin, wäre ein Verdienst.

Eingebetteter Medieninhalt

3 Body Problem David Benioff, D. B. Weiss, Alexander Woo USA 2024, 8 Folgen, Netflix

QOSHE - Netflix-Serie | „3 Body Problem“: Wenn der Kosmos flackert - Arabella Wintermayr
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Netflix-Serie | „3 Body Problem“: Wenn der Kosmos flackert

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20.03.2024

Die Geschichten der Wissenschaft seien im Vergleich zu denen der Literatur weit überwältigender, tiefgründiger und sogar gefühlvoller. Nur dass diese wunderbaren Erzählungen „in kalte Gleichungen eingesperrt“ seien, die ein Großteil der Menschen nicht lesen könne. Man muss die Ansichten nicht teilen, die der chinesische Schriftsteller Cixin Liu im Nachwort seines ersten Romans der weltweit millionenfach verkauften Trisolaris-Trilogie formuliert. Aber sie schaffen ein Verständnis dafür, auf welche Art von Science-Fiction-Literatur es der Autor abgesehen hat. Ihm geht es um eine Art Poesie des Universums, um die Mysterien seines Zusammenspiels und letztlich um die Verbundenheit aller Dinge.

Cixin Lius Formulierungen lassen allerdings auch erahnen, was das Genre seiner Auffassung nach eben nicht zuerst ausmacht: actionreiche Kampfszenen, künstlich konstruierte Techniksprache, spektakuläre Schauwerte. Erinnert man sich an das, was das Blockbuster-Kino zuletzt hervorbrachte, steht Cixin Lius wissenschaftsbegeisterter Ansatz im aufregenden Widerspruch dazu. Sein Roman, der im Original – ebenso wie nun auch die Serienadaption – nach einem Rätsel der Physik, dem „Dreikörperproblem“, benannt ist, arbeitet mit den realen Gesetzen unseres Kosmos, in ihm erklärt er beinahe beiläufig quantenphysikalische Phänomene und extrapoliert sie zu einem ergreifenden Epos um den ersten Kontakt der Menschheit mit außerirdischem Leben.

Warum sich David Benioff und D. B. Weiss für ihr erstes gemeinsames Projekt nach Game of Thrones erneut für die Adaption einer so dichten wie beliebten Buchreihe entschieden haben, mag verschiedene Gründe haben. Vielleicht ist es die Liebe zu komplexen Genrestoffen. Vielleicht wollten sie sich – nun gemeinsam mit dem amerikanischen Drehbuchautor Alexander Woo – nach dem Fiasko des Finales der Adaption von George R. R. Martins Fantasy-Reihe aber auch einfach direkt der nächsten Herausforderung stellen.

Dass die visuelle Übersetzung des Stoffs eine Herausforderung darstellt, steht jedenfalls außer Frage. Nicht nur wegen der komplexen physikalischen Zusammenhänge. Sondern auch, weil ein Großteil der Mysterien, die die Menschen auf der Erde allmählich darauf aufmerksam werden lassen, dass es „da draußen“ noch andere Spezies gibt, im Roman nur durch die Augen einer einzigen Figur beleuchtet werden. Wie sich das in eine bildkräftige Serie übersetzen lassen soll, darauf finden Woo, Benioff und Weiss eine entschiedene Antwort: Das meiste muss schlicht radikal........

© der Freitag


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