Es war der Aufreger auf dem Eurovision Song Contest (ESC) 2019: Während der Punktevergabe hielt die isländische Band Hatari doch tatsächlich eine Palästinaflagge in die Kamera – aus Protest gegen die israelische Besatzung. Schon vor der Finalshow in Tel Aviv hatte die Gruppe Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu einem isländischen Ringkampf aufgefordert. Der fand leider nicht statt. Stattdessen musste die Rundfunkanstalt RÚV wegen der Flaggenaktion 5.000 Euro Strafe zahlen. Der ESC will unpolitisch sein. Doch irgendwie klappt das nicht so richtig.

Aktuell fordern mehr als 1.400 Menschen aus der finnischen Musikindustrie in einer Petition, Israel vom diesjährigen ESC auszuschließen. Grund: Mögliche Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg. Das Land solle sein Image nicht bei einem heiteren Musikwettwerb aufpolieren dürfen. Auch gegenüber dem isländischen Rundfunk waren im Dezember Rufe laut geworden, den ESC notfalls zu boykottieren, sollte Israel daran teilnehmen. Und in Norwegen versammelten sich Protestierende vor der Zentrale des Fernsehsenders NRK mit demselben Wunsch.

Was haben die da oben im Norden nur mit Israel und dem ESC? Und wieso lautet ihr einziger Vorschlag: „ausschließen“?

Aussicht auf Erfolg hat das sowieso nicht. Der Sender NRK hat schon abgewunken: Boykott sei nicht Teil des Sendeauftrages. Und auch die European Broadcasting Union, die den ESC veranstaltet, weist wieder auf den „unpolitischen“ Charakter ihres Events hin. Das ist natürlich Unsinn. Im letzten Jahr hat der ukrainische Künstler Tvorchi mit einem langweiligen Lala-Song unverdient den 6. Platz erreicht. Mir kann keiner erzählen, dass das nichts mit dem Krieg gegen Russland zu tun hatte. Also, lasst uns den ESC politisieren. Aber diesmal anders.

Das diesjährige ESC-Motto lautet „United by Music“, „vereint durch Musik“. Die perfekte Gelegenheit, um einen hohlen Marketingspruch wirklich mal ernstzunehmen. „Vereint durch Musik“ klingt aber nicht danach, dass Israel fernbleiben müsste. Stattdessen sollte ein weiterer Staat auf die Teilnehmerliste gesetzt werden: Palästina.

Ach, das liegt gar nicht in Europa? Israel auch nicht. Streng „europäisch“ ist der ESC schon lange nicht mehr. 2015 nahm sogar Australien erstmals mit einer „Ausnahmegenehmigung“ an dem Wettbewerb teil. Begündung: Die Australier würden den ESC halt so lieben. 2,7 Millionen von ihnen hatten dabei zugeguckt, wie Conchita Wurst damals den Sieg holte. Auch dieses Jahr wird das Land am anderen Ende der Welt wieder jemanden auf die ESC-Bühne entsenden. Territoriale Grenzen hat der ESC also schon mal nicht.

Liebe European Broadcasting Union, stellt dieses Jahr doch wieder eine Ausnahmegenehmigung aus. Diesmal für Palästina. Dort gibt es einen jungen, queeren Künstler namens Bashar Murad, der schon mal im Zusammenhang mit dem ESC in Erscheinung trat: 2019 veröffentlichte er kurz nach dem Wettbewerb zusammen mit Hatari (die mit der Palästinaflagge während der Punktevergabe) den Song Klefi /Samed. Murad singt über LGBTQI-Rechte. Und über die israelische Besatzung.

Eingebetteter Medieninhalt

Trotzdem ist er kein Spalter, im Gegenteil. In seinem Song Intifada on the Dance Floor singt er darüber, dass Kunst eine ebenso große Wirkung haben kann wie Streiks und Proteste. Der Text ist etwas kryptisch, wahrscheinlich geht es um Soldaten der Israelischen Armee, die bewaffnet in ein palästinenisches Gebiet einfallen. Murads Antwort: „Wer auch immer ihr seid: Wir heißen euch willkommen, von Norden bis Süden.“ Man beachte: Er singt nicht, dass er die Soldaten von Ost nach West, geschweige denn „from the river to sea“ willkommen heißt. Murad ist Pazifist. In dem Lied sagt er, dass seine Waffe mit Munition aus Blumen geladen ist.

Wäre dieser Musiker nicht perfekt für den ESC? Die Einschaltquoten würden in die Höhe schießen, der Nahostkonflikt hätte ein friedliches Forum auf der Bühne, Orient und Okzident reichten sich die Hand. Der Wettbewerb wird dieses Jahr im schwedischen Malmö ausgetragen. In jener Stadt also, in der es islamistische „No-Go-Areas“ geben soll. Vielleicht würden ein paar Jungs da zum ersten Mal in ihrem Leben den ESC einschalten? Weil sie sich endlich repräsentiert fühlen? „In meiner Musik geht es immer darum, die Menschen zu mehr Toleranz und Akzeptanz zu ermutigen“, sagt Murad. Was für eine Chance.

Die Bürokraten werden auf die ESC-Regeln verweisen und sagen: Man muss von der UNO als eigenständiger Staat anerkannt sein, um mitmachen zu dürfen. Sonst könnte ja bald auch Schottland mit einem eigenen Interpreten um die Ecke kommen. Aber kann man Regeln nicht ändern? Ich hätte da einen Formulierungsvorschlag: „Um beim Eurovision Song Contest teilnehmen zu können, muss ein Land von mindestens 138 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen als unabhängiger Staat anerkannt worden sein.“ Dann könnte es im Mai heißen: Bühne frei für Palästina!

QOSHE - Meinung | ESC 2024: Warum Palästina am Eurovision Song Contest teilnehmen sollte - Dorian Baganz
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Meinung | ESC 2024: Warum Palästina am Eurovision Song Contest teilnehmen sollte

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19.01.2024

Es war der Aufreger auf dem Eurovision Song Contest (ESC) 2019: Während der Punktevergabe hielt die isländische Band Hatari doch tatsächlich eine Palästinaflagge in die Kamera – aus Protest gegen die israelische Besatzung. Schon vor der Finalshow in Tel Aviv hatte die Gruppe Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu einem isländischen Ringkampf aufgefordert. Der fand leider nicht statt. Stattdessen musste die Rundfunkanstalt RÚV wegen der Flaggenaktion 5.000 Euro Strafe zahlen. Der ESC will unpolitisch sein. Doch irgendwie klappt das nicht so richtig.

Aktuell fordern mehr als 1.400 Menschen aus der finnischen Musikindustrie in einer Petition, Israel vom diesjährigen ESC auszuschließen. Grund: Mögliche Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg. Das Land solle sein Image nicht bei einem heiteren Musikwettwerb aufpolieren dürfen. Auch gegenüber dem isländischen Rundfunk waren im Dezember Rufe laut geworden, den ESC notfalls zu boykottieren, sollte Israel daran teilnehmen. Und in Norwegen versammelten sich Protestierende vor der Zentrale des Fernsehsenders NRK mit demselben Wunsch.

Was haben die da oben im Norden nur mit Israel und dem ESC? Und wieso lautet ihr einziger Vorschlag: „ausschließen“?

Aussicht auf Erfolg hat........

© der Freitag


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