Auf Stationen und Raumschiffen im Outer Space lauert nicht selten das psychologische Grauen. Zumindest ist das so in diversen jüngeren Weltraum-Thrillern von Moon (2009) über Stowaway bis Silent Sea (beide 2021). In der AppleTV+-Serie Constellation ist die Raumstation ISS Schauplatz eines dramatischen Unfalls mit ungeahnten Folgen und viel subtilem, unter die Haut gehendem Horror. Während eines quantenphysikalischen Experiments geht etwas schief, es kommt zu einer Explosion, der Wissenschaftler Paul (William Catlett) stirbt, und seine Kollegin, die schwedische Astronautin und Wissenschaftlerin Jo (Noomi Rapace), muss schließlich zurück zur Erde. Dort ist aber einiges plötzlich ganz anders.

Erst sind es Kleinigkeiten. Das Familienauto hat eine andere Farbe, die Frau eines Kollegen einen anderen Vornamen. Aber dann kann sie mit einem Mal begnadet Klavier spielen, was sie zuvor überhaupt nicht beherrschte. Die Chefin der russischen Raumfahrtagentur, Irena (Barbara Sukowa), mit der sie zu tun hat, ist ihr völlig unbekannt. Und welche Rolle spielt Henry (Jonathan Banks), der wissenschaftliche Leiter eines NASA-Programms, das mit dem misslungenen Experiment in Verbindung steht?

Die Serie lässt offen, ob das alles Teil einer posttraumatischen Störung ist, wie sie nach Weltraumaufenthalten manchmal auftritt, oder ob sich wirklich etwas verändert hat. Nur leidet Jo auch an Halluzinationen, aber nicht nur sie, sondern ebenso ihre zehnjährige Tochter. Hängt das am Ende doch mit dem quantenphysikalischen Experiment zusammen, in dem untersucht werden sollte, ob zwei miteinander verbundene Teile an unterschiedlichen Orten existieren können?

Diese grundlegende Frage der Quantenphysik wird zum zentralen Motiv des düsteren Weltraum-Thrillers. Bald wird dem Zuschauer zumindest klar, dass es zwei verschiedene Dimensionen geben muss, die durch dieses Experiment miteinander verbunden wurden. Oder wurden sie dadurch erst geschaffen? Switchen einzelne Personen von einer Realität in die andere? Und wenn ja, wer ist das, und wie lange geht das schon so? Constellation lebt von einer komplexen, gekonnt ineinander verschachtelten Erzählweise, in der vieles angedeutet wird, ohne eindeutige oder allzu platte Erklärungen zu liefern. Das funktioniert nicht zuletzt wegen der großartigen Schauspieler und der unglaublich atmosphärisch dichten Spannung.

Dabei geht es in Rückblenden auch immer wieder auf die ISS, wo Jo als Letzte nach dem Unfall zurückblieb und schließlich mit dem toten Kollegen neben sich festgeschnallt in einer Raumkapsel zur Erde zurückflog. Diese angsteinflößende Episode in der verlassenen ISS mit ihrer verwinkelten Struktur und der engen Raumkapsel, dem schwarzen unendlichen Weltraum und der leuchtend blauen Erde vor den kleinen Luken wird zum immer wiederkehrenden Bezugspunkt. Verarbeitet Jo nur ein traumatisierendes Ereignis? Oder hat sie momentweise Zugang zu einer anderen Realität, ohne den Übergang kontrollieren zu können? Das Verhältnis zu ihrer Tochter Alice wird Dreh- und Angelpunkt in diesem immer komplizierter und gespenstischer werdenden Rätsel. Gerade wegen der so zentralen Tochter-Mutter-Beziehung könnte es leicht ins Kitschige oder in billigen Horror abdriften, aber das passiert nicht. In einem Ferienhaus in Schweden überlagern sich dann die verschiedenen Realitäten und Jo kommt zusammen mit ihrer Tochter einer Lösung näher.

Die wohldosierte Portion Horror, mir der Constellation aufwartet, hat dabei nichts mit spektakulärer Action oder schockierenden Bildern zu tun, sondern ist psychologischer Natur. Der Schrecken wird dramaturgisch sehr kleinteilig aufgebaut und großartig in Szene gesetzt. Es geht um Eifersucht, um gescheiterte Lebenswege, um die Geschichte der Raumfahrt und um ambitionierte Forschungsvorhaben. Die zum Großteil in Deutschland gedrehte und produzierte Serie überzeugt durch ihre feinfühlige Dramatik und die mit großer Sorgfalt aufgebaute Spannung. Die zwischendimensionalen Risse in dieser immer aberwitziger werdenden Handlung, die vom kasachischen Baikonur über ein Kreuzfahrtschiff, das ländliche Schweden bis in die USA und in die Weiten des Weltraums reicht, erzeugen bis zum Schluss immer wieder neue, düstere Überraschungen.

Eingebetteter Medieninhalt

QOSHE - Was läuft | Sci-Fi-Serie „Constellation“: Von einer Wirklichkeit in die andere - Florian Schmid
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Was läuft | Sci-Fi-Serie „Constellation“: Von einer Wirklichkeit in die andere

6 1
01.03.2024

Auf Stationen und Raumschiffen im Outer Space lauert nicht selten das psychologische Grauen. Zumindest ist das so in diversen jüngeren Weltraum-Thrillern von Moon (2009) über Stowaway bis Silent Sea (beide 2021). In der AppleTV -Serie Constellation ist die Raumstation ISS Schauplatz eines dramatischen Unfalls mit ungeahnten Folgen und viel subtilem, unter die Haut gehendem Horror. Während eines quantenphysikalischen Experiments geht etwas schief, es kommt zu einer Explosion, der Wissenschaftler Paul (William Catlett) stirbt, und seine Kollegin, die schwedische Astronautin und Wissenschaftlerin Jo (Noomi Rapace), muss schließlich zurück zur Erde. Dort ist aber einiges plötzlich ganz anders.

Erst sind es Kleinigkeiten. Das Familienauto hat eine andere Farbe, die Frau eines Kollegen einen anderen Vornamen. Aber dann kann sie mit einem Mal begnadet Klavier spielen, was sie zuvor überhaupt nicht beherrschte. Die Chefin der russischen Raumfahrtagentur, Irena (Barbara Sukowa), mit der sie zu tun hat, ist ihr völlig unbekannt. Und welche Rolle........

© der Freitag


Get it on Google Play