Da sind wir wieder, wie im letzten Jahr, bei einem augenscheinlichen Lieblingsthema der interessierten Öffentlichkeit – dem Bürgergeld. Nur empfinde ich es als Betroffene in diesem Jahr als besonders schlimm. Von allen Seiten schleudern einem Politiker menschenverachtende Worte entgegen. Aus dem Fernsehen, wenn man dann einen hätte, würde es tönen: Fauler Mensch, Sozialschmarotzer, Taugenichts, Arbeitsverweigerer. Das alte neue Feindbild der neoliberalen und der Springerpresse wird wieder befeuert.

Wenn Sie sich kurz vorstellen, von Bürgergeld leben zu müssen, sodass Ihre Existenz davon abhängt, ob und wie viel Sie bekommen, dann können Sie hoffentlich nachvollziehen, was solche öffentliche Stimmungsmache mit den Betroffenen macht. Ich habe „Stimmungsmache“ geschrieben, denn eine „Debatte“ ist das aus meiner Sicht schon lange nicht mehr. Es scheint in Mode zu sein, gegen Bürgergeldempfängerinnen zu ätzen. Hauptsache, Sie machen einen Stich auf Kosten der Schwächsten.

Derzeit wird immer wieder gesagt, oder eher geraunt, von Friedrich Merz (CDU), aber auch der FDP oder Nikolaus Blome: Weil das Bürgergeld gestiegen sei, würden Menschen aufhören zu arbeiten und sich in der sozialen Hängematte zurücklehnen. Was Ihnen indes von den Medien und Regierenden verschwiegen wird, ist, dass das Bürgergeld an den steuerlichen Grundfreibetrag für Arbeitende gebunden ist. Oder umgekehrt: Dieser ist ans Existenzminimum gebunden. Steigt das Existenzminimum (der Bürgergeldsatz), so steigt auch der Grundfreibetrag. Ergo profitiert die arbeitende Bevölkerung auch von dem Anheben des Bürgergeldsatzes. Aber das wird gern unterschlagen und somit der Anschein erweckt, als würden nur Bürgergeldempfänger profitieren. Oder, als könne man das eine ohne das andere kriegen. Verstörend ist, dass sich CDU/FDP-Politiker damit gegen Gesetze wenden wollen, denen sie selbst zugestimmt haben.

Ich denke, niemand von uns Armutsbetroffenen hat so eine politische Entwicklung vorausgesehen. Und ich frage mich, warum Artikel 1 des Grundgesetzes so schwer zu verstehen ist: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wenn ich die Reden und Behauptungen über Bürgergeldempfänger lese, nehme ich da keine Augenhöhe, keinen Respekt und keine Mitmenschlichkeit wahr. Sind Bürgergeldempfänger keine Menschen? Haben Sie nicht die gleichen Rechte, wie alle Bürger?

Dass die Regierenden sparen müssen, kann ich verstehen. Aber bei den Sozialausgaben zu sparen, das ist nicht nur deshalb abzulehnen, weil wir schon jetzt damit mehr schlecht als recht über die Runden kommen. Sondern auch, weil gerade in turbulenten Zeiten wie diesen, mit den Nachwehen von Corona, dem Krieg gegen die Ukraine und einem drohenden Rechtsruck ein Sparkurs noch mal Öl ins Feuer gießt. Jetzt bräuchten wir als Gesellschaft Stabilität, Verlässlichkeit und finanzielle Unterstützung bei den hohen Armutszahlen: Da Sozialausgaben zu kürzen, und bei der politischen Bildung, der Migrationsberatung oder Jugendsozialarbeit zu kürzen, ist einfach fatal. Eine stabile Gesellschaft erhält die Demokratie, Armut gefährdet sie. Waren wir da nicht schon mal weiter?

Aber noch mal zu den Fakten, auch wenn diese Wut auslösen können: Die angebliche Erhöhung des Bürgergeldes (Oh nein, 63 Euro!!) ist ein nachwirkender Inflationsausgleich, den ich dringend brauche. Wir armutsbetroffenen Bürgergeldempfänger und Grundsicherungsempfänger sind dieses Jahr in Vorkasse gegangen! Wir haben unser Leben bestritten, obwohl gerade Lebensmittel irre teurer geworden sind. Beim Bürgergeld gab es eben noch keinen Inflationsausgleich. Dass der nächstes Jahr kommt, ist also eine dringend erwartete finanzielle Erleichterung. Für Merz & Co hier noch mal klipp und klar: Diese Inflationsanpassung des Bürgergeldsatzes ist gesetzlich vorgeschrieben, es geht nicht um Kulanz oder Geldgeschenke, sondern um unser Recht.

Am meisten ärgert mich, dass die Stimmungsmache gegen den Sozialstaat, gegen die Absicherung des Existenzminimums, von Politikern kommt, die ein C im Parteinamen führen. Eigentlich sollten sie sich nicht länger christlich nennen. Oder kennen Sie die Geschichte aus der Bibel, in der Jesus den Bettlern die Hilfe verweigert, um ihnen einen Arbeitsanreiz zu geben?

Auch nicht christlich ist es, gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen, anstatt Probleme anzugehen: Geringverdiener gegen Bürgergeldempfänger, Rentner gegen Migranten, Bürgergeldempfänger gegen Asylbewerber, auf in den Ring!

Was hilft gegen dieses miese Spiel? Wir Armutsbetroffenen müssen wohl weiter darum kämpfen, als Menschen gesehen zu werden und nicht als abstrakte Zahlen, die Kosten verursachen. Wir werden allen Widerständen zum Trotz laut werden müssen. Und all jene, die nicht selber betroffen sind: Seien Sie solidarisch mit den armutsbetroffenen Mitgliedern der Gesellschaft! Machen Sie sich über das Thema Bürgergeld schlau und glauben Sie nicht, was ihnen von den meisten Politikern über Armut erzählt wird.

Der Wert einer Gesellschaft misst sich daran, wie sie mit ihrem schwächsten Glied umgeht. Lassen wir also nicht zu, dass in unserem Land Menschen wie „Dreck“ behandelt werden.

Janina Lütt lebt mit ihrem Kind in Elmshorn. Auf freitag.de schreibt sie eine regelmäßige Kolumne über den Kampf mit und gegen Armut

QOSHE - Kolumne | Alle Jahre wieder: Eine Bürgergelddebatte, die völlig fehl geht - Janina Lütt
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Kolumne | Alle Jahre wieder: Eine Bürgergelddebatte, die völlig fehl geht

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06.12.2023

Da sind wir wieder, wie im letzten Jahr, bei einem augenscheinlichen Lieblingsthema der interessierten Öffentlichkeit – dem Bürgergeld. Nur empfinde ich es als Betroffene in diesem Jahr als besonders schlimm. Von allen Seiten schleudern einem Politiker menschenverachtende Worte entgegen. Aus dem Fernsehen, wenn man dann einen hätte, würde es tönen: Fauler Mensch, Sozialschmarotzer, Taugenichts, Arbeitsverweigerer. Das alte neue Feindbild der neoliberalen und der Springerpresse wird wieder befeuert.

Wenn Sie sich kurz vorstellen, von Bürgergeld leben zu müssen, sodass Ihre Existenz davon abhängt, ob und wie viel Sie bekommen, dann können Sie hoffentlich nachvollziehen, was solche öffentliche Stimmungsmache mit den Betroffenen macht. Ich habe „Stimmungsmache“ geschrieben, denn eine „Debatte“ ist das aus meiner Sicht schon lange nicht mehr. Es scheint in Mode zu sein, gegen Bürgergeldempfängerinnen zu ätzen. Hauptsache, Sie machen einen Stich auf Kosten der Schwächsten.

Derzeit wird immer wieder gesagt, oder eher geraunt, von Friedrich Merz (CDU), aber auch der FDP oder Nikolaus Blome: Weil das Bürgergeld gestiegen sei, würden Menschen aufhören zu arbeiten und sich in der sozialen Hängematte zurücklehnen. Was Ihnen indes von den Medien und Regierenden........

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