Und wieder geht sie los, die Hetze gegen Bürgergeld-Beziehende. 3,25 Milliarden Euro mehr braucht der Sozialminister Hubertus Heil aus dem Etat, und schon hetzt die CDU wieder gegen Armutsbetroffene und will Bürgergeldempfänger dazu zwingen, zu arbeiten. Sonst, so lautet der Tenor, kündigen ja alle ihre Jobs, um sich das Leben mit Bürgergeld einfacher zu machen! Da sich nicht-armutsbetroffene Menschen kaum vorstellen können, wie man mit Bürgergeldbezug in die Armutsspirale gerät, schreibe ich es mal auf. Damit Hubertus Heil das nicht ganz alleine erklären muss.

Das vorweg: Es gibt durchaus Beispiele von Menschen, die eine Weile gut mit Bürgergeld leben können – temporär. Dabei kommt es darauf an, wie die Ausgangssituation aussieht: Mussten Sie noch nie Sozialleistungen beantragen? Haben Sie Rücklagen? Dann ist die Situation vorerst nicht schlimm. Aber je länger Sie von Bürgergeld leben müssen, desto schlimmer wird es. Wenn Sie armutsbetroffen sind, leben Sie ein Leben auf Verschleiß.

Die erste Zeit kommen sie noch ganz gut mit ihrem Geld aus: Ihre Wohnung ist ja bereits eingerichtet, mit etwas Glück haben Sie schon ein Auto und sogar ein bisschen angespart, als Sie gearbeitet haben. Das monatliche Bürgergeld ist knapp, aber die Einkäufe können Sie damit bestreiten (wenn Sie den Bio-Laden meiden), und wenn der Toaster kaputtgeht, gibt es ja Kleinanzeigen. Dann geht Ihre Waschmaschine kaputt. Sie lesen nach: Ah, Sie können beim Amt ein Darlehen bekommen! Prima, das machen Sie. Sie diskutieren ein wenig über den Preis, aber Sie haben Glück: Das Darlehen wird bewilligt. In den kommenden Monaten spüren Sie die monatlichen Abzüge, denn das Darlehen zahlen Sie nun zurück. Es wird enger. Natürlich, denn sie bekommen nun faktisch weniger Geld, als Sie für das Existenzminimum brauchen.

Vielleicht kriegen Sie das noch kompensiert, die Rücklagen sind zwar kleiner, aber okay, zur Not, denken Sie sich, gibt es ja noch den Dispo. Dann springt Ihr Auto nicht mehr an. Oder Ihnen fällt im Stress das Handy runter und zersplittert, der Touchscreen funktioniert nicht mehr. Sie bekommen einen Brief von Ihrer Bank: Da diese inzwischen mitbekommen hat, dass Sie Bürgergeld beziehen, wird Ihnen der Dispo aufgekündigt.

Jetzt schauen Sie schon panischer auf die Kontoauszüge. Sie sehen, dass da monatlich noch Zahlungen abgehen, die Sie nicht bedacht haben: Ein Online-Abo für eine Zeitung, und Spotify, oder die Bahncard, was haben Sie sich dabei gedacht? Schnell kündigen Sie, aber: Die Kündigung gilt erst in drei Monaten. Ihre Rücklagen schmelzen dahin.

Die Darlehensabzüge von Ihrem Bürgergeldsatz wegen Ihres finanziellen Super-Gaus – Sie erinnern sich: die Waschmaschine – werden nun immer höher, Sie haben immer weniger Geld zur Verfügung. Jetzt steigen die Lebensmittelpreise, auch die ganz normalen Einkäufe werden Ende des Monats zu teuer. Ihr Konto geht gen Null. Sie bekommen einen Schweißausbruch, Ihnen wird klar: Sie müssen Ihren Bruder um etwas Geld bitten, oder Ihre Eltern, oder Freunde – wenn Sie welche haben. Sehr unangenehm, wenn Sie an den letzten Streit denken, stimmt’s? Aber Sie bekommen 100 Euro, und die Situation entspannt sich.

Dann steigen die Energiekosten. Nun gut, die meisten Heizkosten werden ja übernommen! Da finden Sie einen Brief im Briefkasten, vom Jobcenter: Ihre Wohnung ist nicht angemessen. Sie wohnen auf 60 Quadratmetern allein, damit ist die Wohnung zehn Quadratmeter zu groß, und die Heizkostenrechnung wird nicht komplett übernommen. Dann kommt die Stromrechnung. Auch sie übersteigt den Anteil im Bürgergeld von 42,55 Euro bei Weitem.

Sie bekommen eine E-Mail von Ihrem Vermieter: Die Mietzahlungen von dem Jobcenter sind nicht ausreichend, Sie müssen bitte die Restmiete für die vergangenen drei Monate überweisen. Wie, dafür haben Sie nichts zur Seite gelegt, als der Brief vom Jobcenter kam? Nicht gut. Natürlich wird ihnen nahegelegt, eine kleinere Wohnung zu suchen, und vor allem eine günstigere. Ich muss Ihnen nicht sagen, wie die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt sind, oder? Sie haben kaum eine Chance.

Sie gehen zum Termin mit Ihrem Sachbearbeiter. Sie überzeugen ihn, in der Wohnung wohnen bleiben zu dürfen, wenn Sie die Differenz selbst zahlen. 50 bis 70 Euro, die Ihnen nun monatlich fehlen.

Die Armutsspirale dreht sich nun: kaputte Schuhe, kaputte Kleidung, kaputter Wasserkocher, teure Medikamente, Zuzahlungen, Cranberry-Saft gegen Blasenentzündung. Hoffentlich sind Sie nicht chronisch krank, das ist teuer.

Ihrer Familie schulden Sie inzwischen Hunderte Euro, und allen wird langsam klar, dass Sie es nie zurückzahlen können, solange sie weiter von Bürgergeld leben. Was tun Sie? Verzichten Sie auf bestimmte Lebensmittel? Ich kenne Bürgergeldempfänger, die „Hungertage“ einlegen, oder die so lange schlafen, wie sie können, damit Sie auf eine Mahlzeit am Tag verzichten können.

Und nun wird Ihnen gesagt: Sparen Sie! Ich hatte eine Phase, da trug ich löchrige Unterhemden und hatte Plastiktüten in den Schuhen, weil die Sohle unten Löcher hatte und der Regen reinlief. Damals war meine bis jetzt schlimmste Zeit als Armutsbetroffene.

Es ist schwer, sich ein Leben als Arme vorzustellen, wenn man nie arm war, daher versuche ich so gut es geht, Ihnen diese Situation nahezubringen. Als Armutsbetroffene haben Sie immer Stress, weil der ständige Mangel Ängste schürt: Kann ich meine Wohnung behalten? Kann ich nächsten Monat genug zu Essen kaufen? Kann ich meine Rechnungen bezahlen? Kann ich meine Medikamente bezahlen? Zahlt das Amt diesen Monat?

Ich habe immer noch Angst davor, dass ich am Anfang des Monats kein Geld bekomme, weil in früheren Jahren das Amt nicht regelmäßig gezahlt hatte, dabei ist das Jahre her. Armut prägt einen Menschen für das Leben.

Janina Lütt lebt mit ihrem Kind in Elmshorn. Auf freitag.de schreibt sie eine regelmäßige Kolumne über den Kampf mit und gegen Armut

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Kolumne | Die Bürgergeld-Armutsspirale: Dispo gekündigt, Handy kaputt, Hungertage

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15.11.2023

Und wieder geht sie los, die Hetze gegen Bürgergeld-Beziehende. 3,25 Milliarden Euro mehr braucht der Sozialminister Hubertus Heil aus dem Etat, und schon hetzt die CDU wieder gegen Armutsbetroffene und will Bürgergeldempfänger dazu zwingen, zu arbeiten. Sonst, so lautet der Tenor, kündigen ja alle ihre Jobs, um sich das Leben mit Bürgergeld einfacher zu machen! Da sich nicht-armutsbetroffene Menschen kaum vorstellen können, wie man mit Bürgergeldbezug in die Armutsspirale gerät, schreibe ich es mal auf. Damit Hubertus Heil das nicht ganz alleine erklären muss.

Das vorweg: Es gibt durchaus Beispiele von Menschen, die eine Weile gut mit Bürgergeld leben können – temporär. Dabei kommt es darauf an, wie die Ausgangssituation aussieht: Mussten Sie noch nie Sozialleistungen beantragen? Haben Sie Rücklagen? Dann ist die Situation vorerst nicht schlimm. Aber je länger Sie von Bürgergeld leben müssen, desto schlimmer wird es. Wenn Sie armutsbetroffen sind, leben Sie ein Leben auf Verschleiß.

Die erste Zeit kommen sie noch ganz gut mit ihrem Geld aus: Ihre Wohnung ist ja bereits eingerichtet, mit etwas Glück haben Sie schon ein Auto und sogar ein bisschen angespart, als Sie gearbeitet haben. Das monatliche Bürgergeld ist knapp, aber die Einkäufe können Sie damit bestreiten (wenn Sie den Bio-Laden meiden), und wenn der Toaster kaputtgeht, gibt es ja Kleinanzeigen. Dann geht Ihre Waschmaschine kaputt. Sie lesen nach: Ah, Sie können beim Amt ein Darlehen........

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