„Unsere Mütter streikten und protestierten, sangen und tanzten“, schreibt Gün Tank in Ihrem Roman Die Optimist:innen und erzählt eine neue Geschichte von migrantischen Frauen in Deutschland, die von „unterdrückt“, „schwach“ oder „unselbstständig“ nichts wissen möchte. Es geht um junge Gastarbeiterinnen, die sich solidarisieren, ermutigen und im Sommer 1973 zum großen Streik in einer Autofabrik in Neuss aufrufen. Die Regisseurin Emel Aydoğdu widmet sich in Ihrer ersten Aufführung am Maxim Gorki Theater diesem wenig beleuchteten Kapitel der deutschen Geschichte.

Die 22-jährige Nour (Aysima Ergün) zieht im Sommer 1972 von Istanbul nach Deutschland. Mit ihrem kurzen Rock und den farbenfrohen Kleidern (Ankleiderin: Annette Bogadtke) fällt sie auf in der Oberpfalz. Die deutschen Frauen tragen lange Röcke und Kopftuch. In einer Porzellanfabrik findet sie Arbeit und in den Frauen, mit denen sie sich ein Wohnheimzimmer teilt, Freundinnen. Da ist Tülay (Ceren Bozkurt) aus Antalya, die Ehemann und Kinder zurückließ und Mercedes (Yanina Cerón) aus Spanien, die schon seit acht Sommern in deutschen Fabriken ihr Glück sucht. Alle teilen das gleiche Schicksal: Um die Familie zu ernähren, zogen sie nach „Alemanya“ und knechten ihre Körper in den Fabriken. Schikane und unfaire Behandlung bestimmen den Alltag. Beispielsweise im Wohnheim, in dem vier Frauen auf vier Quadratmetern leben – auf der Bühne dargestellt durch einen Quader aus dünnem Stoff. „Da hat ja eine Kuh beim Bauern mehr Platz“, beschwert sich Cerón, während sich die drei ineinander verrenkten Körper der Frauen in der Wand abzeichnen.

Die drei Darstellerinnen erzählen, zusammen mit Sema Poyraz, die die Werkleiter und weitere Antagonisten spielt, die Geschichte von Nour, Tülay und Mercedes und schlüpfen dabei immer wieder selbst in die Rollen. So reihen sich Textfetzen hektisch aneinander und in den Szenen vermischt sich Erzähltes mit Gespieltem. Auffällig ist die Ambivalenz der Charaktere in Aydoğdus Inszenierung. Die Figuren sind überzeichnet, an manchen Stellen albern, während die erzählenden Frauen ihren ernsten Blick ins Publikum richten und mit bedrohlicher Stimme reden. Aysima Ergün treibt das Absurde auf den Höhepunkt mit ihrer Verkörperung des Werkleiters, der unter dem Einfluss von Drogen seinen Kiefer bewegt und mit einem grotesken Gesichtsausdruck auf die streikenden Frauen schimpft. Diese Elemente erheitern und machen die Aufführung lebendig. Folgt darauf eine nüchterne Beschreibung der Missstände, wirkt sie intensiver. Die beiden Pole reiben gegeneinander und erzeugen Spannung. Gleichzeitig nimmt es den Charakteren Tiefe. Die drei Freundinnen Tülay, Mercedes und Nour werden zu lustigen Figuren. Man nimmt sie weniger ernst.

Die erste Szene, in der Frauen sich Urinproben teilen, damit keine als „Schwanger“ entlarvt wird („Denn schwangere Frauen dürfen nicht als Gastarbeiterin nach Deutschland“), tut weniger weh, wenn die Darstellerinnen den Becher versehentlich zum Mund heben. Sie wird weniger nahbar, zu Gunsten eines Lachers. Hängen bleibt die nüchterne Erzählung der Selektion von Frauen, die als Gastarbeiterinnen nach Deutschland kommen möchten.

Aydoğdu lenkt den Fokus weg von den persönlichen Geschichten der Protagonistinnen und nutzt sie stattdessen, um die kollektive Erfahrung der Gastarbeiterinnen aufzuarbeiten. Dafür werden O-Töne aus Interviews mit Zeitzeugen abgespielt (Medienkunst: Natascha Zander). Die Zeitungs-Schlagzeilen, die parallel an die weiße Wand projiziert werden, kommentieren die Aufstände der Frauen in den Fabriken im „Streikjahr 1973“. Manche befürworten den Aufstand, andere degradieren ihn mit rassistischen Vorbehalten. Darunter mischen sich auch Schlagzeilen, die in den vergangenen Jahren getextet wurden. Etwa bei Streiks an Uni-Kliniken oder von Gorillas-Mitarbeiter:innen. So schlägt das Stück einen Mini-Bogen in die heutige Zeit.

An anderer Stelle stimmen die Frauen, angeleitet von Ceren Bozkurt mit Gitarre, Lieder an. („Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an“). In den Stimmen der vier Frauen hallt der Schmerz und die Wut der ersten Generation von Arbeitsmigrantinnen nach. Das Publikum fällt, teils mit Gesang, teils mit Klatschen oder Stampfen, in die musikalische Performance mit ein. Eine räumliche Trennung zwischen Bühne und Zuschauer:in – die vorher schon bröckelte – wird dadurch vollständig aufgelöst im ausverkauften, gemütlich-kleinen Studio R.

Die Optimistinnen Text: Gün Tank, Regie: Emel Aydoğdu Maxim Gorki Theater, Berlin

QOSHE - Theater | „Die Optimistinnen“ am Gorki Theater: Solidarität unter Gastarbeiterinnen - Jerrit Schloßer
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Theater | „Die Optimistinnen“ am Gorki Theater: Solidarität unter Gastarbeiterinnen

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20.01.2024

„Unsere Mütter streikten und protestierten, sangen und tanzten“, schreibt Gün Tank in Ihrem Roman Die Optimist:innen und erzählt eine neue Geschichte von migrantischen Frauen in Deutschland, die von „unterdrückt“, „schwach“ oder „unselbstständig“ nichts wissen möchte. Es geht um junge Gastarbeiterinnen, die sich solidarisieren, ermutigen und im Sommer 1973 zum großen Streik in einer Autofabrik in Neuss aufrufen. Die Regisseurin Emel Aydoğdu widmet sich in Ihrer ersten Aufführung am Maxim Gorki Theater diesem wenig beleuchteten Kapitel der deutschen Geschichte.

Die 22-jährige Nour (Aysima Ergün) zieht im Sommer 1972 von Istanbul nach Deutschland. Mit ihrem kurzen Rock und den farbenfrohen Kleidern (Ankleiderin: Annette Bogadtke) fällt sie auf in der Oberpfalz. Die deutschen Frauen tragen lange Röcke und Kopftuch. In einer Porzellanfabrik findet sie Arbeit und in den Frauen, mit denen sie sich ein Wohnheimzimmer teilt, Freundinnen. Da ist Tülay (Ceren Bozkurt) aus Antalya, die Ehemann und Kinder zurückließ und Mercedes (Yanina Cerón) aus Spanien, die schon seit acht Sommern in deutschen........

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