Montag ist in Berlin bekanntlich der Tag, an dem Clubkater kuriert und das Wochenende reflektiert werden. Ähnlich an diesem Montag im Berliner Abgeordnetenhaus: Hierher hatten CDU und SPD geladen. Reflektiert und vor allem debattiert werden sollte die zum vergangenen Wochenende von Kultursenator Joe Chialo eingeführte Antidiskriminierungsklausel im Förderkatalog des Landes Berlin. Wer sich auf Fördergelder bei seiner Senatsverwaltung bewirbt, muss künftig unter anderem unterschreiben, dass er sich „zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus“ bekennt, und zwar „gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung.“

Auch wenn Kultursenator Chialo gleich mehrfach betonte: „Wir stehen am Anfang von einem Diskussionsprozess“, war schon vor Beginn des stundenlangen Frage- und Antwortspiels im Ausschuss klar: Das Ergebnis steht fest – die Klausel kommt.

Zurecht wurde das im Ausschuss kritisiert. Neben Elke Breitenbach von der Linksfraktion und Daniel Wesener von den Grünen, gehörte auch der zur Anhörung geladene Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, zu den Kritikern. Reese sprach aus, was seit Verkündung der Klausel im Berliner Kulturbetrieb für Unbehagen sorgt: Man fühlt sich unter „Generalverdacht“ gestellt.

So sah das auch die Arts Culture Alliance Berlin. Ihrem Aufruf zum Protest folgten an diesem Montag rund 200 Menschen und versammelten sich vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Mehr noch als unter Generalverdacht gestellt, sahen sie sich als Opfer eines rechten Kulturkampfes gegen Kunst- und Meinungsfreiheit. Ähnliche, teils differenzierter vorgetragene Vorwürfe, waren schon am Tag zuvor in einem gemeinsam aufgesetzten Appell verschiedener Kulturverbände wie dem berufsverband bildender künstler*innen (bbk) oder dem Rat für die Künste enthalten. Einige ihrer Vertreter folgten zumindest vom Publikum aus der Debatte im Kulturausschuss – einer Debatte, deren Ausbleiben sie im Vorhinein kritisierten und die auch an diesem Montag weder Ergebnisoffenheit noch große Kompromissbereitschaft nach sich zog.

Verwunderlich ist das nicht, folgt man den hitzigen Diskussionen um Antisemitismus in Kunst und Kultur, die nicht erst seit der „Zäsur des 07. Oktobers“ – so Joe Chialo zur Begründung seines Vorstoßes – über die Bande von Vorwürfen und Gegenvorwürfen läuft. Bisheriges Resultat davon? Verunsicherung – und das tatsächlich auf allen Seiten. Daraus erklärt sich vielleicht auch das Bedürfnis nach Absicherung, ob als Förderer oder Geförderte.

Dabei müssen beide sich bestimmte Vorwürfe gefallen lassen: Der Kultursenat hat mit seiner Manifestation zwar endlich für ein Ergebnis, aber auch für weitere Unklarheit in der Anwendbarkeit und der Instrumentalität seiner Förderklausel gesorgt. Seine Kritiker hingegen, die anstelle der IHRA-Definition wohl lieber die hauseigene Jerusalem Declaration on Antisemitism implementiert hätten, fahren zur Verteidigung ihrer Förderung reflexhaft die schweren wie unangemessenen Geschütze von Kunst- und Meinungsfreiheit, von beschnittenen Grundrechten und der rechten Zersetzung demokratischer Institutionen auf.

Wie viel mehr an definitorischer Klarheit – abseits der gänzlichen Ausblendung des israelbezogenen Antisemitismus – die Anwendung der Jerusalem Declaration on Antisemitism bieten könnte, wurde inner- und außerhalb des Abgeordnetenhauses ebenso wenig geklärt, wie die Frage, welchen interpretativen Spielraum Berliner Kulturbürokraten in Zukunft haben, wenn es darum geht, beantragte Projekte oder Antragsteller entlang der IHRA-Definition einzustufen.

In diesem Spielraum müsste der oft geforderte kritische Dialog ansetzen und anhand von Grenzfällen fragen: Wird in Projekt XY Israel das Existenzrecht abgesprochen oder künstlerisch wertvolle und daher förderrelevante Kritik geübt?

Da keine der diskutierten Antisemitismusdefinitionen mehr als einen Leitfaden zur Beantwortung dieser Frage vorgibt und kulturelle Produktion eben auch das Wagnis von Ambivalenz bedeutet, überlässt der Förderapparat die finale Antwort seinen Prüfern. Wer Förderentscheide prüft, in welchem zeitlichen Rahmen und welche Schulung das voraussetzt, bleibt leider auch im Kulturausschuss unklar. Das aber bietet auch in zukünftigen Debatten Stoff, um mit kruden Verzerrungen Förderabsagen in der Öffentlichkeit als Zensur oder dergleichen zu skandalisieren. Joe Chialo ruft deshalb zum kritischen Dialog auf – doch wie müsste der aussehen?

Dieser Dialog braucht offene Kritik, aber er braucht auch Ergebnisse, oder anders: Kompromisse. Sonst drohen diskursive Nabelschau und der permanente Vortrag unaufgeklärter Vorwürfe. Für Chialos Kritiker würde das vor allem bedeuten, das vor sich hergetragene Selbstverständnis als politisierte und kritische Kulturarbeiter kräftig zu hinterfragen. Zum einen sollte man sich fragen, warum ausgerechnet die Kritik des israelbezogenen Antisemitismus den Fortbestand des internationalen Kulturbetriebs in Berlin gefährdet. Und zum anderen, ob der Staat tatsächlich der passende Garant ist für eine Kunst, deren Kritik mehr als ein Häkchen im Förderkatalog deutscher Bürokraten sein will. Andersherum heißt das auch: Kein Geld vom Berliner Senat zu bekommen, ist nicht das Ende der Demokratie. Und das kritischer Kunst erst recht nicht.

QOSHE - Kommentar | Berliner Antisemitismusklausel: Kein Geld vom Senat bedeutet nicht das Ende der Demokratie - Jonathan Guggenberger
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Kommentar | Berliner Antisemitismusklausel: Kein Geld vom Senat bedeutet nicht das Ende der Demokratie

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11.01.2024

Montag ist in Berlin bekanntlich der Tag, an dem Clubkater kuriert und das Wochenende reflektiert werden. Ähnlich an diesem Montag im Berliner Abgeordnetenhaus: Hierher hatten CDU und SPD geladen. Reflektiert und vor allem debattiert werden sollte die zum vergangenen Wochenende von Kultursenator Joe Chialo eingeführte Antidiskriminierungsklausel im Förderkatalog des Landes Berlin. Wer sich auf Fördergelder bei seiner Senatsverwaltung bewirbt, muss künftig unter anderem unterschreiben, dass er sich „zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus“ bekennt, und zwar „gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung.“

Auch wenn Kultursenator Chialo gleich mehrfach betonte: „Wir stehen am Anfang von einem Diskussionsprozess“, war schon vor Beginn des stundenlangen Frage- und Antwortspiels im Ausschuss klar: Das Ergebnis steht fest – die Klausel kommt.

Zurecht wurde das im Ausschuss kritisiert. Neben Elke Breitenbach von der Linksfraktion und Daniel Wesener von den Grünen, gehörte auch der zur Anhörung geladene Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, zu den Kritikern. Reese sprach aus, was seit Verkündung der Klausel im Berliner Kulturbetrieb für Unbehagen sorgt: Man fühlt sich unter „Generalverdacht“........

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