Der amerikanische Präsident hat einen Abszess am Hintern. So was kommt vor, das wissen auch Stabschefin Harriet und Pressesprecherin Jean. Eine Operation lehnt der Staatschef allerdings ab, ein Freund hat ihm zu Teebaumöl geraten und man munkelt, so etwas könne von „Analspielen“ kommen. „Ist diese bestimmte Aktivität ein plausibler Grund für Analabszesse?“, fragt die Pressesprecherin ihre Kollegin. „Woher soll ich das wissen?“, kontert die Stabschefin. „Du bist seine rechte Hand“, weiß die Pressefrau. „Nicht bei dieser Aktivität!“ Die jüngste Produktion des Hamburger Schauspielhauses unterscheidet sich deutlich von den antiken Stoffen über Aufstieg und Fall der Stadt Theben, die dort zuletzt die Bühne beherrschten. Die Schattenpräsidentinnen. Oder: Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu erhalten ist eine feministische Farce, so schnell und witzig, wie es in Deutschland kaum eine Autor:in hinbekommt. Außer Pollesch, natürlich. POTUS (so der Originaltitel) wurde 2022 für drei Tony Awards nominiert und machte die Autorin Selina Fillinger mit 28 Jahren zu einer der jüngsten Dramatiker:innen, die jemals am Broadway gespielt wurden.

Was in New York eher an die Bühnenversion einer Sitcom erinnerte, entfaltet in Hamburg, unter der Regie von Claudia Bauer, eine herrliche Körperlichkeit und Exzentrik. Es sind ausschließlich Frauen, die hier auf der Bühne stehen, immer am Rand eines Nervenzusammenbruchs, weil der Präsident – den man niemals zu Gesicht bekommt – stark an den Wirrkopf erinnert, der bis vor einigen Jahren noch im Weißen Haus saß. Und möglicherweise bald wieder. Die schrillen Kostüme von Vanessa Rust und die bombastischen Perücken von Susan Kutzner wecken Erinnerungen an den Bühnen-Dadaismus von Herbert Fritsch, die sieben Schauspielerinnen springen dem Publikum manchmal geradezu ins Gesicht. Mitunter singen sie auch sehr gekonnt. Besonders toll sind Sandra Gerling als Stabschefin, Josefine Israel als Pressesprecherin und Amal Keller als dreiste, ständig Muttermilch abpumpende Journalistin.

Es geht um fürsorgende Frauen in den Zonen der Macht. Die Art und Weise, wie Untergebene zum Erhalt von Herrschaftsverhältnissen beitragen, aber auch um die Geschlechterdimensionen, die diese Reproduktionsprozesse strukturieren. Die Care-Arbeit der Schattenpräsidentinnen am Hofe Donald Trumps, das macht Fillinger klar, besteht nicht nur aus dem Schreiben von 37 Versionen einer Rede, die der Präsident vor Feministinnen halten soll, „damit die Frauenquote nicht wortwörtlich zusammenschrumpft wie ein Hodensack im Schnee“. Zum Job gehört auch das ständige Aufwischen im Privaten, egal ob der Präsident seine First Lady in der Öffentlichkeit beleidigt oder eine Geliebte namens Biene von ihm schwanger wird.

Claudia Bauer, die mit ihren Inszenierungen bereits dreimal zum Theatertreffen eingeladen wurde, setzt bei Die Schattenpräsidentinnen auf Tempo und drastischen Humor. Immer wieder dreht sich die Bühne von Andreas Auerbach. Blueberry Smoothies werden leuchtend blau erbrochen, es wird mit Gewehren und Pistolen gefuchtelt, die aussehen wie Laubsägearbeiten. Am Ende ist es ausgerechnet eine Büste der Suffragette Alice Paul, die den Präsidenten buchstäblich zu Fall bringt – ohne dass sich an den Verhältnissen etwas ändert. Lange nicht mehr so viel gelacht im Theater.

Die Schattenpräsidentinnen Text: Selina Fillinger, Regie: Claudia Bauer Übersetzung: Nico Rabenald, SchauSpielHaus Hamburg

QOSHE - Komödie | Frauen der Macht - Jürgen Ziemer
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Komödie | Frauen der Macht

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12.04.2024

Der amerikanische Präsident hat einen Abszess am Hintern. So was kommt vor, das wissen auch Stabschefin Harriet und Pressesprecherin Jean. Eine Operation lehnt der Staatschef allerdings ab, ein Freund hat ihm zu Teebaumöl geraten und man munkelt, so etwas könne von „Analspielen“ kommen. „Ist diese bestimmte Aktivität ein plausibler Grund für Analabszesse?“, fragt die Pressesprecherin ihre Kollegin. „Woher soll ich das wissen?“, kontert die Stabschefin. „Du bist seine rechte Hand“, weiß die Pressefrau. „Nicht bei dieser Aktivität!“ Die jüngste Produktion des Hamburger Schauspielhauses unterscheidet sich deutlich von den antiken Stoffen über Aufstieg und Fall der Stadt Theben, die dort zuletzt die Bühne beherrschten. Die Schattenpräsidentinnen. Oder: Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu erhalten ist eine........

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