Hin und wieder erhält die Redaktion Leserbriefe, die sich über zu viele Fremdwörter in Artikeln beschweren und bessere Verständlichkeit anmahnen. Deren Absender zeigen ähnliche Zivilcourage wie neulich jemand in einem Workshop über leicht verständliche Sprache im Kulturraum. Der Dozent umreißt das Thema. Ein Teilnehmer meldet sich: „Entschuldigung, ich habe kein Abitur, was bedeutet Genitiv?“

Ups! Wer wäre hier nicht geneigt, seine Daseinsberechtigung in ebendiesem Kulturraum zu bezweifeln? Ohne Abitur und Genitiv darf da doch keine rein? „Ich verstehe unsere Texte oft selbst nicht“, bekennt der Mutige. Da dürfte er nicht der Einzige sein, doch würden sich andere lieber den Mund verbrennen, als sprachliche Unzugehörigkeit auszusprechen.

Die Autorin hat Abitur, aber auch sie versteht „unsere Texte“ oft nicht. Da gibt es eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der Kulturbetrieb soll und will inklusiv sein. Deshalb wird gegendert, deshalb wird antirassistisch reflektiert – und all das geschieht mit sehr viel Englisch, Fremdwortisch und verschachtelt-verrätseltem Eingeweihtisch.

Zur Veranschaulichung ein Blick ins Berliner Theaterangebot. Meist verweigern schon die Überschriften Verständlichkeit. Die Volksbühne gibt Extinction, Ultralenz – 70.000 Cops wollen deine Location wissen oder Death Drive – Everything everyone ever did (Todesfahrt – Alles, was jeder jemals tat). Nur zwei Titel wirken nicht wie der Wink mit dem hochkulturellen Zaunpfahl: Karl May und der grandios einfache ja nichts ist ok.

Die Webseite des Hebbel am Ufer bietet immerhin ein paar Texte in Leichter Sprache, und unter „Aktuelle barrierefreie Angebote“ ist Nuray Demirs Semiotiken der Drecksarbeit verlinkt. Das Barrierefreie: Begleitpersonen erhalten kostenlosen Eintritt – nicht jedoch eine Erläuterung von „Semiotiken“. Ob die Eingeweihten selbst wissen, was sie meinen? Wenn ja: Warum sagen sie es dann nicht? Solche schwierigen Fragen könnten ihnen Nichteingeweihte stellen, wäre da nicht die sprachliche Barriere, die sie draußen hält. Als könnte Kultur sich ohne sie nicht für voll nehmen.

Das wäre egal, wenn es sich um Privattheater handelte, die ihre Bildungsklientel bedienen und unter sich bleiben wollen. Aber viele Theater, auch die Volksbühne, erhalten Volksgeld. Warum lädt man das Volk dann nicht ein? Rein sprachlich! Wo doch gerade die Leute in der Kultur sich zugutehalten, gegen alle Übel dieser Welt und für Gerechtigkeit Haltung zu zeigen. Mit ihrer sprachlichen Haltung schließen sie nicht nur kognitiv eingeschränkte Menschen aus, sondern viele andere auch, die nicht in den akademischen Zirkeln unterwegs sind. Geht es darum, sich keine Blöße zu geben – sodass man lieber andere bloßstellt? Wer beschämt, hat die Macht, das ist nicht nur in der russischen Propaganda so. Der eigene Dünkel, die eigene gedankliche Unklarheit lassen sich wunderbar hinter gebildet klingenden Worthülsen verbergen. „Intersektionalität“! „Transkulturalität“! Und natürlich die „Diversität“: verhindert ein vielfältiges Publikum.

In jenem Workshop fragt der Dozent: „Wer sind die Adressaten? Wen will man erreichen? Und worin bestehen die Bedürfnisse derjenigen, die man ansprechen will?“ Viele Kulturschaffende müssten wohl ehrlicherweise antworten: „Wir adressieren uns selbst. Wir wollen nur die eigene Sprechblase erreichen. Wir scheren uns nicht um das Bedürfnis der Vielen nach leichterer Verständlichkeit.“

Wovor haben Kulturleute Angst? Dass „einfache Menschen“ die Abläufe und Selbstverständnisse stören? Oder davor, dass es kompliziert werden könnte? Einfache und Leichte Sprache sind nämlich ziemlich schwer. Das sieht man auch an diesem Text. Er wollte einfach etwas sagen und ist ziemlich kompliziert geschrieben. Nicht zuletzt, weil Leser das erwarten. Zumindest vermutet die Autorin dies. Oder würden sie (Sie!) ihr andernfalls glauben, dass sie etwas zu sagen hat?

Katharina Körting ist Arbeitsstipendiatin für deutschsprachige Literatur der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

QOSHE - Gesellschaft | Der Jargon der Beschämung - Katharina Körting
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Gesellschaft | Der Jargon der Beschämung

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24.03.2024

Hin und wieder erhält die Redaktion Leserbriefe, die sich über zu viele Fremdwörter in Artikeln beschweren und bessere Verständlichkeit anmahnen. Deren Absender zeigen ähnliche Zivilcourage wie neulich jemand in einem Workshop über leicht verständliche Sprache im Kulturraum. Der Dozent umreißt das Thema. Ein Teilnehmer meldet sich: „Entschuldigung, ich habe kein Abitur, was bedeutet Genitiv?“

Ups! Wer wäre hier nicht geneigt, seine Daseinsberechtigung in ebendiesem Kulturraum zu bezweifeln? Ohne Abitur und Genitiv darf da doch keine rein? „Ich verstehe unsere Texte oft selbst nicht“, bekennt der Mutige. Da dürfte er nicht der Einzige sein, doch würden sich andere lieber den Mund verbrennen, als sprachliche Unzugehörigkeit auszusprechen.

Die Autorin hat Abitur, aber auch sie versteht „unsere Texte“ oft nicht. Da gibt es eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der Kulturbetrieb soll und will inklusiv sein. Deshalb wird gegendert, deshalb wird antirassistisch reflektiert – und all das geschieht mit........

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