Neulich in London habe ich die Galerie nicht gefunden. Die Karten-App bestätigte, ich sei längst am Ziel angekommen. Aber da waren nur ein üppig dekorierter Blumenladen – sollten das menschengroße Kürbisse sein? Im März? –, ein durch und durch undurchlässiger Bürobau und eine italienische Restaurantkette, die sich gern dort niederlässt, wo sie Menschen mit Geld vermutet. Wo war denn nun die Galerie Gagosian, die gerade den Skandalkünstler Damien Hirst ausstellt?

Da musste ich mich dreimal um mich selbst drehen, bis mein Blick nicht nur an dem schwarzen Ferrari hängen blieb, sondern die Augen auch dahinter griffen. Auf das grüne Apothekenzeichen im großen Schaufenster, den hellen Innenraum, in dem nur ein Medikamentenschrank stand und ein Doktor saß und ein Mann im schwarzen Anzug den Türgriff hielt, immer bereit, die Tür zu öffnen.

Da ist sie, die Hyperrealität, die wir auch Kunst nennen. Gagosian stellt einen von Hirsts Medikamentenschränken aus. Es ist nicht Bodies, der 2020 für 1,3 Millionen Pfund versteigert wurde. Auch nicht der aus seinem früheren Londoner Restaurant Pharmacy 2, sondern Sex Pistols aus dem Jahr 1996. Warum das Jahr wichtig ist, dazu kommen wir noch. Antibiotika stehen da neben Lösungen, Handschuhen, Kartons. Vitamin C neben Herzmedikamenten. Prozac. Das Schmerzmittel Co-proxamol, 2007 wurde es verboten, danach kam es zu weniger Suiziden im Land. Man sucht nach Medizin-Marken, die man kennt, weil sie einem etwas erzählen über die eigene Krankheitsgeschichte, oder die der Liebsten. „Drugs“ können ja Leben retten oder eben das Gegenteil.

Neben den Schränken sitzt eine Skulptur vom Künstlerkollegen Duane Hanson, ein Doktor mit Klemmbrett und übergeschlagenen Beinen und einer teuren Uhr – Marke vergessen. Man blickt ihm vorsichtig von hinten über die Schulter, in der Angst, dass er sich gleich ruckartig umdrehen könnte. Der Mann, der einem das alles verschreiben könnte oder müsste. Von dessen Profession man in frühen Jahren denkt, dass sie heldenhaft und wundersam arbeitet. Bis man, älter geworden, gewiss wird: Es sind auch nur Menschen, die Fehler machen.

Aber was ist jetzt hier der Skandal? Der Guardian hatte gerade berichtet, dass Damien Hirst nicht ganz ehrlich war. Der Künstler, der in den 1990ern Tierkadaver in Formaldehyd ertränkte, hat wohl neuere Arbeiten auf jene goldene Ära datieren lassen. Weil diese Formaldehyd-Tierskulpturen für reiche Menschen natürlich die geileren Jagdtrophäen sind, der Sieg über die gefährliche Natur, verkaufte sich das ganz gut, und Hirst (oder sein Atelier) machte auch über 20 Jahre später ähnliche Arbeiten und verkaufte sie als aus den 1990ern stammend.

Es gibt etwa einen in drei Teile zerlegten Vier-Meter-Tigerhai, der in einer Luxusbar in einem Casino in Las Vegas sein posthumes Dasein fristet. Von den US-amerikanischen Milliardärsbrüdern Lorenzo Fertitta und Frank Fertitta III für etwa acht Millionen Dollar angeschafft, gehört er zu den bisher vier Werken Hirsts, denen man ein falsches Datumslabel nachwies.

Hirst sagt, das Datum sei doch richtig, denn seine Idee, die stamme ja aus den 1990ern. Die Kunstwelt ist etwas schadenfroh, weil Hirst in den letzten Jahren eh etwas weniger Ideen hatte. Und die einfache Welt freut sich darüber, dass Reiche veräppelt wurden. Aber wurden sie veräppelt? Schließt künstlerische Freiheit die Datierung mit ein? Wie wichtig ist das Datum für den Wert oder die Qualität der Kunst?

Irgendwie nicht ganz so wichtig wie das Ablaufdatum bei Medikamenten. Man könnte auch sagen: Während die Skulptur von Duane Hanson hyperreal ist, war Hirst schon immer einfach nur real. Hier gibt es echte Haie, echte Medizin – und echtes Geschäftsgebaren.

Laura Ewert ist Kunst-Kolumnistin für der Freitag. Sie schreibt als freie Autorin und Journalistin für Zeit, Monopol, Spiegel Online, Focus Magazin und viele andere. Als Kritikerin bespricht sie Kunst und Musik im Deutschlandradio oder Deutschlandfunk Kultur.

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Kolumne | Der Hai ist ja neu! Damien Hirst datiert Werke falsch

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27.03.2024

Neulich in London habe ich die Galerie nicht gefunden. Die Karten-App bestätigte, ich sei längst am Ziel angekommen. Aber da waren nur ein üppig dekorierter Blumenladen – sollten das menschengroße Kürbisse sein? Im März? –, ein durch und durch undurchlässiger Bürobau und eine italienische Restaurantkette, die sich gern dort niederlässt, wo sie Menschen mit Geld vermutet. Wo war denn nun die Galerie Gagosian, die gerade den Skandalkünstler Damien Hirst ausstellt?

Da musste ich mich dreimal um mich selbst drehen, bis mein Blick nicht nur an dem schwarzen Ferrari hängen blieb, sondern die Augen auch dahinter griffen. Auf das grüne Apothekenzeichen im großen Schaufenster, den hellen Innenraum, in dem nur ein Medikamentenschrank stand und ein Doktor saß und ein Mann im schwarzen Anzug den Türgriff hielt, immer bereit, die Tür zu öffnen.

Da ist sie, die Hyperrealität, die wir auch Kunst nennen. Gagosian stellt einen von Hirsts Medikamentenschränken aus. Es ist nicht........

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